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La forza del destino
(Die Macht des Schicksals)

Melodramma in vier Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
nach dem Drama Don Álvaro o La fuerza del sino von Ángel de Saavedra, Herzog von Rivas
und Wallensteins Lager von Friedrich von Schiller in der Übersetzung von Andrea Maffei
Ergänzungen und Korrekturen der Mailänder Fassung von Antonio Ghislanzoni (1869)
Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere in der Oper am Dom am 16. September 2012
Besuchte Vorstellungen: 16. und 18. September 2012


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Desillusionierung als (schwaches) Konzept

Von Thomas Tillmann / Fotos von Paul Leclaire


Der letzte große Skandal der Kölner Oper, der am 31. August mit der Rücknahme der fristlosen Kündigung von Intendant Laufenberg und einem Auflösungsvertrag samt Abfindung sowie der Ernennung von Birgit Meyer zur Nachfolgerin seinen vorläufigen Abschluss finden sollte, ging bei der ersten Saisonpremiere in der "Oper am Dom" (so der offizielle Titel für das Musicalzelt in hörbarer Nähe auch zum Hauptbahnhof, das sich aber als Interimsstätte gar nicht so schlecht macht) in die nächste Runde: Kurz bevor das Saallicht ausgeschaltet wurde, tönte ein lautstarkes "Bravo, Laufenberg!" durch den Zuschauerraum, in das viele Kölnerinnen und Kölner begeistert einstimmten, zumal der Gefeierte selbst sichtlich gerührt ins Publikum winkte (und in der zweiten Vorstellung ziemlich provokativ seine Eintrittskarte den im Parkett bettelnden Choristen in den Hut warf). Für manchen mag dieser ungewollte Prolog das Spannendste an diesem Abend gewesen sein, die Neuproduktion - übrigens nur sechs Jahre nach der Premiere der grauenvollen Vorgängerin von Christian Schuller, da fragt man sich auch, ob Verdi nicht noch andere großartige Opern geschrieben hat, die längere Zeit nicht in Köln aufgeführt wurden - hält nach zweimaligem Betrachten nicht, was der neue Chefdramaturg im Programmheft verspricht. Der Rezensent jedenfalls empfand das "Bildertheater" des Duos Olivier Py und Pierre-André Weitz keineswegs als besonders suggestiv, das "Trugspiel von Traum und Wirklichkeit", das "sich dem Betrachter gezielt als solches zu erkennen gibt", eher als fad, das "Spektakel vor den Augen einer höheren Instanz" als durchaus wirr, aber nicht als besonders inspiriert oder inspirierend, sondern in manchen Momenten eher als hilflos und ziemlich konventionell.

Szenenfoto

Don Alvaro (Enrique Ferrer) versucht Leonora di Vargas (Adina Aaron) davon zu überzeugen, dass sie noch in dieser Nacht aufbrechen müssen, um in der Ferne ihre Liebe leben zu können.

"Theater als desengano (also Desillusionierung)" heißt der Ansatz in Dramaturgen-Spanisch, und er offenbart in meinen Augen letztlich die Distanz zu einem Stück, das der Regisseur in seiner Gesamtheit nicht in den Griff bekommt, dessen Substanz er misstraut, was auch erklären würde, warum er albernen Pantomimen und der Statisterie mehr Aufmerksamkeit hat zuteil werden lassen als seinen Protagonisten, bei denen man das Gefühl hat, dass sie im Wesentlichen das tun, was ihnen selber eingefallen ist, gerade auch wenn man beide Besetzungen gesehen hat, warum er die längeren Arien mit Auftritten Verstorbener meint "aufwerten" zu müssen, warum Preziosilla einmal mehr zur Hauptfigur und Drahtzieherin des Stücks wird, was bereits während der hinreißend musizierten Sinfonia beginnt, wenn sie an den Orchestergraben tritt und mit Hilfe eines karussellartigen Bühnenbildmodells Projektionen auf die Bühne wirft, Silhouetten von Häusern, Kirchen, Betrieben, aber auch Panzern und Flugzeugen. Manches wird davon den ganzen langen Abend über in langsamem Tempo über die Bühne bewegt, wobei dem Konzept entsprechend stets zu erkennen ist, dass es sich um (düstere, wuchtige) Dekorationen handelt, die das Bühnenpersonal ebenso unnötig einengen und behindern wie die steilen Stufen am Bühnenrand, so dass die häufige Beschäftigung im Zuschauerraum unfreiwillig wie eine Flucht und weniger wie ein Regieeinfall wirkt. Leider geht einem als Zuschauer das ständige In-Bewegung-Sein des Bühnenbilds irgendwann ebenso auf die Nerven wie das platte Herumgeschmiere mit Theaterblut und der Einsatz von Bühnenschnee und -nebel, und leider führt dieser erhebliche szenische Aufwand auch weitgehend ins Leere, zumal er ablenkt von an sich nicht uninteressanten Ideen wie etwa derjenigen, dass das Ganze mitunter wie ein Traum wirkt, in dem Leonora die Warnungen des strengen Vaters verarbeitet, mit dem sie in einer Art Bunker lebt (der Marchese wirft seiner Tochter seinen viel zu großen Mantel über, später singt Leonora ihr "Pietà, Signor" zu ihrem plötzlich auf der Bühne wieder präsenten toten Vater). Immerhin, die Verantwortlichen beweisen Großzügigkeit, wenn sie im Programmheft einräumen: "Welches Resümee er daraus ziehen möchte, bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen."

