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Das Spiel der Götter

Choreograf Lemi Ponifasio und seine Company aus Samoa inszenieren bei der Ruhrtriennale Carl Orffs „Prometheus“-Oper

Lemi Ponifasio weiß genau, was er nicht will: „Kein Theater, das in Büchern steht“. Der in Samoa geborene Performancekünstler und Choreograf will „keine Puppe des Theaters“ sein. Er macht sein eigenes Spiel. Die Ruhrtriennale hat ihn und seine MAU-Company engagiert, um die selten aufgeführte „Prometheus“-Oper von Carl Orff im Duisburger Landschaftspark zu inszenieren.

Intendant Heiner Goebbels begründet sein Interesse für das 1968 entstandene Werk mit der „wahrhaft utopischen Struktur“ dieser Oper. Von ihr könne das Musiktheater des 21. Jahrhundert eine Menge lernen. Orff bietet für Goebbels „eine radikale Alternative zur psychologisch motivierten Literaturvertonung“ und der konventionellen Operndramatik. Orff nehme vieles der amerikanischen Minimalisten vorweg, setze auf die Kraft des – unverstandenen – Wortes und den Klang der Sprache.

Die Kraftzentrale mit ihrer spiegelblanken Bühnenfläche liegt ruhig wie ein schwarzes Meer der Stille. Seitlich begrenzt wird ihre Tiefe und Weite von einer schrundigen, anthrazitfarben schimmernden Wand, auf der hoch oben die Musiker des Ensembles musikFabrik mit Dirigent Peter Rundel platziert sind.

In dem Opern-Libretto machen Besucher dem gefesselten Prometheus ihre Aufwartung: Gott Okeanos, der ihm zur Demut rät; die von Zeus sexuell begehrte, verfolgte und von Heras Eifersucht geschlagene und in eine Kuh verwandelte Io; sodann Hermes, der Botschaft vom obersten Olympier bringt.

Starke, machtvolle, scharf beleuchtete Bilder des Ursprungs lösen sich wie aus heidnischer Nacht. In einer Rinne aus Licht liegen zwanzig transparent bekleidete Choristinnen vom ChorWerk Ruhr, die sich später mit ihren Leibern gemächlich ins Dunkel des Bühnenhintergrunds rollen. Ein athletischer Tänzer stößt wie ein Vulkan eine Rauchsäule aus seinem Mund hervor, die sich in der Finsternis kräuselt. Hermes, von David Bennent mit vogelhafter Grazie und doch eisern harsch gespielt, quert mit bloßem Oberkörper das riesige Rechteck und rezitiert dabei Verse des Tragöden Aischylos.

Orff hat den alten Text teils neu rhythmisiert, teils in seinem Versmaß belassen. Der Wechsel von Gesang und Deklamation schafft eine körperhafte, enthusiastische Sprache. Dazu die animalisch grelle, archaisch umwitterte und von Affekten aufgeladene Musik. Es ist, als läge der Firnis von Jahrtausenden über der Urgestalt des antiken Stoffes.

Prometheus (Wolfgang Newerla) trifft es hart. Seine mythische Strafe hat sich dem Gedächtnis eingeschrieben. Gekettet an den Kaukasus, zerhackt ihm Tag für Tag ein Adler, Zeus’ Wappentier, die Leber. Des Nachts wächst sie dem gestürzten Titan stets nach. Unendliche Pein, bis zur Erlösung durch Herakles. Aber in der Geschichte, die Orff in Altgriechisch musikalisch nacherzählt, wird diese Tortur erst angekündigt.

Prometheus brachte als Mittler den Menschen „das Gedächtnis der Dinge“. Er lehrte sie Lesen, Schreiben und Rechnen, zudem Handwerk, Ackerbau und Viehzucht. Kurzum: Er lehrte sie, den Verstand zu benutzen. Er entzündete das Licht der Aufklärung, indem er den Sterblichen das Feuer schenkt. Ein Arzt der Menschheit, doch für Zeus ein Brandstifter und Straftäter.

