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La Boheme: Das Fenster zum Elend

Die von medialen Umständen begleitete Premiere von Puccinis "La Bohème" mit Staraufgebot bei den Salzburger Festspielen begeisterte nicht nur wegen Superstar Anna Netrebko nachhaltig.

La Boheme: Das Fenster zum Elend
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La Boheme: Das Fenster zum Elend


Wenn man nach einer Schluchz-Oper wie Puccinis "La Bohème" oder Verdis "La Traviata" nicht feuchten Auges in den Schlussapplaus einstimmt, muss was daneben gegangen sein. Das tat es diesmal nicht. Wie Anna Netrebko als arme Mimi einen trotz Gesellschaft einsamen Tod stirbt, rührt total ans von zarten Melodien umschmeichelte Herz. Die Festspielpremiere von "La Bohème" wird zwar trotz der Vorabhysterie keine Maßstäbe setzen, aber es wurden alle Maßstäbe verrückt. Das lag am Bühnenbildner Paolo Fantin, der ins Maßlose vergrößerte, was die Darsteller zu Püppchen schrumpfte, oder im Gegenzug Pariser Häuser zu Sitzgelegenheiten in der Bar verkleinerte. Paolo Fantins Bühne prägte den Abend, vom gigantischen Fensterflügel bis zur abgesunkenen Straßenkreuzung, die alles Elend der Welt spiegelte.

Die Erwartung lag aber ohnehin auf dem Staraufgebot, das Festspielintendant Alexander Pereira für sein Lieblingsprojekt ins Rennen schickte. Anna Netrebko und Piotr Beczala als das unglückliche Liebespaar im Rührstück mit bösem Ende kamen mit dem Erfolgsdruck gut zurecht, die Sopranistin, trotz aller Unkenrufe eine ernsthafte ehrliche Spitzenkünstlerin, überzeugte in jedem Moment sowohl stimmlich als auch darstellerisch als Punkgirl mit (nicht nur) psychischen Problemen. Piotr Beczala, der lyrische Tenor aus Polen, war als Rodolfo ein distanzierter, flüchtiger Geist, der mit dem Umstand, dass seine Spontangeliebte sterbenskrank ist, völlig überfordert war. Wie schon bei Gounods "Roméo et Juliette" vor ein paar Jahren zeigte sich, dass die beiden Stimmen wunderbar harmonieren. Und auch das restliche Ensemble war ausgezeichnet besetzt, darunter als kesse, herzensgute Musetta die Georgierin Nino Machaidze, die einst als Einspringerin für die schwangere Anna Netrebko einen Start zur Blitzkarriere hingelegt hat.

Erstaunlich behutsam dirigierte Daniele Gatti im Orchestergraben die mit Puccini natürlich bestens vertrauten Wiener Philharmoniker, aufbrausend, wo es ging, hauchzart in den entscheidenden Momenten, immer suggestiv in allen Stimmungslagen. Die Regie von Damiano Michieletto hinterließ trotz manch guter Einfälle einige offene, beziehungtechnische Fragen. Denn nur im Gesang entfaltete sich eine glaubhafte Liebes- und Leidensbeziehung, auf der Bühne hatten Rodolfo und Mimi wenig miteinander zu tun, geschweige denn, dass es amourös geprickelt hätte. Optisch gab es kaum Einwendungen, so einfallsreich bunt ist das Ambiente mit dem kolossalen Fensterflügel, dem Stadtplan von Paris ("Edition 2012") mitsamt dem Farbenüberfluss bei den Kostümen der Bevölkerung aller Generationen oder das heruntergekommene Matratzenlager der Studentenrunde. Dort platzt zu später Stunde das Chaosmädel Mimi herein, um ein Feuer für ein Jointerl zu kriegen. Rodolfo ist blitzartig entflammt, wenn er das "eiskalte Händchen" ergreift. Das lustvolle Leben im zu teuren Paris hält nur kurz an, der Absturz ist grausam. Paolo Fantin fand das drastische Bild mit einem Würstelstand unter einer Kreuzung der trostlosesten Art. Dort findet die Aussprache des Liebespaares statt. Tiefer geht es kaum als an diesem Unort. In die zwangsgeräumte Studentenbude zurückgekehrt, bleibt nur mehr die Lebenslust ohne Budget, Mimi stößt dazu und stirbt vor den Augen der Studentenrunde. Anna Netrebko beherrscht das Bild des Elends großartig in jeder Phase. Im überdimensionerten Fenster taucht anfangs eine geisterhafte Riesenhand auf, die "Mimi" ans feuchtnasse Fenster schreibt. Zuletzt wiederholt sich der Vorgang, dann wischt die Geisterhand den Schriftzug "Mimi" einfach vom Fenster.

Ja, sie geht zu Herzen, diese Oper, und der einhellige Schlussbeifall gibt dem Unternehmen recht.

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