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Musiktheater
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Carmen

Oper in vier Akten
Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Havèly
nach der gleichnamigen Novellevon Prosper Mérimée
Musik von Georges Bizet


Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Theater Aachen am 16. September 2012
(rezensierte Aufführung: 30.9.2012)

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Carmen ohne Kastagnetten, Tanz und Toreros

Von Michael Cramer / Fotos: Wil van Iersel

Gespannt war man auf die erste Produktion unter dem neuen GMD Kazem Abdulllah, einem 33-jährigem Amerikaner, der sich an seinem hoch qualifizierten Vorgänger messen lassen muss. Er demonstrierte bereitwillig, was sein neues Orchester drauf hat: musikalischer Duktus, sauber im Zusammenspiel, vorzügliche Bläser, samtige Streicher, durchaus ein hoher Klanggenuss. Eindrucksvoll erlebbar war die Harmonie des „Neuen“ mit dem alteingesessenen Orchester. Nur – muss es immer so schnell und so laut sein? Die Ouvertüre wurde rekordverdächtig durcheilt, an etlichen Stellen die Sänger überdeckt, so bei der Auftrittsarie des Escamillo, auch die kurzen Choreinwürfe schmerzten fast. Für den reinen Klangfetischisten zwar ein audiophiles Highlight, Musik bis zum Abwinken, aber hat Bizet in seiner Carmen nicht eigentlich Leichtfüßigkeit und Eleganz komponiert?

Szenenfoto Und ewig lockt das Weib

Die Aachener Version, französisch gesungen mit deutsch gesprochenen Dialogen, ist nicht unüblich, sie entspricht der ursprünglichen Opéra comique, kann allerdings bei ausländischen Sängern sehr problematisch sein, so auch hier. Der Kontrast zwischen einer eleganten französischen Gesangslinie und hartem, schwer verständlichen Akzent, verdross schon; auch wenn französisch gesprochen werden sollte, wären in jedem Fall Übertitel hilfreich, wie man es auch zunehmend etwa in Wagner-Opern erfährt.

Carmen ist zumeist folklorebelastet inszeniert, die Geschichte von der freiheitssüchtigen Heldin, dem aus Liebe desertierten Soldaten und dem Torero-Macho wird umrahmt von einem Wust an Kostümen und Spanien-Zubehör. Nichts von alledem in Aachen. Regisseur Michael Helle, der sich 2011 mit seiner Figaro- Inszenierung in Aachen viele Freunde gemacht hatte, versucht auch hier, mit einer stark ausstattungsreduzierten Inszenierung die Charaktere, das Handlungsgeflecht, die Dramatik der Personenbeziehungen herauszuarbeiten - halt ohne Rüschen und Kastagnetten. Das kann durchaus Sinn machen und wird oft praktiziert, da eine gute und schlüssige Opernstory auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten überzeugen kann, sofern die Musik nicht beschädigt wird. Letztere blieb in Aachen zwar heil, aber die Inszenierung überzeugte wenig. Das lag nicht an der Bühne, einer großen Halle mit roten Stützen, die sich durch Veränderung des Hintergrundes per rotem Rollrollo als Vorraum zur Zigarettenfabrik, mit einer kleinen Bar und Plastikstühlen zu Kneipe und zum Zigeunerlager und mit einem Stierbild als Platz vor der Arena brauchbar umfunktionieren ließ.

Szenenfoto

Verführung mit zermatschtem Obst - ob das klappt?