Für Lemi Ponifasio hat sich, seit das Drama vor 2500 Jahren verfasst wurde, nicht viel verändert in der Welt. Er sieht in Prometheus zunächst schlicht „ein menschliches Wesen“. In den brutalen Ketten erkennt er dessen Bedeutung: Sie seien ähnlich wie für Jesus das Kreuz. Dahinter stellt sich ihm die Frage von Freiheit: „Prometheus ist nicht frei, sondern gefesselt. Wir sind frei, aber nicht zufrieden. Freiheit und Glück wurden zu Markennamen und zu Feinden unseres innersten Wesens.“

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Religiöse Riten sind dem Zögling eines katholischen Klosters in Neuseeland, der Philosophie und Politik studiert und sich in Asien und Europa umgeschaut hat, vertraut. Überhaupt: „Stärkster kultureller Berater“ sei die Religion. Aber mit verwundert amüsiertem Lachen stellt Ponifasio fest: „Nur die Europäer haben unsichtbare Götter. Und stellen Fragen wie: Sein oder Nichtsein. Bei ihm zu Hause würde es heißen: Sein und Nichtsein.“ Ponifasio lacht gern und unterläuft damit bohrende Fragen. Vieles findet er „funny“, nicht zuletzt sich selbst und die Ansprüche, die an ihn herangetragen werden.

Sich mit der Kraftzentrale in ihrer einschüchternden Dimension auseinanderzusetzen, bleibt für den Regisseur programmatischer Anspruch: „Die Politik der Architektur“ ließe sich nicht ignorieren, sagt Ponifasio. Besonders auch mit Blick auf die Choreografie der Körper im Raum. Für ihn ist „Tanzen die Natur der Seele in Aktion“.

Dafür ist MAU zuständig. 1995 in Auckland von Ponifasio nicht nur als Performance-Gruppe gegründet, sondern als Podium für Wissenschaft, Aktivisten und Intellektuelle. MAU nimmt namentlich Bezug auf Samoas Unabhängigkeitsbewegung und fungiert als Schaltstelle für Veränderung, Revolte und Vision.

Ponifasio trägt den Titel eines „Salá“, eines spirituellen Führers. Das ist jemand, der Samoas kulturelles Gedächtnis wahrt. Aber Ponifasio wiegelt gleich ab: Das bedeute nichts. Und er scherzt: Keines seiner neun Geschwister habe das Erbe antreten wollen.

Begriffe scheitern an seiner gelassenen Präsenz. Ein Wort wie „Methode“ belustigt ihn. Ponifasio spricht dafür lieber vom Erlebnis des Aufbruchs, wofür es im Samoanischen das Wort „Le Savali“ gibt. Prägend sei für ihn die Erfahrung des Lebens mit und in der pazifischen Natur. Er beschreibt den zyklischen Ablauf des Tages, das Aufgehen einer Blüte, den ersten Sonnenaufgang. Aber er macht keine Philosophie daraus: „Für Erleuchtung muss man nicht zwei Wochen unter einem Baum sitzen oder einen Berggipfel besteigen. Du kannst sie auch bei McDonald’s finden.“

Hier und Jetzt – das ist wichtig. Gewiss, sein Theater gründet sich in der Zeremonie, der rituellen Handlung und meditativen Versunkenheit. Aber das sind auch wieder nur unsere Versuche von Definition und Zuordnung. Ponifasio betrachtet das Theater als „Geburtsstunde der Gegenwart“, spricht von „emotionaler Therapie“ und davon, die Titanen in sich zu kontrollieren“. Der Zuschauer möge Anschluss finden an „sein größeres Selbst“. So sei auch sein Theater, sagt er schalkhaft: „Wie wenn man stundenlang am Meer sitze oder in den Himmel schaue. Aber in Duisburg gibt es keinen Strand, da gehen die Leute also ins Theater.“

Premiere: Heute Abend, Aufführungen: 18., 21.,23., 25., 27. September; Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord;Szenische Lesung von Heiner Müllers „Prometheus“ mit David Bennent, Josef Bierbichler, Inga Busch, Dale Duesing und Judith Rosmair: 19. und 20. September, Gebläsehalle, Landschaftspark; www.ruhrtriennale.de

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