Gewalttätige Milde

Thomas Schacher ⋅ Mozarts «Clemenza di Tito» von 1791 hat nicht den besten Ruf. Warum? Der erste Grund ist politisch-gesellschaftlicher Natur: Im Vergleich etwa zu «Figaro», in dem Ideen der Französischen Revolution thematisiert werden, gilt «Tito», ein Auftragswerk für die

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Thomas Schacher ⋅ Mozarts «Clemenza di Tito» von 1791 hat nicht den besten Ruf. Warum? Der erste Grund ist politisch-gesellschaftlicher Natur: Im Vergleich etwa zu «Figaro», in dem Ideen der Französischen Revolution thematisiert werden, gilt «Tito», ein Auftragswerk für die Krönung Kaiser Leopolds II. zum böhmischen König, als reaktionär. Der zweite Grund bezieht sich auf das Musikalische: Die Rückkehr zur Opera seria, die Mozart mit «Idomeneo» aufgegeben hatte, erscheint als Rückschritt. Zudem wirkt die Figur des Tito reichlich blass.

Nicht leicht also, eine Neuinszenierung von «La clemenza di Tito» zu wagen, und das erst noch als Festivalpremiere, wie es nun das Luzerner Theater unternommen hat. Es war daher ein geschickter Schachzug des Intendanten Dominique Mentha, die Regisseurin Vera Nemirova einzuladen. Die Bulgarin stammt aus der Schule von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny und gilt als Verfechterin eines eigenwilligen Regietheaters.

Vera Nemirova sieht den römischen Kaiser Tito, den das Libretto in Abweichung von den historischen Tatsachen zu einem idealen Herrscher voller Milde und Güte emporstilisiert, mit ganz anderen Augen. Titos Milde erscheint als eine Form der Gewaltausübung, sein Handeln ist vom Willen motiviert, bei der Nachwelt gut dazustehen, sein Verzicht auf die Heirat mit der Königstochter Berenice aus Judäa kommt als Beziehungsunfähigkeit an. Auf der von Werner Hutterli als Innenraum des Kapitols eingerichteten Bühne präsentiert sich Tito bei seinem ersten Auftritt als geradezu lächerliche Figur: Zur Entgegennahme der Huldigung seines Volks erscheint der Kaiser, dargestellt vom Tenor Utku Kuzuluk, in schwarzen Frauenkleidern, und wie als Schürze trägt er darüber ein weisses Brautkleid (Kostüme: Frauke Schernau). Gemäss dem Libretto spendet er nun das Geld, das der Senat zur Errichtung eines Tito-Tempels gesammelt hat, für die Opfer des Vesuv-Ausbruchs. Bei Nemirova entfernt Tito das goldene Dach des Tempelmodells, dreht die Halbkugel um und zwingt das Volk, sämtliche persönlichen Schmuckstücke abzuliefern. Das ist wirkungsvoll, ist eine klare Deutung, aber es verkehrt die Botschaft des Stücks ins Gegenteil: Eine positive Figur wird zu einer negativen umgedeutet.

Die treibenden Kräfte der Handlung sind die beiden Unruhestifter Vitellia und Sesto, die Mozart auch musikalisch am interessantesten ausgestattet hat. Swetlana Doneva verkörpert Vitellia, die Tochter des ermordeten Kaisers Vitellius, als machtbesessene und skrupellose Frau. Da sie Tito nicht heiraten kann, will sie ihn kurzerhand umbringen lassen. Dass sie die (misslungene) Tat am Schluss bereut, nimmt man ihr nicht richtig ab; auch stimmlich überzeugt die Sopranistin als Intrigantin besser. Die alle überragende Figur dieser Produktion ist jedoch Marie-Luise Dressen als Sesto. Hat man sich einmal an die Hosenrolle gewöhnt – Mozart hat den Part für einen Kastraten geschrieben –, wird man von der unglaublichen Zerrissenheit dieser Figur vereinnahmt: hier die sexuelle Hörigkeit gegenüber Vitellia, dort die tiefe Freundschaft mit dem Kaiser, den Sesto im Auftrag Vitellias ermorden soll.

Als wenig profilierte Nebenrollen behandelt Mozart das Liebespaar Annio und Servilia, aus denen Carolyn Dobbin und Dana Marbach das Beste herausholen. Eine starke Aufwertung durch die Regie erfährt Publio, der Präfekt der kaiserlichen Prätorianergarde. Szymon Chojnacki demonstriert mit seiner harten Bassstimme und seinen drohenden Blicken, wer in diesem Römerreich wirklich die Macht hat.

Ein Problem von «La clemenza di Tito» sind die Secco-Rezitative, die bekanntlich nicht von Mozart stammen. Für die Produktion in Luzern hat der Dirigent Howard Arman etwa die Hälfte der Secco-Rezitative, in Anlehnung an andere Mozart-Opern, selber komponiert, was natürlich nicht unproblematisch ist. Am Pult des Luzerner Sinfonieorchesters geht Arman die instrumentale Schicht temperamentvoll an, was manchmal etwas zulasten der Leichtigkeit geht, andererseits immer wieder zu wirkungsvollen Höhepunkten führt.