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Musiktheater
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Babylon

Oper in sieben Bildern
Libretto von Peter Sloterdijk
Musik von Jörg Widmann


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 25' (eine Pause)

Uraufführung am 27. Oktober 2012 an der Bayerischen Staatsoper München




Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Sieben-Tage-Woche für alle!

Von Roberto Becker / Fotos von Wilfried Hösl

Sage keiner, es gäbe nichts Neues auf der Opernbühne. Es gelingt auch heute immer wieder, die Zuschauer zu packen. Mit einer (oft aus der Literatur bekannten) Geschichte und dem ganzen Ausdrucksarsenal von Orchester und Stimmen jenseits festgelegter Normen oder Moden. Zumindest die, die Berg und Janacek nicht für Exoten halten. Und die bereit sind, sich auch auf die aparte Schönheit der Musik des gerade verstorbenen Großmeisters der deutschen Nachkriegsmoderne Hans-Werner Henze einzulassen. Jörg Widmann (39) ist einer seiner Schüler, die er – wie der in Freiburg lebende Münchner vor der Premiere im Gedenken an seinen Lehrer sagte – auch auf den eigenen Wegen, die von ihm weg führen, wohlwollend förderte. Vielleicht hätte dem Meister ja die ungebändigte Fantasie gefallen, mit der genau am Tag von Henzes Tod Widmanns Oper Babylon aus der Taufe gehoben wurde. Dass man sie ihm kurzerhand widmete, war selbstverständlich.

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Der Skorpionmensch auf Trümmern – der Anfang und das Ende der Oper als Ende und Neu-Anfang der Zivilisation?

Sie bot zugleich das Debüt für einen berühmten Nachwuchs-Librettisten, der gerade seinen mit subversiver Lust am Hintersinn zelebrierten Job beim „Philosophischen Quartett“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen für den Egotrip eines philosophierenden Entertainers aufgeben musste. Peter Sloterdijks Libretto ist natürlich ein Parforceritt der Zitate und Anspielungen und ein Ausweis der Tiefenkenntnis diverser Mythen, deren literarischer Verarbeitung, inklusive allfälliger Zeitbezüge. Er hatte im Vorfeld verkündet, dass er weder die Vorlage für einen vertonten Tatort noch einen Religions-Essay liefern wolle. Das hat er tatsächlich nicht. Sein Text steht nicht als verkappte Philosophie fürs Opernvolk, sondern als Dichtung für sich selbst. Mit poetischer Bildkraft und natürlich blitzgescheit.

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Chor der Juden – in Babylon sind die „Fremden" beim Opfer schon einen Schritt weiter als die Babylonier – sie beschränken sich auf Tieropfer

Darin nun ist Babylon weniger das kolportierte Sinnbild für das große Drunter und Drüber und die Sünde schlechthin, gleich neben Sodom und Gomorra. In den sieben Bildern wird es in eigenwillige Nähe zu unserer Gegenwart gerückt. Als eine der fernen Quellen für die Moderne – ob nun in Sachen emanzipierter Liebe oder auch der Zeiteinteilung. Eine Welt- und Menschenordnung, die am Ende mehr auf einem Gesellschaftsvertrag beruht als auf einer göttlichen Offenbarung. Wobei die Kehrseite der Ordnung die ganz große Katastrophe ist. Im Prolog und im Epilog ist es ein Skorpionmensch (der Counter Kai Wessel leiht dem Ungetüm die wie aus dem Jenseits herüber klingende Stimme) der über eine Landschaft aus rauchenden Trümmern kriecht. Im Nachspiel konstatiert er: „Mich selber habe ich gestochen. Getötet ist das Beste, was ich hatte, die Illusion vom sicheren Heil.“ Bei Nietzsche hieß das noch schlicht und ergreifend „Gott ist tot“. Am Anfang und am Ende liegt die Stadt, also die Welt in Trümmern.

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Eine Parade von Phalloi und Vulven

Dazwischen: sieben Bilder. Mit einem jungen Juden im babylonischen Exil, so zwischen dem Prinzen Tamino aus der Zauberflöte und dem Joseph, der es einst beim Pharao weit brachte. Dieser Tammu (Jussi Myllys) ist für die babylonische Liebespriesterin Inanna (exzellent bei Stimme und obendrein verführerisch: Anna Prohaska) ebenso entflammt, wie er noch seiner jüdischen Seele (Claron McFadden) anhängt. Mit einer alptraumvisionär erlebten Sintflut, bei der der Euphrat in der machtvollen Stimmgestalt von Gabriele Schnaut über alle Ufer tritt. Mit einer neuen priesterlichen Ordnung, die Menschenopfer gegen die Großkatastrophe zelebriert und dafür Tammu (als des babylonischen Priesterkönigs Liebling) auswählt und schlachtet. Mit einer dunkel oratorischen jüdischen Gemeinde, die schon weiter ist und findet, dass Tieropfer für den göttlichen Blutdurst genügen. Mit einem karnevalsek entfesselten Opferfest und einer gleichsam feministisch umgepolten Reminiszenz an den Orpheus-Mythos. Hier holt nämlich Inanna ihren Tammu aus der Unterwelt zurück und darf ihn dabei nicht aus den Augen lassen. Das ist so die Art von Sloterdijks kulturgeschichtlicher Ironie, die Spaß macht. Wenn die beiden dann nach ihrer Rückkehr ins Leben mit dem Raumschiff abdüsen, derweil es wieder einen Neuanfang mit einer neuen Zeitordnung (die Sieben-Tage-Woche für alle!), gleichberechtigten aber entmachteten Göttern und einem dann doch einstürzenden Turm gibt, ahnt man über dem dämmrigen Horizont mit den sich vermehrenden Skorpionmenschen-Schatten, dann doch, dass Karl-Heinz Stockhausens mit seinem Lichtzyklus schon mal eine recht esoterische Opern-Welterklärung versucht hat. Aber nur von Ferne.

