Salzburger Festspiele: Eine "Zauberflöten"-Zeitreise

Salzburger Festspiele Eine ZauberfloetenZeitreise
Salzburger Festspiele Eine ZauberfloetenZeitreise(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Die Salzburger Festspiele zeigen "Das Labyrinth – der Zauberflöte zweyten Theil", ein Stück von Ur-Papageno Emanuel Schikaneder. Die Musik stammt aber nicht von Mozart.

Zu den nobelsten Aufgaben von Festspielen zählt die Realisierung von aufwendigen Projekten, die der saisonale Theaterbetrieb nicht bewältigen kann. Salzburg demonstriert heuer mit der Neudeutung der Urfassung von „Ariadne auf Naxos“, wie man damit Erfolg haben kann. Überdies zeigt man „Das Labyrinth“, seines Zeichens „der Zauberflöte zweyter Theil“.

Mozarts Singspiel ist ja so etwas wie das erste Repertoire-Werk der Opernwelt und eines der großen Mysterien im europäischen Kulturkanon. Emanuel Schikaneders Text wird bis heute von Kommentatoren entweder als Machwerk verteufelt, oder als weises Dokument theatralisch angewandten Humanismus' verklärt.

Wahrscheinlich ist sogar Letzteres übertrieben. Erstere Lehrmeinung hat schon Johann Wolfgang von Goethe relativiert. Der Olympier begann sogar, einen zweiten Teil der „Zauberflöte“ zu entwerfen, um Trübes zu klären und den Weisheitstempel zu festigen. Nicht zuletzt die Nachricht vom Erfolg einer „Zauberflöten“-Fortsetzung aus der Feder von Schikaneder selbst hat Goethe zaudern lassen.

Da gab Goethe auf! Sein Werk wurde nie vollendet, aber Schikaneders „Labyrinth“ erlebte etliche Produktionen im deutschen Sprachraum. Nicht nur in Wien spielte man beide „Theile“ an aufeinanderfolgenden Abenden. Dass die Musik zum „Labyrinth“ nicht von Mozart stammte, der ja die „Zauberflöten“-Uraufführung im Freihaustheater nur um wenige Wochen überlebte, störte damals niemanden.

Erst mit der Zeit sonderte sich Spreu vom Weizen. Teil I wurde zum meistgespielten Musiktheater-Werk überhaupt. Teil II verschwand in der Versenkung, wurde aber von Theaterhistorikern nie ganz vergessen. Wo sonst als in Salzburg sollte man nun die „Zauberflöte“ und das „Labyrinth“ wieder miteinander konfrontieren?

Der neue Festspielintendant setzte beide Werke zu seinem Amtsantritt auf den Spielplan, in der Felsenreitschule wird Mozart gespielt, im Residenzhof das Werk Peter von Winters. Es ist müßig, den eklatanten Qualitätsunterschied zwischen den beiden Partituren zu betonen. Winters Musik ist Produkt soliden Kunsthandwerks – mit gar nicht plumpen, sondern durchaus feinsinnig gestalteten Anklängen an die „Zauberflöte“, von den „drei Akkorden“ über die Glockenspielharmonien bis hin zu Experimenten in artifizieller Volkstümlichkeit. Von Mozarts Genialität bringt uns Winter gleichsam wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: auf den Bretterboden einer Vorstadtbühne auf der Wieden.

Es ist nicht unlogisch, dass Regisseurin Alexandra Liedtke in ihrem szenischen Wiederbelebungsversuch mit den Mitteln des vorbiedermeierlichen Pawlatschen- und Kasperltheaters arbeitet. Sie trachtet danach, den Geist der Volksposse mit den Illusionsmitteln der Maschinenkomödie zu verschmelzen wie einst der Prinzipal und Ur-Papageno es selbst getan hat.

Das Publikum anno 2012 mag angelockt sein vom retrospektiven Charme eines solchen Unterfangens. Dankenswert ist, dass man es nicht mit einer Anverwandlung einstiger Überwältigungseffekte zu ködern versucht. Wie ließe sich ein Äquivalent finden für das Staunen der Theaterbesucher im Wien um 1800 über schwebende Gondeln und feuerspeiende Berge? Gottlob sucht man auch keine modernen Entsprechungen für politische Konnotationen, die Programmheftautoren zuhauf auffinden. Analogien zu Napoleon – haben Schikaneders Zeitgenossen diese erkannt? Wen sollten wir heute an des Konsuls Stelle setzen?

Die Fragen stellen sich in der Realität der Aufführung im Residenzhof nicht. Man hält sich an ein naives Märchenspiel und ein vervielfachtes Papageno-Pärchen: Regula Mühlemann und Thomas Tatzl stehen mit Ute Gfrerer und Anton Scharinger die „alten Papagenos“ gegenüber, samt zauberhafter Papagenissimo-Statisterie (Sängernachwuchs inklusive).

Die liebe Familie. Das schafft jene familiäre Atmosphäre, die einst vielleicht auch in der Wiener Vorstadt geherrscht hat. Und es ist nicht von Belang, ob die Gesangsleistungen mehr festspiel- oder mehr stadttheatergemäß genannt werden dürfen. Immerhin ist mit Michael Schade ein Star Tamino II, es plagen sich Julia Novikova und Malin Hartelius mit den im Vergleich zu Mozart doch höchst ungeschickten Koloraturwünschen Herrn von Winters, es lassen zwei der „drei Damen“ in Metamorphosen aufhorchen: Nina Bernsteiner verwandelt sich in nichts Geringeres als die Venus, Christina Daletska in einen verführerischen Amor.

Und alles kommt rechtschaffen durcheinander – zuletzt gibt es um Pamina einen Zweikampf, den Michael Schade für sich entscheidet, obwohl auch Clemens Unterreiner als Widersacher Tipheus eindrucksvoll singt; wie übrigens auch sein ebenfalls baritonaler Begleiter Philippe Sly, der Zeugnis ablegt für die Funktionstüchtigkeit des Salzburger „Young Singers“-Projekts.

Beeindruckend kraftvoll und präzis die Leistung des Salzburger Bachchors, ordentlich die des Mozarteumorchesters unter Ivor Bolton.

Es geht ja insgesamt, wie schon gesagt, nicht um ein Festspielerlebnis im First-Class-Sektor, sondern um eine Entdeckungsreise, zu der man vielleicht nicht einmal in der Business-Class einchecken muss. Auch Fahrten in der Holzklasse können sehr lehrreich sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2012)

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