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So war „Im Weißen Rössl“ - Premierenkritik

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Szenen einer Noch-nicht-Ehe: Kellner Leopold (Daniel Prohaska) mit Chefin Josepha (Sigrid Hauser).
Szenen einer Noch-nicht-Ehe: Kellner Leopold (Daniel Prohaska) mit Chefin Josepha (Sigrid Hauser). © dashuber

München - Die Aufführung könnte Kult werden. Mit Ralph Benatzkys „Im Weißen Rössl“ legte Regisseur und Neu-Intendant Josef E. Köpplinger einen Kavalierstart in seine Gärtnerplatz-Ära hin.

Am Donnerstag war umjubelte Premiere im Ausweichquartier, dem Fröttmaninger Theaterzelt.

Die Besetzung

Dirigent: Michael Brandstätter. Regie: Josef E. Köpplinger. Ausstattung: Rainer Sinnell. Choreographie: Karl Alfred Schreiner. Darsteller: Sigrid Hauser (Josepha), Daniel Prohaska (Leopold), Hans Teuscher (Giesecke), Iva Mihanovic (Ottilie), Tilmann Unger (Siedler), Michael von Au (Sigismund), Wolfgang Kraßnitzer (Hinzelmann), Bettina Mönch (Klärchen), Maximilian Schell (Kaiser), Wolfgang Schubert (Ketterl), Jan Nikolaus Cerha (Piccolo), Florian Wolf (Oberförster) u.a.

Was für ein Verdacht. Nicht Beethovens Tatatataaa, nicht Mozarts Vogelfängerlied oder Verdis mobile Donnas rangeln um Platz eins der ewigen Hitliste, sondern alle Nummern aus dem „Rössl“. Was für eine Belastung also: Wo jeder den „schönen Sigismund“ oder den Titelwalzer mindestens mitsummen kann (Obacht: Mitsingvorstellungen sind geplant), da trifft der Theatermacher auf fest verpanzerte Erwartungen und Erfahrungen.

Ralph Benatzkys Singspiel also ein Selbstläufer, eine sichere Miete? Eben nicht: vor allem auch ein Risiko. Und dann gleich zu Beginn von Josef E. Köpplingers Intendanz. Mehrfach hat er sich mit dem Stück schon auseinandergesetzt, es förmlich inhaliert, das spürt man. An solch einem ungewöhnlichen Ort jedoch, im Riesenzelt, und dann auch noch als Visitenkarte, das ist schon heikel.

Köpplinger, so sein Erfolgsrezept, zwingt das „Rössl“ nicht zur Dressur, sondern belässt’s bei der Natur. Benatzky, die vielen Berliner Initiatoren und Textdichter Robert Gilbert zielten anno 1930 ja nicht auf Bilderbogen-Kitsch, sondern auf Satire. Diese Fröttmaninger Welt ist tatsächlich himmelblau. Mit liebevoll bepinselten und beweglichen Laubsäge-Wellen, Wölkchen-Himmel und schief hängendem Bilderrahmen inklusive Ausblick aufs gemalte Gebirge. Rainer Sinnells Bühnen-Einfälle sind so etwas wie Kulisse gewordenes Augenzwinkern, seine Kostüme, allesamt maßvoll ironisierte Originale, eine Augenweide.

Und irgendwann ist man überrascht, mit wie wenigen Requisiten die Sache eigentlich auskommt. Ein paar Gartenstühle, ein paar Tische, gut, auch Extras wie Blechkannen, die herabfahren und Schnürlregen signalisieren. Aber solch Reduktion fällt gar nicht sofort auf, weil Köpplinger etwas hat, das vielen Kollegen mit Faible für die leichte Muse abgeht: Gefühl fürs Timing, für den Rhythmus einer Aufführung. In hohem Tempo startet der Abend, hängt nur im zweiten Teil etwas durch, tänzelt dabei gekonnt zwischen Kurzzeit-Kitsch, Klipp-Klapp-Komödie und Revue.