Szenenfoto

Padre Guardiano (Liang Li) nimmt Leonora di Vargas (Adina Aaron) auf.

Star des Abends war zweifellos Adina Aaron, die bereits als Aida als zweite Besetzung die prominentere Hui He ausgestochen hatte und vor wenigen Monaten dreimal als Tosca in der Oper am Dom eingesprungen war. Die Amerikanerin verfügt über die kraftvolle, dramatische Sopranstimme, die für die Leonora di Vargas von Nöten ist, über eine exzellente, durchschlagkräftige Höhe ebenso wie über eine breite, tragfähige Mittellage und eine unverkrampfte, klangvolle Tiefe, sie singt berückende Piani und ist auch eine engagierte Darstellerin - sie durfte sich schon nach der ersten Arie über Brava-Rufe und am Ende über den größten Applaus freuen und reihte sich zweifellos in die Liste großer Kölner Vorgängerinnen wie Walburga Wegner, Isabel Strauss, Raina Kabaivanska und natürlich auch Leyla Gencer ein, die an der Seite von Giuseppe di Stefano, Aldo Protti und Cesare Siepi bei dem berühmten Scala-Gastspiel am Offenbachplatz im Juli 1957 die Leonora gab. Deutlich besser als vor sechs Jahren präsentierte sich Dalia Schaechter als Preziosilla, die sich mehr an Verdis Vorgaben orientierte und sich nicht allein auf außermusikalische und ihre etwas schrillen darstellerischen Mittel verlassen musste (und hinsichtlich des Strapskostüms durchaus Mut bewies). Im ersten Akt noch ein Totalausfall, steigerte sich Enrique Ferrer bei seinem ersten Alvaro immerhin im Laufe des Abends so, dass keine Buhrufe seine insgesamt schwache Leistung abstraften. Sicher, da gab es einige akzeptable Töne in der Mittellage, aber oberhalb derselben hörte man einen farblosen, greinenden, wobbeligen Stimmklang, der an Markieren erinnerte und der nichts weniger als eine Pein für das sensible Ohr war, nicht zuletzt wegen der schwankenden Intonation.

Szenenfoto

Don Carlo di Vargas (Anthony Michaels-Moore) ist getrieben von seinem Verlangen, seinen getöteten Vater zu rächen.

Anthony Michaels-Moore singt natürlich nicht erst seit gestern, das hört man seiner kraftvoll-virilen Stimme mitunter auch an, die mir ein bisschen allzu sehr auf Dauerforte getrimmt ist, aber nichtsdestotrotz gelang ihm vor allem wegen der intensiven Textgestaltung ein eindringliches, wenn auch wenig Zwischentöne aufweisendes Portrait des rachsüchtigen Don Carlo. Liang Li steht vor einer großen Karriere im Bassfach und ließ auch wenig Wünsche offen als Padre Guardino, wirkte aber neben dem darstellerisch wie vokal ausgesprochen engagierten Patrick Carfizzi etwas blass, während der junge Amerikaner als Fra Meltione mit seinem frischen, jugendlichen, schlanken Bassbariton, seinem nuancenreichen Singen und seinem ausgeprägtem, dennoch dezentem komödiantischem Talent wirklich aufhorchen ließ. Dirk Aleschus war ein ordentlicher, wenn auch am zweiten Abend etwas polternder Marchese, Ralf Rachbauer ein überzeugender Trabuco, und auch Young Doo Park (Alcade), Leonard Bernad (Chirurgo) und natürlich Andrea Andonian (Curra) hinterließen einen guten Eindruck in ihren kleineren Partien, ebenso wie die Damen und Herren von Chor und Extrachor, die gewohnt souverän Andrew Ollivant betreut hatte und die die häufigen Auftritte im Parkett überstanden, ohne dass die Präzision ihres Singens gefährdet war. Will Humburg gehört zweifellos zu den großen Verdidirigenten unserer Zeit - wie sorgfältig und konzentriert er musikalische Details herausarbeitet, wie aufmerksam er die Sänger führt und begleitet. Und wie schade, dass das Orchester in dem Musicalzelt so dumpf und eingeschränkt ans Ohr dringt.