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Karneval in Babylon – klingt wie Oktoberfest, sieht aus wie Tingeltangel

Denn vor allem die Musik von Widmann sorgt für eine Erdung. Er beherrscht den oratorischen hohen Ton der Klage, die Wucht der Sintflut-Entfesselung, den betörenden Schmalz der Musical-Imitation und die hemmungslose Parodie eines bayerischen Tonfalls, bei dem der Defiliermarsch und die Holzhackerbuam bruchstückhaft das babylonische Opferfest aufmischen. Das ist meistens ziemlich sinnliche, dogmenfern gefühlte Musik mit vielen ariosen Schmankerln für die Sänger. Dass die Zusammenarbeit des in Freiburg lebenden Komponisten und des von Karlsruhe aus die Welt erklärenden Philosophen eng war, spürt man. Dass der Noch-Chef des Orchesters der Bayerischen Staatsoper, Kent Nagano, der zu Recht als Spitzendirigent für das großformatig Moderne gilt, auch manchen auf dem Papier noch druckfeuchten Ton mit bewundernswerter Präzision und Umsicht zum Leben erweckte, gehört auf die Habenseite des Abends.

Auch das Regieteam um Carlus Padrissa von La Fura dels Baus war schon (vielleicht zu) früh einbezogen. Und widmete sich vor allem der computergestützten Umsetzung von Sloterdijks ausführlichen Szenenanweisungen, die manchmal wie von ihnen erfunden wirken. Was freilich nur wie ein Vorzug klingt. Wenn Gabriele Schnaut und das Orchester den Euphrat zum alles wegschwemmenden Strom anschwellen lassen, muss das nicht unbedingt noch in Bildschirmschonermanier als Wellenmodell dahinter zu sehen sein. Dass mit vielen Bausteinen am sprichwörtlichen Turm gebaut wird, um ihn dann wieder einzuschupsen, sei dem Spieltrieb der katalanischen Theatermacher gegönnt. Vollends in die Falle ihrer illustrierenden Bebilderung geraten sie, wenn sich die Septette der Planeten wie bunte Clowns und die der Vulven und Phalloi wie Werbeträger von Beate Uhse an der Rampe postieren. Auch des Volks Gewimmel beim Opferfest klingt deftiger, als es aussieht. Regelrecht vergeigt wird das Schreckenspotential des Menschenopfers durch den Zauberflören-Firlefanz mit Feuer- und Wasserprobe und dem technischen Kubus, der sich auch noch nach hinten dreht, wenn der Priesterkönig (Willard White) zusticht.

FAZIT

Genau am Tage von Hans Werner Henzes Tod erlebte München die Uraufführung eines Operngroßunternehmes seines Schülers Jörg Widmann. Das geistreiche Libretto von Peter Sloterdijk, und die kraftvolle Musik haben mit der Münchner Uraufführungsinszenierung immerhin eine aufwendige Verpackung bekommen. Wer weiß, was noch zu Tage kommt, wenn der oder die Richtige dieses Weltüberraschungsei auspacken und auseinandernehmen. Vielleicht überkleben sie dabei die Szenenanweisungen des Librettos einfach. Einhelliger Jubel und ein paar Buhs für den Librettisten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung
Carlus Padrissa
(La Fura dels Baus)

Szenische Mitarbeit
Tine Buyse

Bühne
Roland Olbeter

Kostüme
Chu Uroz

Licht
Urs Schönebaum

Video
Tigrelab
welovecode

Dramaturgie
Moritz Gagern
Miron Hakenbeck



Statisterie der Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Seele
Claron McFadden

Inanna
Anna Prohaska

Inanna Tammu
Jussi Myllys

Priesterkönig/Tod
Willard White

Euphrat
Gabriele Schnaut

Skorpionmensch
Kai Wessel

Ezechiel
August Zirner

Septette
Iulia Maria
Dan Golda Schultz
Silvia Hauer
Dean Powe
Kenneth Roberson 

Septette / Pförtner 1
Tim Kuypers

Septette / Der Schreiber / Pförtner 2
Tareq Nazmi

Ein Bote / Utnapischtim
Tölzer Knabenchor

Priester
Joshua Stewart


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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