Innsbrucker Festwochen: Virtuose Gefühle nur in der Musik

(c) Innsbrucker Festwochen/Rupert Larl
  • Drucken

Francesco Provenzales „La Stellidaura vendicate“ (Die Rache der Stellidaura), uraufgeführt 1674 in Neapel, wird in Innsbruck zum Fest der Töne, doch die Inszenierung dämpft die Wirkung beträchtlich.

Im dritten Akt von „La Stellidaura vendicate“ (Die Rache der Stellidaura), uraufgeführt 1674 in Neapel, gibt es eine Stelle, an der der Librettist Andrea Perrucci seine Figuren beinah aus ihren Rollen „erwachen“ lässt: Da wundert sich Orismondo darüber, dass er einen Anschlag auf seinen Lebensretter Armidoro plant, um ihn als Liebeskonkurrenten auszuschalten, während dieser erstaunt feststellt, dass er den zu retten gezwungen sei, der ihn beleidige. Nur wenig fehlt zur erlösenden Antwort, dass das in Opern nun mal so sei (wobei die kuriosesten Wendungen sogar noch ausstehen). Eine Sekunde lang fühlt man sich an eine Passage beim Krimivirtuosen John Dickson Carr erinnert, der seinen Detektiv einmal feststellen lässt, es wäre schlicht lächerlich zu leugnen, dass sich alle Beteiligten in einem Roman befänden.

Die Verblüffung der um die gleiche Dame (nämlich Stellidaura) buhlenden Herren hätte auch ein später Moment der Erkenntnis und des Erwachens für jene Inszenierung werden können, in welcher die reizvolle Vertonung durch Francesco Provenzale (1624–1704) nun bei den Innsbrucker Festwochen zu erleben ist – doch er durfte in der Sicht von Francois De Carpentries unbemerkt verstreichen. Denn selbst dann, wenn die beiden stummen, durch das Stück huschenden „Zwillingselfen“ (Aurélie Remy, Morgane Lambinet) vor der Zeit mit einem „Fine“-Schild zunächst ein quasi realistisches, tragisches Ende favorisieren und erst auf Intervention des Spaßmachers Giampietro die Story stückgerecht weitergeht, indem sie sich durch wahnwitzige Zufälle zu einem Happy Ending hinbiegt, bleibt die Inszenierung in falsch verstandener Zurückhaltung stecken, die hier nur Fadesse bewirkt.

Heldenmut, Ehrgefühl, royale Hinterhältigkeit, konsequent falsch zugestellte Liebesbriefe, Gifttränke und zwei Scheintote, all das wird weder konsequent ironisiert noch vor allen augenzwinkernden Angriffen wegen galoppierender Unplausibilität in Schutz genommen, um es von der stückimmanenten komischen Ebene abzusetzen. Stattdessen bleibt beides unterbelichtet, das Hehre wie das Derbe – und was vielleicht als noble Diskretion gedacht war, hat kaum mehr als Langeweile zur Folge, der auch Karine Van Herckes weitgehend historisch inspirierte Ausstattung nichts entgegenstellen kann.

Hungerarie, auf alten Töpfen geklopft

Der ein artifizielles kalabresisches Kauderwelsch plappernde, nichts richtig und dabei doch alles recht machende Diener Giampietro, später ein Topos des Genres, reicht nicht, um den Abend szenisch zu retten: Wer in italienischen Dialekten nicht ausgesprochen firm ist, dem bleibt der Witz ohnehin verschlossen – und die in seinem Fall kursiv gesetzten, aber ebenso hochdeutschen Übertitel versuchen nicht einmal, die andere Sprachebene zu vermitteln. Nur dort, wo die Vis comica von Enzo Capuano halbwegs ungehindert aufblitzen darf, ist eine Ahnung der subversiv-urwüchsigen Kraft dieser Figur zu erhaschen – und wenn seine reizvolle Musik erklingt: Durch übermütig Purzelbäume schlagende Blockflöten, Gitarre, vor allem aber mit Tamburin und anderem Schlagzeug unterstützt, etwa alten Töpfen, auf die in einer Art Hungerarie geklopft wird, bringen seine Tänzchen und Späßchen herrlich lockere, vergnügte Abwechslung in den gleichsam hochoffiziellen Tonfall der ernsten Figuren.

Unter ihnen reüssiert vor allem Jennifer Rivera in der Titelpartie, welche die liebende Stellidaura mit glutvoll-wendigem Mezzosopran als ebenso zart empfindende wie in Verkleidung die Waffen schwingende, stolze Frau glaubwürdig machen kann. Von De Marchi und der farbreich agierenden Academia Montis Regalis bestens unterstützt, wird bei ihr besonders sinnfällig, wie virtuos Provenzale seine Musik, in ständigem Fluss zwischen Arioso und Rezitativ, aus dem Text und damit der Gefühlswelt der Figuren entwickelt – aber auch bei dem in mancherlei ungezügelt zürnenden Koloraturen sich ergehenden, abgewiesenen Orsimondo (Carlo Allemano schlägt sich wacker), der sich, Überraschung!, als ihr Bruder entpuppt. Adrian Strooper kann als Armidoro, dem Stellidauras Gunst gehört, stellenweise weder Unsicherheiten noch Unsauberkeiten verbergen, während Hagen Matzeit als Page Armillo mit klangvoll rundem Contertenor betört. Großer Premierenjubel.

Noch: 10. und 12. 8.; www.altemusik.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.