So ist Jörg Widmanns und Peter Sloterdijks Oper "Babylon"

Wirkungen ohne Ursache: Die Uraufführung prunkt auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper mit babylonischen Dimensionen
| Robert Braunmüller
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Jörg Widmanns und Peter Sloterdijks Oper „Babylon“ prunkt auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper mit babylonischen Dimensionen

Riesig ragt der Turm von Babel in den Bühnenhimmel. Die Klötze bewegen sich bedrohlich, dann fährt vor dem Orchestergraben ein schützendes Netz hoch, ehe das Bauwerk krachend zusammenfällt, als Symbol für den Sieg der Vernunft über Götter und Opfer. Ein unmittelbarer Moment, wie er nur im Theater möglich und erlebbar ist.

Es bleibt leider der einzige. Der dichtende Philosoph Peter Sloterdijk ließ vor der Uraufführung durchblicken, wie wenig er von konventioneller Dramatik hält. Leider ist aber auch nicht in sein Denkerstübchen durchgedrungen, was sich in den letzten Jahren zwischen Helmut Lachenmann, Christoph Marthaler oder Heiner Goebbels an postdramatischem Musiktheater ereignet hat.
Sloterdijk hat ein religionsgeschichtliches Ideendrama verbrochen, dessen Papier gewaltig raschelt und in dem die singende Seele das Ewigweibliche beschuldigt, den Mann vom Geistigen in den Eros hinabzuziehen. Es ist erstaunlich, dass einer im 21. Jahrhundert sich noch traut, solchen Quatsch aufzuschreiben.

Jörg Widmann hat die verschwurbelten Monologe und gipsernen Szenen virtuos vertont. Der gebürtige Münchner kann alles: Er zaubert aus dem Akkordeon ein Zweitorchester, erfindet Melodien, die einem auch am Tag danach durch den Kopf geistern, lässt das tiefe Holz knurren und streift in der Eingangs-Szene sogar die Sphäre der Klangkunst. Das alles ist so metiersicher, opulent, prätentiös und hohl wie die „Ägyptische Helena“ des späten Richard Strauss.

Lustig kann Widmann allerdings nicht. Der piefige Humor der Karnevalsszene erschöpft sich darin, das Staatsorchester „Wir sind die lustigen Holzhackerbuam“ und die geklaute Kokosnuss spielen zu lassen. Und für Theater interessiert sich die Musik auch zu selten: Den Septetten und dem Chor bleibt nichts anderes übrig, sich an der Rampe zu reihen und wie in Uropas Oper mit den Händen zu ringen, weil der Dichter seinen wandelnden Sprechblasen jedes Handeln und Zuwiderhandeln strengstens verboten hat.

Um dieses rituelle Stehtheater vor der Langeweile zu erlösen, kippte das Team von La Fura dels Baus um den Regisseur Carlus Padrissa eine Ladung bewegte Videos darüber. Es gibt nacktes Kostümfleisch, mit Staatsopernblattgold dick verziertes Straßentheater, einschließlich einer eindrucksvollen Feuer- und Wasser-Probe, die jede „Zauberflöte“ zieren würde. Aber weil nicht jede Wirkung auch eine Ursache hat, bleibt es ein szenisches Soufflé, nach dessen Genuss einen bald nach was Reellem hungert.

Der Leitung der Staatsoper kann man nicht vorwerfen, an irgendeinem Eck gespart zu haben. Statisten, Ballett und Bühnentechnik werden nicht geschont, das Staatsorchester unter Kent Nagano lässt es mächtig und mit aller Sorgfalt krachen. Anna Prohaska und Claron McFadden prunken mit Busen, Koloraturen und Extremgesang, der Bassist Willard White verleiht dem Priesterkönig bassgewaltige Undurchsichtigkeit und der Counter Kai Wessel erstaunt mit Höhen und sonoren Tiefen.

Nur: Warum? Wozu? Jede Premiere der Ära Bachler versucht, die alten Texte dem Zuschauer aktualisierend nahe zu bringen – mit teilweise bestürzender Wirkung. Dieses funkelnagelneue Professorenmusiktheater über die Abschaffung des Menschenopfers im Zweistromland bleibt dagegen abgehoben und unberührt von jeder Gegenwart. Es wird Zeit, dass diese Sorte Kunstgewerbe endlich zusammenkracht wie der Turm von Babylon.

Wieder am 31. 10., 3., 6. und 10. 11. Karten 2185 1920

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