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Musiktheater
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Saul

Oratorium in drei Akten
Libretto von Charles Jennens nach Samuel 1 und 2 (AT)
Musik von Georg Friedrich Händel


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln   

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 7. Oktober 2012 


 

Logo: Theater Bielefeld

Theater Bielefeld
(Homepage)

Kreislauf der Macht

 Von Thomas Molke / Fotos von Kai-Uwe Schulte-Bunert


Dass Georg Friedrich Händels Oratorien heutzutage zunehmend in szenischen Produktionen die Opernbühnen erobern, mag mehrere Gründe haben. Zum einen hauchte der mit zahlreichen Opernkompositionen vertraute Händel dieser Gattung eine solche Dramatik ein, dass selbst alttestamentarische Stoffe in der Ausgestaltung die Qualität eines Dramas von Shakespeare erhielten. Zum anderen soll Händel auch selbst szenische Aufführungen seiner Oratorien im Sinn gehabt haben, die jedoch am Widerstand der anglikanischen Kirche scheiterten. Des Weiteren bieten die Oratorien den Theatermachern zahlreiche Möglichkeiten für eine Inszenierung, da die fehlenden Vorgaben für eine Bühne viele Freiräume lassen und einen modernen Blick auf ein Werk ermöglichen, der nicht unbedingt im Kontrast zum Libretto stehen muss und eine packende Geschichte erzählt. Letzterer Aspekt ist dem Regieteam um Jörg Behr in Bielefeld nicht in jeder Hinsicht geglückt, da bei aller Theatralik des Werkes einige szenische Umsetzungen problematisch sind.

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Saul (Frank van Hove, vorne rechts) beglückwünscht David (Clint van der Linde, vorne links) zu seinem Sieg über die Philister (hintere Reihe von links: Merab (Melanie Kreuter), Michal (Cornelie Isenbürger), Jonathan (Michael Pflumm) und Abner (Vladimir Lortkipanidze)).

Dies beginnt bereits mit der ersten Szene, wenn Behr den Chor und Extrachor in Abendgarderobe durch den Zuschauerraum die Bühne betreten und den Sieg der Israeliten über die Philister feiern lässt. Vier Chorsolisten, die als einfache Soldaten gekleidet von Davids Sieg über Goliath berichten, werden dabei von Sauls Bodyguards bedroht, die nur von der Masse des Chors davon abgehalten werden können, den vier Soldaten etwas anzutun. Will Behr bereits an dieser Stelle aufzeigen, dass König Saul ein Problem mit Davids Ruhm bekommt, um Sauls folgende Grausamkeit nachvollziehbarer zu machen? Dafür spricht eventuell, dass er David bei seinen ersten Auftritten den Propheten Samuel zur Seite stellt, der nach der Bibel einst Saul zum Fürsten gesalbt hatte, nun aber durch seine Begleitung Davids deutlich macht, dass Sauls Zeit abläuft und David der Mann der Zukunft ist, was er auch in der Geisterszene des dritten Aktes dem mittlerweile verzweifelten Saul prophezeit. Aber warum muss der Prophet bei den Hochzeitsfeierlichkeiten am Ende des ersten Aktes umgebracht werden? Warum wird er im zweiten Akt, wenn Sauls Häscher David nach seiner siegreichen Rückkehr aus einer weiteren Schlacht töten sollen, in Davids Bett erschossen? Weil später sein Geist erscheinen muss? Diese Begründung erscheint dann doch ein bisschen schwach.

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Saul (Frank van Hove) kommen Zweifel: Strebt David nach seinem Thron? (im Hintergrund: Damen des Chors)

Das Bühnenbild von Marc Weeger erweist sich gerade im ersten Akt für die Chormassen etwas problematisch. Sauls moderne Machtzentrale, die wie die Kostüme von Eva-Mareike Uhlig die Geschichte in der Gegenwart ansiedelt, wird nach vorne hin durch ein Bühnenpodest abgegrenzt, das dem Chor durch eine Absperrung den Zugang zu Sauls Büro verweigert, so dass sich der Chor und Extrachor an der recht schmalen Bühnenrampe tummeln müssen, was den Bewegungsspielraum extrem einengt und daher eine explizite Personenführung nahezu unmöglich macht. Erst wenn der Chor in den späteren Bildern hinter dem Podest agieren darf, gelingen Behr Chortableaus, die belegen, dass er auch große Massen in Szene setzen kann, wenn er den nötigen Platz dafür hat. Auf der rechten Seite des Podestes hängt ein zerbrochener Spiegel. Vielleicht symbolisiert er den König in seiner inneren Zerrissenheit. Jedenfalls gelingt Behr ein großartiges Bild, wenn Saul hinter diesem Spiegel seinem Sohn Jonathan erscheint und diesen auffordert, David umzubringen. Ob es einer homoerotischen Komponente zwischen David und Jonathan bedarf, um zu erklären, warum sich Jonathan gegen den Vater und für den Freund entscheidet, ist Ansichtssache. Ein Gefühl, das gemäß Libretto (und Bibel) über "Liebe zu einer Frau" hinaus geht, muss nicht zwangsläufig eine körperliche Komponente haben.

