Ein Opern-Oratorium

Selten gespielt, steht «Samson et Dalila» von Camille Saint-Saëns jetzt im Genfer Grand Théâtre auf dem Spielplan. Das Opernhaus der französischen Schweiz ist in allen Ehren gescheitert. Aber besser so als gar nicht.

Peter Hagmann
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Ein Hauch von Bourbaki-Panorama – «Samson et Dalila» im Deutsch-Französischen Krieg. (Bild: GTG / Yunus Durkan / PD)

Ein Hauch von Bourbaki-Panorama – «Samson et Dalila» im Deutsch-Französischen Krieg. (Bild: GTG / Yunus Durkan / PD)

Alles andere als einfach, dieser Fall. «Samson et Dalila», die einzige Oper von Camille Saint-Saëns, die unsere Tage erreicht hat, benötigt ein sehr gutes und sehr gut geführtes Orchester, einen stimmgewaltigen lyrischen Tenor und eine Mezzosopranistin mit solide ausgeprägter Tiefe sowie einen Regisseur, der in der Lage ist, ein Oratorium auf die Bühne zu bringen. Von Tobias Richter geleitet, hat es das Grand Théâtre de Genève gewagt, diesen Stier des Repertoires bei den Hörnern zu packen – und ist ehrenvoll gescheitert.

Das Problem der Spannung

Das Opernhaus der französischen Schweiz hat seine Ressourcen voll in die Waagschale geworfen, etwa jene des Orchestre de la Suisse Romande, an dessen Pult mit Michel Plasson ein ausgewiesener Spezialist der französischen Oper steht – eben erst ist bei EMI eine umfangreiche Box erschienen, die Plassons hoch kompetentes Engagement für diesen Sektor des Repertoires beleuchtet. Das Orchester zeigt auch viele seiner Vorzüge. Unter dem entspannten Zugriff Plassons klingen die hohen Streicher so seiden wie selten und leuchten die Bläser nach Massen. Dabei sitzt das Orchester sehr tief, damit es mit seinem vollen Satz und seinem grossen Ton den Sängern nicht allzu sehr auf den Pelz rückt – was paradoxerweise gerade zum Gegenteil führt. An mancher Stelle, zumal bei den Duetten der beiden Protagonisten, dominiert das Vokale derart, dass das Instrumentale zu sehr in den Hintergrund rückt. Womit das musikalische Geschehen, das bei Saint-Saëns in ausgeprägter Weise von der Dialektik zwischen der Linie und der Harmonik lebt, ausser Balance gerät und an Spannung verliert.

Das ist darum heikel, weil sich Spannung im eigentlichen, dramatischen Sinn in «Samson et Dalila» kaum einstellt. Das Werk ist im Grunde ein Oratorium mit tableaux vivants, wovon nicht zuletzt der ausgedehnte Beitrag des Chors zeugt. Und dieser Chor des Genfer Grand Théâtre, vorbereitet von Ching-Lien Wu, klingt mächtig, leidet in den Frauenstimmen jedoch an zu viel Vibrato und zu wenig Homogenität. Auch die einzelnen Bilder, die das von Ferdinand Lemaire verfasste Libretto anlegt, sind eher als Stationen denn als Momente eines Geschehens ausgestaltet. Wenn sich Spannung ergibt, dann eben nicht aus dramaturgischen, sondern aus musikalischen Gründen.

Ein Ansatz szenischer Deutung

Das stellt die Protagonisten, die mit höchst anspruchsvollen Partien versehen sind, vor besondere Herausforderungen – und da liegt wohl die entscheidende Schwäche der Genfer Produktion. Auch wenn es schwierig ist, Sänger zu finden, welche die Partien von Samson und Dalila zu bewältigen vermögen – ein so geringes Mass an Idiomatik muss vielleicht doch nicht sein. Als Samson stemmt Aleksandrs Antonenko die Rolle des hintergangenen jüdischen Heerführers ausgezeichnet, er bringt jedoch deutlich zu viel Belcanto, zum Beispiel zu häufiges Ansingen der Töne, in seine Wiedergabe ein. Małgorzata Walweska wiederum verfügt über eine herrliche Tiefe, hat aber quälende Schwierigkeiten mit der Intonation. Und beide Darsteller scheinen nicht zu verstehen, was sie singen; ihre Diktion ist mangelhaft, was bei einer so sehr aus der Sprache geborenen Musik wie jener von Saint-Saëns doch von Nachteil ist.

Diesen Tendenzen sucht der Regisseur und Ausstatter Patrick Kinmonth mit einem Ansatz szenischer Deutung entgegenzuwirken. «Samson und Dalila» ereignet sich bei ihm nicht vor dem Hintergrund der Konfrontation zwischen Hebräern und Philistern, wie es das Libretto vorgibt, er verlegt das Geschehen vielmehr in die Entstehungszeit der Partitur, mithin in den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Die Hebräer sind bei ihm die Franzosen, die Philister die Preussen, wovon nicht zuletzt eine Szenerie zeugt, die stark ans Luzerner Bourbaki-Panorama erinnert. Indessen ist die szenische Anlage, so effektvoll sie auf den ersten Blick erscheint, dramaturgisch zu wenig konsequent durchgeführt und verliert sie zusehends an Tragfähigkeit. Am Ende, wo Samson den Tempel der Philister zum Einsturz bringt und wo sich eine Interpretation im Geist des Nationalen durchaus denken liesse, herrscht dann reiner Ästhetizismus.

Weitere Aufführungen bis 21. November.