Szenenfoto

Don Carlo (Anthony Michaels-Moore, rechts) hat die Identität Alvaros (Enrique Ferrer, links) herausgefunden und fordert ihn zum Duell.

Marie José Siri ist eine ordentliche Zweitbesetzung, die aus dem Umstand, dass ihr Sopran kein dramatischer ist, in lyrischen Momenten Kapital schlagen kann (ihre besten Momente hat sie zwischen der Arie und dem Duett mit Guardiano im 2. Akt). Im Forte aber hört man doch mitunter Schärfen und Flackern, und akkurater wird die Stimme, der es an Gewicht in der unteren Mittellage und Tiefe fehlt, hinsichtlich der Intonation dann auch nicht. Das Publikum feierte die Spanierin nach der letzten Arie, obwohl der Pianissimo-Spitzenton ein wenig "hängenblieb", und das tat dem Selbstbewusstein der Künstlerin offenbar gut, denn danach ging sie deutlich mehr aus sich heraus. Vsevolod Grivnov mag kein außergewöhnlicher Darsteller sein, aber sein kompaktes, robustes Timbre ist das richtige für den Alvaro; ganz leicht indes fiel ihm die Arie auch nicht, an manchen Stellen hörte man den nicht unerheblichen Krafteinsatz. Immerhin, es ist nicht selbstverständlich, dass ein tenore robusto wie er auch über solch sensible Pianotöne verfügt. Dimitris Tiliakos brüllte und brüllte als Don Carlo an vielen Stellen, an denen Verdi sich erfüllten dramatischen Gesang gewünscht hat, und er wäre insgesamt wohl weitaus uberzeugender, wenn da nicht das ausgeprägte Flackern in der Höhe wäre. Für Karin Wundsam müsste man den Begriff Mezzosoubrette erfinden, so wenig vokales Gewicht hatte sie als Preziosilla (und war auch darstellerisch allzu plakativ und ziemlich überfordert), in geeigneterem Repertoire (Monteverdi, Mozart) soll sie nach Angaben meines Kollegen einen deutlich besseren Eindruck machen. Schrill und klingelnd klang ihre Stimme in vielen Momemten und auch nicht sehr souverän bei den Acuti. Nikolay Didenko dagegen war mit vollen, ungefährdeten, balsamischen, trostspendenden Tönen, die über sein hölzernes Spiel hinwegsehen ließen, eine echte Alternative für den Padre.


FAZIT

Das ganz große Verdiglück stellte sich trotz einiger herausragender musikalischer Leistungen in der "Oper am Dom" nicht ein, aber die Produktion ist auch nicht so schlecht, dass bereits in der zweiten Vorstellung so viele Sitze hätten leer bleiben müssen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
Olivier Py

Bühne und Kostüme
Pierre-André Weitz

Licht
Bertrand Killy

Chor
Andrew Ollivant

Dramaturgie
Georg Kehren


Chor und Extrachor der Oper Köln
Statisterie der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

* Besetzung der Premiere

Il Marchese di Calatrava
Dirk Aleschus

Leonora di Vargas
* Adina Aaron/
Maria José Siri

Don Carlo di Vargas
* Anthony Michaels-Moore/
Dimitris Tiliakos

Alvaro
* Enrique Ferrer/
Vsevolod Grivnov

Padre Guardiano
Nikolay Didenko/
* Liang Li

Fra Melitone
Patrick Carfizzi

Preziosilla
* Dalia Schaechter/
Karin Wundsam

Mastro Trabuco
Ralf Rachbauer

Alcalde
Young Doo Park

Chirurgo
Leonard Bernad

Curra
Andrea Andonian

Chorsolisten
Susanna Martin
Nam-Uk Baik
Won Min Lee
Avram Sturz
Piotr Wnukowski
George Ziwziwadze




Weitere
Informationen

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