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Mehr als nur Bruderliebe? David (Clint van der Linde, links) und Jonathan (Michael Pflumm, rechts)

Warum im zweiten Akt mit drei am Boden liegenden Hochhäusern eine Stadt in Schutt und Asche angedeutet wird, lässt sich wohl auch eher als Metapher auf den allmählichen Zerfall von Sauls Herrschaft deuten. Diese Hochhäuser werden nämlich am Ende, wenn David zum neuen rechtmäßigen König Israels ausgerufen worden ist, aufrecht aus dem Schnürboden herabgelassen. Wie am Anfang tritt dann der Chor erneut durch den Zuschauerraum auf und preist den neuen König David. David trägt dabei aber nicht das Kostüm, in dem Saul im ersten Akt aufgetreten ist, sondern ist in die Uniform geschlüpft, die Sauls Sohn Jonathan im ersten Akt getragen hat, um die Idee der Nachfolge und nicht des Ersatzes zu manifestieren. Vielleicht kann damit für das Volk eine bessere Zeit anbrechen. Vielleicht deutet die Rückkehr zum Anfangsbild jedoch an, dass auch David den ewigen Kreislauf des Machtmissbrauchs nicht durchbrechen wird, da man ja zunächst auch in Saul große Hoffnungen gesetzt hat, die dieser nicht erfüllt hat. Der Prophet Samuel betritt wie im ersten Akt, nur dieses Mal ohne David, erneut den Balkon im Zuschauersaal und blickt mahnend auf den neuen König.

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Saul (Frank van Hove, rechts) fordert seinen Sohn Jonathan (Michael Pflumm, links) auf, David zu töten.

Handwerklich sehr gut gelingt der Anfang des dritten Aktes, wenn Saul sich zu der Hexe von Endor begibt. Die Lichtregie von Johann Kaiser gibt der Szene etwas Unheimliches und Irreales. Ob es ein Regie-Einfall ist, dass Vladimir Lortkipanidze, der kurz zuvor als Bodyguard Abner von Saul erschossen worden ist, als er sich schützend vor Jonathan stellte, nun als Hexe von Endor erscheint, bleibt offen. Jedenfalls sieht man unter seinem schwarzen Schleier noch sein blutverschmiertes weißes Hemd. Auch die anderen Hexen lassen sich unter ihrem Schleier noch als ehemalige Bodyguards erkennen. Die Tischbeine des umgedrehten Tisches wirken wie vier Schachbrettfiguren. Auch der Auftritt Samuels wird eindrucksvoll in Szene gesetzt. Warum Saul im Anschluss an die Prophezeiung jedoch seinen Sohn Jonathan absticht und sich anschließend selbst erschießt, bleibt unstimmig, da der Bote, der hinterher David den Tod Sauls meldet und ebenfalls von Vladimir Lortkipanidze gespielt wird, berichtet, Saul auf dessen Wunsch getötet zu haben.

Musikalisch ist die Produktion großteilig mit Ensemble-Mitgliedern besetzt, die in den jeweiligen Partien eine gute Figur machen. Michael Pflumm stattet den Jonathan mit einem kräftigen Tenor aus, der auch in den Höhen keine Probleme hat. Melanie Kreuter gefällt als Merab mit leicht dramatischer Stimmführung, und Cornelie Isenbürger stattet die Michal mit warmem Sopran aus, der dem zarten Charakter der Rolle gerecht wird. Vladimir Miakotine überzeugt als Geist Samuels mit kräftigem Bass. Lianghua Gong verfügt als Hohepriester über schöne Höhen, benötigt allerdings im tieferen Register etwas mehr Volumen. Chor und Extrachor unter der Leitung von Hagen Enke bewältigen die anspruchsvolle Partie mit großer Durchschlagskraft. Bei den Tempi könnte noch ein bisschen sauberer gearbeitet werden. Gerade beim Gang durch den Zuschauerraum scheint der Blickkontakt zum Dirigenten zu fehlen, so dass die Abstimmungen mit dem Orchester an diesen Stellen nicht immer ganz sauber sind. Alexander Kalajdzic gelingt mit den Bielefelder Philharmonikern ein respektabler Barockklang.

Für die beiden Hauptpartien wurden zwei Gäste engagiert. Der Bass Frank van Hove stattet die Titelpartie mit kräftigem Bass aus, dem es aber stellenweise an Schwärze für die Partie fehlt. So wirkt van Hove in Sauls wahnsinnigen Momenten nicht immer ganz so böse, wie es die Musik suggeriert. Höhepunkt des Abends ist der Countertenor Clint van der Linde, der den David mit warmer und weicher Stimme ausstattet und mehrfach Zwischenapplaus für seine Arien erntet. Am Ende gibt es großen und lang anhaltenden Applaus für die Solisten, die Musiker und den Chor und allgemeine Zustimmung für das Regieteam.

FAZIT

Das Theater Bielefeld belegt, dass Händels Oratorien dramaturgische Umsetzungen vertragen können, auch wenn nicht jeder Regie-Einfall von Jörg Behr überzeugen kann.     



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Kalajdzic   

Inszenierung
Jörg Behr    

Bühne
Marc Weeger

Kostüme
Eva-Mareike Uhlig

Licht
Johann Kaiser

Choreinstudierung
Hagen Enke

Dramaturgie
Uwe Sommer-Sorgente


 

Bielefelder Opernchor

Extrachor des Theaters Bielefeld

Statisterie des Theaters Bielefeld

Kinder der Ballettschule des
Theaters Bielefeld

Bielefelder Philharmoniker


Solisten

Saul
Frank von Hove

Jonathan
Michael Pflumm

Merab
Melanie Kreuter

Michal
Cornelie Isenbürger

David
Clint van der Linde

Hohepriester
Lianghua Gong

Der Geist Samuels
Vladimir Miakotine

Abner / Hexe von Endor /
Ein Amalekiter

Vladimir Lortkipanidze

Chor-Soli
Franziska Hösli
*Orsolya Ercsényi /
Vuokko Kekäläinen
In-Kwon Choi /
*Seung-Koo Lim
*Yun Geun Choi /
Ramon Riemarzik



 

Weitere Informationen
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