Für eine solche Inszenierung braucht es allerdings eine sehr intensive Personenführung, an der es oftmals haperte. Es fehlte an innerer Spannung und Pep, die Handlung plätscherte vor sich hin, da die Agierenden oft statisch herumstanden oder saßen, einigen der großartigen Arien fehlte durch letztere Körper-Position der auf das Publikum überspringende Funke, was sich auch an nur gelegentlichen und schwachem Zwischenapplaus verdeutlichte. Auch Micaela musste im Finale ihr Flehen, Jose heimzuholen, im Knien und angelehnt an eine Säule singen. Ebenso dem Chor, musikalisch stimmgewaltig und präzise (Andreas Klippert), fehlte individuelle Aktion: Man kam als Gruppe in eine Ecke, sang, drehte sich um und ging geschlossen wieder weg. Riesig allerdings der Auftritt und die Stimmen in dreieckiger Grundfläche und Abendgarderobe vor der Stierkampfarena: das machte Rückenschauer und Gänsehaut gleichzeitig.

Die Temperamentausbrüche waren hingegen oft überzogen, viel Sex und Gewalt gab es, albern die Soldaten in Kampfuniform, um die prügelnden Frauen zu trennen, ebenso der betrunkene Schmuggler mit rutschender Hose; Carmen wurde mit einem Kabelbinder gefesselt, peinlich die Verführungsszene mittels zermatschtem Obst. Für Heiterkeit sorgte dann allerdings eine Apfelsine, die fast in den Orchestergraben gerollt wäre.

Szenenfoto Der letzte Versuch- Carmen will nicht

Sanja Radisic als Carmen überzeugte in den Momenten, wo die Regie ihr darstellerischen Freiraum gewährt, als blutvolle Heldin mit einem ausdrucksstarken, flexiblen Mezzo, mit dramatischer Wucht, aber auch mit schlanker Leichtigkeit. Eine schicke Erscheinung, sexy in knappen Dessous, später kaum wieder zu erkennen in eleganter Abendgarderobe. Leider färbte die oft verordnete Bewegungsarmut auch auf ihren Gesang ab - er wurde blass und ein wenig harmlos. Auch die Micaela (Katharina Hagopian) ist von der Regie fast zu Madonna stilisiert, ein unerotisches Wesen mit engem Rock, Brille und auf flachen Schuhen, was sich auch bei ihr auf die stimmliche Darstellung abfärbte – schön aber halt brav. Erst im Schlussakt hatte sie ihren überzeugenden stimmlichen Auftritt.

John Ketilsson sang den Don José mit großer Stimme und sicherer Höhe, wenn auch in der Anfangsphase etwas forciert; erfreulich jedoch das gesangliche Zusammenspiel mit seiner Angebeteten. An seiner etwas groben schauspielerischen Darstellung sollte hingegen noch etwas gefeilt werden. Auch Sam Handley als Escamillo mit weißem Jackett überzeugte mimisch eher wenig, wahrlich kein Macho; er punktete aber mit Schöngesang, wenn auch manchmal ein wenig zu schön. Eine besondere Erwähnung verdienen die beiden Schmuggler-Damen Frasquita und Mercedes (Jelena Radisic und Astrid Pyttiks): sehr originell gespielt und hervorragend gesungen. Die übrige Besetzung agierte rollengerecht und stimmlich durchweg zufriedenstellend. Viel stehender Schlussaplaus.


FAZIT

Musikalisch ein sehr guter, wenn auch etwas lauter Einstieg des neuen Opernchefs, dem eine gute Zukunft zu wünschen ist. Szenisch eine ausstattungsarme Interpretation, bei der es an spannender Personenführung fehlt. Gesungen wird durchweg auf gutem Niveau.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kazem Abdullah

Inszenierung
Michael Helle

Bühne
Hartmut Schörghofer

Kostüme
Renate Schwietert

Chor
Andreas Klippert

Dramaturgie
Michael Dühn


Chor und Extrachor des
Theater Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

Frasquita
Jelena Rakic

Micaela
Katharina Hagopian

Mercédès
Maria Hilmes

Carmen
Sanja Radisic

Dancairo
Patricio Arroyo

Remendado
Louis Kim

Don José
Jon Ketilsson

Escamillo
Sam Handley

Zuniga
Pawel Lawreszuk

Moralès
Maximilian Krummen

Lillas Pastia
Jorge Escobar


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen
(Homepage)





Da capo al Fine

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