Die Handlung

Kellner Leopold macht Chefin Josepha schöne Augen. Diese jedoch ist verliebt in den Berliner Rechtsanwalt Dr. Siedler. Seine Anwesenheit im „Weißen Rössl“ wird vom Fabrikanten Giesecke, der mit Tochter Ottilie Urlaub macht, ungern gesehen, da er gegen ihn und dessen Mandanten Sülzheimer einen Prozess verloren hat. Dr. Siedler macht Ottilie Avancen. Leopold wird nach einem Streit mit Josepha gekündigt – und wieder eingestellt, da Kaiser Franz Joseph ins Rössl kommt. Er rät Josepha, Leopold zu erhören.

Köpplinger ist ein versierter, liebevoller, wirkungsbewusster Menschenbeschäftiger. Ein eingespieltes Paar wie Daniel Prohaska (Leopold) und Sigrid Hauser (Josepha) nimmt das erst recht gern auf. Er: mal bockiger Bub, mal gamsiger Kater, dazu mit einer idealen Stimme gesegnet, vom Sprechgesang bis zum Heldischen kommt alles locker durch die Kehle. Und sie: eine Wirtin mit Biss und wie beiseite hingeworfenen Befehlen, die ihre Emotion freilich durchschaubar hinterm Dauer-Schnippischen verbirgt. Sigrid Hauser changiert dabei zwischen kernigem Sprechen und flirrend-zarten Sopranhöhen, was dem Ganzen eine zusätzliche, vielsagende Note beschert.

Auch das übrige Personal ist aus dem „Rössl“-Musterbuch. Hans Teuscher als raubauzig berlinernder Giesecke, Tilmann Unger als Business-Sonnyboy Siedler, Wolfgang Kraßnitzer als wunderfein leiser Hinzelmann, Iva Mihanovic als zartbittere Ottilie, Bettina Mönch als leicht abgedrehtes, lispelndes Klärchen und Michael von Au, dessen fahrig-hochtouriger Sigismund viel zu wenig vorkommt: Von diesem singenden Theatertier hätte man schon gern mehr genossen. Und der Weltstar? Maximilian Schell (der übrigens nicht in allen Vorstellungen dabei ist) gibt den Kaiser ganz stückgemäß als entrückten Blaublüter. Eine Art Alien mit Federhelm, das sich wie aus Versehen in die Szenen einer Noch-nicht-Ehe am Wolfgangsee verirrt hat.

Huldigung an den Weltstar: Maximilian Schell als Kaiser.
Huldigung an den Weltstar: Maximilian Schell als Kaiser. © -

Fast für jede Humorfraktion ist etwas im Angebot. Köpplingers Extras (unterstützt von Karl Alfred Schreiners Choreographie) sind manchmal herrlich schräg wie das Amor-Ballett, auch verzichtbar wie die tanzenden Kühe und nehmen Anleihen bei Loriot oder beim schwarzen Humor der Monty Pythons, wenn der heiser lachende Oberförster (Florian Wolf) endlich sein bedirndltes Opfer erschossen hat. Ein, zwei Gags sind Fehlzündungen. Und die Überfülle des ersten Teils rächt sich im zweiten, der etwas in sich zusammensackt, um dann das Finale wie einen Kaltstart zu servieren. Kann sich alles bei gut dreißig Vorstellungen noch geben, ohnehin schnurrt die Premiere so dicht ab, als spiele man schon einen Monat lang.

Was dem Ganzen noch zugutekommt: Man vertraut nicht auf die bekannte Fassung, sondern auf die jazzige Originalpartitur. Mehr rhythmisches Skelett also, weniger Streicherkleister. Noch mehr Satire, weniger Operettensülze. Michael Brandstätter, erster Kapellmeister des Hauses, gibt folglich weniger den hyperpräzisen Kontrollator, sondern den lässigen Bandleader. Das Gärtnerplatzorchester kommt damit bestens zurecht, die links von der Bühne postierte kleine Swingband sowieso. Wer’s deftiger mag, ist im Foyer gut bedient, mit einem Rahmenprogramm zwischen Blasmusik, Bandltanz und Bauchladenmädchen. Münchens neues „Rössl“: ein Gesamtkunstwerk also – und ein Muss.

Markus Thiel

Weitere Aufführungen, darunter Kinder- und Jugend- sowie Mitsingvorstellungen, bis 31. Dezember, Telefon 089/ 2185-1960.

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