Dies illa: Fröhlicher Weltuntergang

Dies illa Froehlicher Weltuntergang
Dies illa Froehlicher Weltuntergang(c) Neue Oper Wien
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Neue Oper Wien: György Ligetis humoristisch-ironische Endzeitoper "Le Grand Macabre": szenisch etwas unklar, musikalisch von großer Schlagkraft.

Das Jahr, in dem die Menschheitsgeschichte endet: 2012. Wieder einmal. Oder wieder nicht? Der vom Maya-Kalender vermeintlich prognostizierte Weltuntergang in elf Wochen, mit welchem Werk ließe er sich zünftiger einläuten als mit Ligetis „Le Grand Macabre“? Das sagten sich jedenfalls Walter Kobéra und seine Neue Oper Wien – und glichen erneut begeistert und unermüdlich das aus, was viele etablierte und wohldotierte Theater dieses Landes ebenso erneut verabsäumen: die Pflege zeitgenössischen Musiktheaters jenseits des Musicals und anders etikettierter Anbiederung.

„Dies irae, dies illa“, lauten gleich die ersten Worte des Librettos von Michael Meschke und György Ligeti: Eine Komödie also, vermutet der Ironiker getrost – und behält recht. Was da eine nur von Autohupen gespielte, aufmüpfige Ouvertüre eröffnet, geriet Ligeti laut eigenem Eingeständnis zur „Anti-Anti-Oper“: 1975 bis 1977 komponiert und 1997 in die endgültige Fassung gebracht, die auch der aktuellen Aufführung zugrunde liegt, basiert das Werk lose auf einem Stück absurden Theaters des Flamen Michel de Ghelderode und spielt im fantastisch heruntergekommenen Fürstentum „Breughelland, im soundsovielten Jahrhundert“.

Nekrotzar als durchgeknallter Zombie

Andrea Cozzi hat dafür in der Halle E des Museumsquartiers die Bühne mit Gerümpel und Krimskrams zugemüllt und eine überaus pittoreske Kreuzung aus heruntergekommenem Wurstelprater, verwaister Bahnstrecke und Mietcontainer-Gelände geschaffen. Hier entsteigt ein junger Mann im Anzug seinem „Grab“, wie es im Libretto heißt: einem Auto, das er offenbar gerade um einen alten Maibaum gewickelt hat und an dessen Windschutzscheibe noch sein frisches Blut herunterrinnt. Nekrotzar nennt sich der Untote und beginnt das Leben des nicht minder kurios anmutenden Völkchens aufzumischen, das in Breughelland vorwiegend fröhlich frisst, säuft und bumst, indem er den nahenden Weltuntergang verkündet.

Dass Carlos Wagner in seiner Inszenierung den Nekrotzar weniger als böswilligen Verführer der Massen darstellt, sondern eher als durchgeknallten Zombie, verhilft der im Laufe des Stücks ohnehin immer schwieriger zu fassenden Handlung nicht zu mehr Klarheit, passt aber gut zum exzellenten Hauptdarsteller: Der grundsympathische Martin Achrainer turnt mit seinem markant-flexiblen Bariton nicht nur Ligetis anspruchsvolle Gesangslinien virtuos nach, sondern stürzt sich auch darstellerisch mit vollem Körpereinsatz in seine Partie. Als Maya-Häuptling ausstaffiert, lässt er sich als buchstäblich blutdürstiger Untergangsprophet vom Wiener Kammerchor huldigen, um dann so zu enden wie alle Vertreter dieser Zunft: in Schimpf und Schande.

Denn obwohl „der Komet“ tatsächlich kommt und nicht erst „aufs Jahr“ wie bei Nestroy, nämlich dann, wenn die zu Beginn auf 2012 stehende große Uhr im Countdown die Null erreicht hat, überleben alle: der kauzig-schrille Fürst (Sopranist Arno Raunig als altes Kind), seine Minister (Gerhard Karzel, Stephan Rehm), das SM-Paar Mescalina und Astradamors (Annette Schönmüller, Nicholas Isherwood), der trinkfreudige Sandler Piet-vom-Fass (Brian Galliford)... Eine Schar weiß gekleideter Kinder überwältigt Nekrotzar – nach allerlei Gewaltexzessen heißt es also: Vorsicht, positive Utopie!

Aberwitzig schrille Koloraturarien

Doch der erhobene Regie-Zeigefinger störte im absurd getönten Trubel nur wenig. Schwerer wog, dass just die großartige Jennifer Yoon als Chefin der Geheimpolizei falsch inszeniert war: Trotz originellen Lauschangriff-Kostüms verpuffte die aberwitzig schrille, beängstigend gedachte Virtuosität ihrer Koloraturarien fast wirkungslos, da sie, an ein Senioren-Elektrowagerl „gefesselt“, keinen grandios gefährlichen Glamourauftritt liefern konnte, sondern nur schrullig-harmlos wirken durfte. Ein Jammer.

Herrlich jedoch, wie viel Schlagkraft, aber auch subtile Schönheit das „amadeus ensemble wien“ unter Kobéras Leitung für die komplexe Partitur aufbringt, in die Ligeti mit diebischer Freude von barocken Formen über Serialismus bis zu Zeichentrick-Klängen alles verwoben hat, was nur ging. Herzlicher Jubel für das ganze Ensemble, dessen „Zauberberg“-artiger Schlussmoral man gerne zustimmte: „Fürchtet den Tod nicht, gute Leut'! / Irgendwann kommt er, doch nicht heut'! / Und wenn er kommt, dann ist's so weit... / Lebt wohl so lang in Heiterkeit!“

Neue Oper Wien

1990 gegründet, ist die Neue Oper Wien eine „freie Operngruppe“ ohne eigene Spielstätte. Sie spielt ausschließlich Werke des 20. und 21.Jahrhunderts; eines ihrer Ziele ist es, die Distanz zwischen Bühne und Zuschauern zu verringern. Seit 1993 ist Walter Kobéra ihr Intendant. Am 25. März 2013 gastiert sie in der (neuerdings vom Theater an der Wien zentral bespielten) Kammeroper mit zwei Kirchen-Einaktern von Benjamin Britten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2012)

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