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Hinter
der Buffo-Fassade Mozarts 1786 in Wien uraufgeführtes Werk Le nozze di Figaro ist seine erste Zusammenarbeit mit Lorenzo da Ponte: Eine „Opera buffa“ mit leicht grotesk burlesk verspielt dramatischen Momenten, deren tragik-komische, differenzierte Charakterzeichnung sich besonders in den Ensembles und Aktfinali zeigt. Welch musikdramatisches Meisterwerk sich dahinter verbirgt, offenbaren im Palladium das Gürzenich-Orchester und Konrad Junghänels historisch geprägte, lebendig inszenierte, wunderbar akzentuierte, sprechend gestaltete Interpretation.
Vor diesem Hintergrund entwickelt Benjamin Schad, der kurzfristig für den ehemaligen Intendanten Uwe Eric Laufenberg eingesprungen ist und für die Kölner Inszenierung von Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“ 2012 mit dem Götz-Friedrich-Regiepreis ausgezeichnet wurde, das Szenario einer sich im Umbruch befindenden Gesellschaft. Thema ist die Liebe zwischen Besitzansprüchen, Macht und Eifersucht. Gemeinsam mit der Musik entsteht eine versöhnlich endende, zwischen Tragik und Komik changierende, hintersinnige Momentaufnahme, in der Gefühle und Wünsche der Protagonisten detailliert und anspielungsreich beleuchtet werden. Aus der „Opera buffa“ ist eine „Oper in 4 Akten“ geworden. Zu Beginn lachen den Zuschauer noch ein männlich- und weibliches Strichmännchen auf einer schwarzen Hauswand an. Sie sind mit weißer Kreide gezeichnet und fassen sich an den Händen. Jemand hat einen violetten, erigierten Riesenpenis hinzugefügt. Zur Ouvertüre zeigt Schad, wer wie reagiert. Vorbei gehen, Ignorieren, Lachen, sich abwenden, Augen zuhalten, den Penis wegwischen, verkleinern wollen, aber – oh Malheur, das Wischen zieht einen Riesenfleck nach sich – was lachend vom Publikum kommentiert wird. Einfalls- und anspielungsreich weiß Schad mit den Erwartungen und Emotionen des Publikums zu spielen. Die Außenwand wird in der ersten Szene zu einem mit Schaukelpferd garnierten, an eine Baustelle erinnernden Innen, das der Graf überraschend betritt, in dem er sich umständlich durch „zarte“ Plastikhaut kämpft.
Ensembleszene aus dem 4. Akt Schritt für Schritt zerfällt jedoch die Buffa-Motorik, macht einer tragik-komischen Suche Platz, in der die Geschlechter sich eifersüchtig belauern, verletzen und aneinander vorbei agieren. Die nächtlichen Verwirrungen des vierten Aktes entwickeln sich zu einer Art psychoanalytischer Traumlandschaft. Tobias Flemming hat dazu den Bühnenraum mit schwebenden, gesichtslosen, sinnlich-üppigen an Botero-Skulpturen erinnernden Stoffpuppen ausgestattet. Dazu tanzen barocke Pärchen mit fantasievollen Turmfrisuren Menuett. Im Hintergrund lenkt der intrigante Basilio die erotischen Geschicke. Nicht nur die Figur der Marcellina wird mit ihrer normalerweise gestrichenen Arie im vierten Akt aufgewertet. Mit viel Einfühlungsvermögen beleuchtet Schad auch den tragik-komischen Charakter Cherubinos. Mit Lockenkopf und Pagenoutfit verkörpert Adriana Bastidas-Gamboa eine naive, tollpatschige Putte, die zugleich tragik-komische Projektionsfläche der Anderen ist. Wie sie körperlos, mehr hauchend als singend, schlank, in ruhigem Zeitmaß die Melodietöne von „Voi que sapete“ aneinander zieht, führt die ganze Tragik dieser Figur, die sich aussichtslos gegen ihre Verkleidung wehrt, vor Augen und wurde vom Premierenpublikum mit viel Applaus bedacht.
Zu Beginn des
2. Aktes führt Schad mit Fantasie und
Liebe
zum Detail kleine, den Protagonisten
nachempfundene Spielfiguren in das
turbulente Geschehen ein. Während
Contessa Almaviva - von Maria Bengtssons
klangvollem Sopran mit Empfindsamkeit und
Grandezza zugleich ausgestattet - in
einem schmucklosen, weißen Raum
voller Schmerz über die
enttäuschte Liebe, die
Figuren einzeln vor die weiße Kiste
platziert und ihren kleinen Ersatzgatten
an
sich drückt, um am Ende der Kavatine
verzweifelt am Boden zu liegen, schleudert
ihr tobender, eifersüchtiger Gatte
die Cherubino-Ersatzfigur auf den Boden,
benutzt Figaro sie, um seine Pläne zu
erläutern.
Überhaupt
lassen Orchester und das transparent und
musikalisch gestaltende Gesangsensemble in
Arien und Ensembles hier im zweiten
Akt die ganze Charakterisierungskunst
Mozarts aufblitzen. Eine zwischen
Stillstand und Bewegung pendelnde Dramatik
der Handlung und eine noch
komplexere Dramatik der Musik fließen
nahtlos ineinander, sodass ein
wunderbares, mal be-, mal entschleunigtes
Dialogisieren entsteht. Zu dem
wundervoll besetzten Gesangsensemble
zählt auch
Claudia Rohrbach, die für die
erkrankte Ofelia Sala einsprang. Sie ist
eine mal
schlank, mal leicht vibrierende, mit ihrer
Stimme dynamisch und artikulatorisch
auch in den Rezitativen ausdrucksstark
singen- und spielende Susanna. Matias
Tosis klangvoller, klarer, lyrischer
Bass-Bariton verkörpert einen
herausfordernden Figaro. Mark Stone
charakterisiert den Conte Almaviva
flexibel, mal lyrisch schmeichelnd, mal
dramatisch, brustig aufbrausend. Hilke
Andersens stellt eine naive,
koloraturbewegte Marcellina dar. Gilles
Cachmaille
überzeugt in seiner Arie als
virtuoser, rachelüsterner Bartolo.
FAZIT Eine musikalisch überzeugende,
einfallsreich inszenierte, die tragik-komischen
Seiten der Mozart-Oper auslotende Inszenierung. |
ProduktionsteamMusikalische LeitungKonrad Junghänel Inszenierung Benjamin Schad Bühne Tobias Flemming Kostüme Stephan F. Rinke Licht Nicol Hungsberg Dramaturgie Olaf Schmitt Chorleitung Andrew Ollivant Choreografische Mitarbeit Yasha Wang
Solisten* Besetzung der PremiereConte Almaviva Mark Stone Contessa Almaviva Maria Bengtsson Susanna Claudia Rohrbach* Figaro Matias Tosi Cherubino Adriana Bastidas Gamboa Marcellina Hilke Andersen Basilio Martin Koch Don Curzio Alexander Fedin Bartolo Gilles Cachemaille Antonio Ulrich Hielscher Barbarina Ji-Hyun An Mädchen Aoife Miskelly Mädchen Marta Wryk
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