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Salzburger Festspiele 2012

Die Soldaten
Oper in vier Akten
Musik von Bernd Alois Zimmermann
Text vom Komponisten nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


Koproduktion mit dem Teatro alla Scala, Mailand
Premiere am 20. August 2012 in der Felsenreitschule

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Salzburger Festspiele
(Homepage)

Über dem Abgrund balanciert

Von Joachim Lange / Fotos von den Salzburger Festspielen / © Ruth Walz

Alexander Pereira hat seine Festspiel-Intendanz mit einem nicht wirklich begeisternden Hochglanzprogramm begonnen. Die letzte große Produktion, Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann (1918 - 1970), fallen da völlig aus dem Rahmen. Sie sind gewissermaßen das zeitgenössische Feigenblatt.

Allerdings sorgen Ingo Metzmacher und die Wiener Philharmoniker für musikalisches Premium-Format. Dem Dirigenten ist in der Felsenreitschule (nach Luigi Nonos Prometeo und Al gran sole) nicht zum ersten Mal ein geradezu referenzverdächtiges Meisterstück mit einem Hauptwerk der Moderne gelungen! Was den Anhängern der Spätromantik gegenwärtig ihr Christian Thielemann, ist den Fans der Moderne ganz zur Recht eben ihr Ingo Metzmacher.

Vergrößerung in neuem Fenster

Ensemble

Mit bestechender Souveränität und sichtbarer Freude hat Metzmacher den gewaltigen, ca. 170köpfigen Orchesterapparat, inklusive der auf die Seitenemporen postierten Instrumentengruppen stets hochsouverän im Griff. Ein präziser Feinzeichner ist hier Herr über die gewaltige, hochkomplexe Klangarchitektur (ohne die eigentlich vorgesehenen Tonband- und Video-Zuspielungen). Mit ungetrübter Transparenz gelingt es ihm, einen grandios komponierten Abgrund geradezu sinnlich erlebbar zu machen. Über den dann sogar eine Artistin als Marie-Double - vielsagend und im wahrsten Wortsinn - auf dem Hochseil balanciert. Dieser Dirigent kämpft nie mit diesem archaisch eigenwilligen Raum, er flirtet vielmehr mit ihm. „Metzmacher kann Felsenreitschule“ - wie kein anderer. Und er füllt den Raum mit den exzellenten und kein bisschen fremdelnden Wiener Philharmonikern und dem erstklassigen Protagonisten-Ensemble musikalisch faszinierend tatsächlich aus. Was wäre eigentlich dabei, die Felsenreitschule, gleich neben dem „Haus für Mozart“, zum „Haus für die Moderne“ zu machen? Und das ausschließlich?


Vergrößerung in neuem Fenster Wesener (Alfred Muff), Marie (Laura Aikin)

Bei Zimmermanns wird die Melange aus Sozialdrama und Gesellschaftspanorama, die er aus der Lenz-Komödie über das frauenverachtende Machogehabe der Soldaten und den Abstieg von Marie von der naiven Bürgerstochter zur Soldatenhure macht, zu einer exemplarischen Anklage, die eigene Kriegserfahrungen verarbeitet. Regisseur Alvis Hermanis (47) aber, der in Österreich (vor allem mit seinem Wiener Platonow-Marathon, aber auch in Berlin mit Puschkins Onegin) gefeierte lettische Theaterspezialist für die hyperrealistische historische Atmosphäre, beplaudert die Bühne vor allem. Immerhin in ihrer vollen Breite und mit sieben waschechten Pferden hinter den eingebauten Arkadenbögen, über denen wie in Stein gemeißelt „FELSENREITSCHULE“ prangt. Samt drei Pferdeköpfen, über denen Marie am Ende in Art Extase endet, während in den Fenstern darunter, die davor schon Projektionsfläche für historische Pornoaufnahmen waren, eine ans Kreuz geschlagene Frau erscheint.

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Gräfin de la Roche (Gabriela Benacková)

Solch ein vielsagendes Augenzwinkern nimmt Zuschauer, die so demonstrative Authentizität auf den ersten Blick allemal goutieren, ebenso ein wie eine persönliche verbale Widmung der Aufführung für die gerade zu zwei Jahren Lagerhaft verdonnerten Punk-Frauen von „Pussy Riot“. Wovon sich freilich auf der Bühne nicht wirklich etwas findet. Bei Zimmermanns Zeitangabe für seine 1965 nach längerem Gezerre in Köln uraufgeführten Oper nach Jakob Michael Reinhold Lenz' (1751–1792) Stück von 1774 „gestern, heute und morgen“ beschränkt sich die Regie, ganz im Unterschied zur Musik, betont aufs gestern. So wie er das umfangreiche militärische und zivile Personal zum Leben erweckt, will er mit Nähe zu Lenz imponieren und seinem Publikum die lästige Nähe der Figuren eher vom Leibe halten. Durch den großen hyperrealistischen Rückgriff zumindest bis in die Zeit des ersten Weltkrieges verbaut er ihnen den Weg in die Gegenwart.


