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Die verlobte Unschuld und der wenig nachhaltige männliche Liebesspieltrieb: Laura Aikin (als Marie) und Daniel Brenna (als Desportes) in Zimmermanns "Die Soldaten".

Foto: APA/BARBARA GINDL

Salzburg - Schon wieder hat es also einer getan. Schon wieder hat ein Regisseur in der Felsenreitschule selbige mit dem Bühnenbild quasi verdoppelt. Doch welch ein Unterschied zwischen jener diesem Monsterraum fremd gebliebenen "Zauberflöte" (von Jens-Daniel Herzog) und der Raumgestaltung von Bühnenbildner und Regisseur Alvis Hermanis. Einer Gestaltung, die bei Bernd Alois Zimmermanns "Soldaten" mit dem harten Arkadenambiente subtil verschmelzend kommuniziert.

Eine Art Reitschulhalle, in der sieben Pferde gemütlich ihre Kreise drehen, hat sich Hermanis ausgedacht, hinter deren Fenstern man gleich zum katastrophisch marschierenden Beginn zuckende Angstsoldaten sieht, die sich auf Betten im Würgegriff ihrer Albträumen wälzen. Die Halle wird für diese Inszenierung zu einer Art szenischem Aquarium (das auch durch Schattenspiele für Atmosphäre sorgt) oder zur Leinwand, auf die erotische Fotos projiziert werden - aus jener Zeit, da die Fotografie gehen lernte.

Vor der Halle finden sich - dicht über dem Orchestergraben - indes die eigentlichen Schauplätze aus der Zeit des Ersten Weltkriegs angesiedelt: Ob dabei aber Weseners Haus, in dem sich die Tochter dieses hilflosen Galanteriehändlers (fulminant: Alfred Muff), Marie, mit ihrer Schwester Charlotte (glänzend: Tanja Ariane Baumgartner) im Stockbettchen amourösen Fantasien hingibt. Oder das Domizil der Gräfin (packend und subtil: Gabriela Benacková), welche die längst im gesellschaftlichen freien Fall befindliche Marie bei sich beschäftigen möchte, um die Marie-Besessenheit ihres Sohnes, des jungen Grafen (solide: Matthias Klink), einzufangen. Oder schließlich das Soldatenmilieu - all die kleinen Dramenorte sind elegant (im Sinne der Gleichzeitigkeit von Szenen) in einer Reihe vor der Reithalle angeordnet.

Verwahrloste Voyeure

Es sind Schauplätze einer demolierten Kriegsgesellschaft, Zimmerchen voller Strohballen, die auch vor der "noblen" Welt der Standesdünkel nicht haltmachen. Der Krieg bringt jedoch nicht nur räumliche Verwahrlosung mit sich; demoliert sind auch die Soldatenseelen. Als Vergewaltiger oder onanierende Voyeure sind sie Opfer der verbiesternden Verhältnisse, von ihrem Leben Entfremdete, denen die Befreiung vom Triebstau nur in roher Form gelingen mag.

Marie, die naive Schwärmerin, kann hier nur scheitern. Im Zustand der Unreife und Leichtgläubigkeit wird sie von diesem Kollektiv gebraucht und weitergereicht. Der vage Traum von sozialem Aufstieg und echter Zuneigung (gebunden an Edelmann Desportes, den Daniel Brenna subtil singend als zynischen Schnösel porträtiert) endet in der Hungergosse, wobei Hermanis dieser Marie quasi ein Denkmal setzt: Im Finale steht sie auf der Halle, zwischen den drei Pferdekopfskulpturen, und schreit ihr Schicksal als über allem schwebende, rehabilitierte Leidensikone heraus.

Hermanis ist ein virtuoser Raumbeherrscher: Er schafft große, faszinierende Bilder, wie er auch intime Kammerspielchen zu komponieren versteht. Und er entgeht dabei der Versuchung, in dieser vom Werk intendierten Musiktheaterfuge, Szenen allzu grell umzusetzen.

Die Beziehung von Marie (großartiger Umgang mit allen körperlichen und vokalen Anforderungen: Laura Aikin) zu ihrem schließlich gedemütigten Verlobten Stolzius (packend: Tomasz Konieczny) stellt er zu Beginn wie einen Porzellan gewordenen bürgerlichen Traum dar, indem er das Paar in eine Art bewegliche Vitrine stellt. Und geht es um Gewalt oder Erotik, schafft Hermanis sublime Körperchoreografien abseits plakativer Eindeutigkeit. Es ist eine Art poetischer Surrealismus zu erleben, der bisweilen für groteske Komik sorgt und in Massenszenen Gestaltungskraft beweist, indem er dynamische Menschenskulpturen modelliert.

Das alles hat natürlich ein geniales Werk zum Fundament. Und alles wäre weniger eindringlich ohne die ordnende und gestaltende Hand von Dirigent Ingo Metzmacher, der es schafft, einen steten Klangfluss zu erzeugen und die Wiener Philharmoniker zwischen ruppiger Drastik und poetischem Klangstrom führt. Da Hermanis aber die Energie der Musik szenisch intelligent übersetzt, wurde den Salzburger Festspielen ein selten geglücktes Gesamtkunstwerk geschenkt.

Nach den meisten bisherigen Opernpremieren war dieses Präsent allerdings auch durchaus bitter nötig. Applaus für alle an diesem Kraftakt Beteiligten. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 22.8.2012)