Vergrößerung in neuem Fenster Weseners alte Mutter (Cornelia Kallisch)

Im detailverliebten Einheitsraum mit Stroh und Spitzendeckchen, der Salon, Kaffeehaus und Etablissement, Kaserne und Pferdestall zugleich ist und Simultanszenen leicht macht, wir Marie regelrecht an eine notgeile Männer-Meute verfüttert. Laura Aikin bewahrt ihrer Marie dabei immer noch einen Rest Würde – eine grandiose Leistung, Tomasz Konieczny überzeugt als ihr Verlobter Stolzius mit seiner Wozzeck-Nähe und bringt am Ende (klüger als sein Bruder im Geiste) immerhin nicht seine Marie um, sondern die, die sie nur benutzt, missbraucht und ruiniert haben. Bei Hermanis gehen dabei gleich alle Soldaten, trotz der Gasmasken, die sie noch aufsetzen, zu Boden. Solche metaphorischen Griffe über den Rand des betont erzählerischen Kammerspiel sind die Ausnahme in dieser Inszenierung, die mit ihrer optischen Opulenz beim Publikum punktet, aber eben auch belegt, dass Zimmermanns Oper kein zu laut geratener Tschechow ist. Bei dem schafft Hermanis nämlich den Schulterschluss mit der Gegenwart, in der Oper aber mit ihrem musikalischen Emotionsstrom schneidet er seinen Figuren den Weg in die Gegenwart mit seiner Methode rigoros ab. Die Ovationen für Die Soldaten belegen jedenfalls (auch nicht zum ersten Mal), dass die anspruchsvolle Moderne auch in Salzburg ihr Publikum hat. Eine Uraufführung pro Jahr hat Pereira schon mal versprochen.


FAZIT

Die Soldaten sind die überzeugendste Opernproduktion des aktuellen Festspieljahrgangs. Szenische Einwände, die man gegen die Dominanz der historisierenden Opulenz machen kann, werden von der musikalischen Qualität dieser Aufführung überstrahlt!






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung und Bühne
Alvis Hermanis

Kostüme
Eva Dessecker

Licht
Gleb Filshtinsky

Regiemitarbeit
Gudrun Hartmann

Bühnenbildmitarbeit
Uta Grubner-Balleher

Dramaturgie
Götz Leineweber



Wiener Philharmoniker

Jazz Combo:
Johannes Bauer (Gitarre)
Tony Ganev (Kontrabass)
Rudolf Matajsz (Trompete)
Petkov Nedialko (Klarinette)


Sänger

Wesener, ein Galanteriehändler in Lille
Alfred Muff

Marie, seine Tochter
Laura Aikin

Charlotte, seine Tochter
Tanja Ariane Baumgartner

Weseners alte Mutter
Cornelia Kallisch

Stolzius, Tuchhändler in Armentières
Tomasz Konieczny

Stolzius' Mutter
Renée Morloc

Obrist, Graf von Spannheim
Reinhard Mayr

Desportes, ein Edelmann
Daniel Brenna

Pirzel, ein Hauptmann
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Eisenhardt, ein Feldprediger
Boaz Daniel

Haudy, Hauptmann
Matjaž Robavs

Mary, Hauptmann
Morgan Moody

Die Gräfin de la Roche
Gabriela Beòaèková,

Der junge Graf, ihr Sohn
Matthias Klink,

Andalusierin, Bedienerin
Beate Vollack,

Bedienter der Gräfin de la Roche
Werner Friedl

Drei junge Offiziere
Andreas Früh
Paul Schweinester
Clemens Kerschbaumer

Drei Fähnriche
Robert Christott
Stephan Schäfer
Volker Wahl,

Madam Roux
Anna-Eva Köck

Drei Hauptleute
Robert Christott
Stephan Schäfer
Volker Wahl

Junger Fähnrich
Rupert Grössinger

Der betrunkene Offizier
Frederik Götz



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