Der Österreicher René Zisterer inszeniert in Darmstadt Giuseppe Verdis Oper „Die Macht des Schicksals“

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Joel Montero (Alvaro), Elisabeth Hornung (Curra), Barbara Dobrzanska (Leonora de Vargas)

Die Wucht der Schlichtheit  

Der Österreicher René Zisterer inszeniert in Darmstadt Giuseppe Verdis Oper „Die Macht des Schicksals“
„Alles Private ist politisch“ – behaupteten die 68er mit wohlmeinender Gebärde. Das bezog sich auch und besonders auf die Kunst, die fortan die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse zu beleuchten und ihrer Überwindung zu dienen hatte. Auch die Oper nahm sich das in den letzten vierzig Jahren zu Herzen und dekonstruierte nicht nur die real existierende Welt in zeitgenössischen Werken sondern versuchte auch, die Opern des klassischen Repertoires auf den realen gesellschaftlichen Kontext abzubilden und bei Bedarf auch umzubiegen. Hakenkreuzbinden oder eindeutig zuzuordnende Uniformen gehörten lange Zeit zum guten Ton des neueren Regie-Musiktheaters. Diese Tendenz hat zwar in letzter Zeit zugunsten einer größeren Werktreue deutlich abgenommen, ist aber in vielen Inszenierungen in Ansätzen noch zu verspüren.

Olafur Sigurdarson (Don Carlo de Vargas), Joel Montero (Alvaro)Der Österreicher René Zisterer erliegt diesem Trend nicht und hat in Darmstadt Verdis Oper „Die Macht des Schicksals“ ganz aus dem Stück und seiner ursprünglichen Zielsetzung heraus inszeniert. Zwar könnte man mit einigem „guten“ Willen auch dieser Oper eine politische Aktualisierung überstülpen, doch Zisterer versucht dieses erst gar nicht und entwickelt seine Sicht des Musikdramas ausschließlich aus den Personen und ihrer jeweiligen Situation.

Die Handlung ist – wie in vielen Opern – geprägt von Zufällen und unwahrscheinlichen Koinzidenzen, die weniger einer inneren logischen Konsistenz als vielmehr dem Fortschreiten der Handlung dienen. Alvaro liebt Leonora, gilt aber bei deren Vater als Ausländer ohne Stammbaum als nicht standesgemäß. Beim Versuch der gemeinsamen Flucht stirbt Leonoras Vater durch einen sich zufällig(!) lösenden Schuss aus Alvaros Pistole. Auf der Flucht wird das Paar getrennt, er hält sie mit Sicherheit für tot, sie ihn für treulos. Sie geht in ein abgeschiedenes Kloster, wo sie in der Einsamkeit eines Eremiten lebt, er stürzt sich unter anderem Namen in die Todesnähe des Soldatenberufs. Dort rettet er einem anderen Offizier das Leben und gewinnt ihn als Freund fürs Leben, ohne zu wissen, dass es sich dabei um Don Carlo, den – ebenfalls inkognito – nach Rache dürstenden Bruder Leonoras handelt, der das flüchtige Paar sucht. Als Alvaro im Kampf schwer verwundet wird, übergibt er Don Carlo seine Habseligkeiten einschließlich eines Bildes von Leonora, und dieser zählt zwei und zwei zusammen. Ein erstes Duell der beiden nach der unerwarteten Genesung Alvaros wird von den anderen Soldaten verhindert, und Alvaro zieht sich in ein einsames Klsoter zurück. In welches wohl? Natürlich in genau dasselbe, in dem Leonora seit Jahren ihr kärgliches Sühneleben fristet. Doch das Schweigegebot verhindert ein Zusammentreffen der beiden. Erst als Don Carlo Alvaro in diesem Kloster aufspürt und den mittlerweile der Welt und aller Gewalt entsagenden Mönch mit schwersten Beleidigungen zum Duell reizt, kommt es zur finalen Katastrophe. Alvaro verwundet Don Carlo tödlich und bitten den einsamen Eremiten um geistlichen Beistand. Alvaro und Leonara erkennen sich in himmlischem Entsetzen, und der sterbende Don Carlo ersticht seine eigene Schwester, als diese dem Todgeweihten Trost und Hilfe spenden will. Der Abt des Klosters erlegt dem am Leben verzweifelnden Alvaro Demut und Glauben an die göttliche Vorsehung auf.

Stéphanie Müther (Preziosilla), ChorVon den handlungsdienlichen Zufällen abgesehen, behandelt diese Oper die großen individuellen Themen Liebe, Treue, schuldlose  Schuld, Rache und Entsagung. Politisch ließe sich hier lediglich das fanatische Rachegelüst umdeuten, das ja auch heute in Form des Fundamentalismus wieder – oder immer noch – ihr Unwesen treibt. Die gesellschaftliche Ablehnung Alvaros durch Leonoras Vater reicht nicht zur politischen Skandalisierung, zumal sie zu Verdis Zeiten gang und gäbe war. Bezeichnenderweise war der Topos des Standesgemäßen dermaßen präsent, dass Verdi – wie auch in Märchen üblich – seinem Protagonisten einen verborgenen Rang zuerkannte. Alvaro ist der Sohn eines ermordeten Inka-Königs, wobei der Verweis auf das Inka-Reich wohl auf das romantische Bedürfnis seiner Zeit nach dem Exotischen zurückzuführen ist.

Die beiden Hauptpersonen gehen durch einen jeweils eigenen Entwicklungsprozess. Leonora fühlt sich dem Vater gegenüber von Anbeginn schuldig und nach dessen Tod umso mehr. Sie entsagt als Sühne der Welt, kann aber Alvaro nicht vergessen. Doch beim unverhofften Wiedersehen sieht sie – auch ohne den sterbenden Bruder – keine Zukunft mehr für die Liebe, und es reicht nur für ein Abschied nehmendes kurzes Streicheln von Alvaros Wange. Dieser hat stets alle Schuld von sich gewiesen und pocht auf das Recht der Liebe. Doch das Schicksal stellt sich gegen sein Glück. Schon das gewaltsame Ende seiner Eltern hat ihn entwurzelt, und die Ereignisse um seine Liebe zu Leonora haben sich ebenfalls im Sinne eines zerstörerischen Schicksals entwickelt. Den Höhepunkt seiner schuldlosen Verstrickungen stellt das für Don Carlo tödliche Duell dar. Nicht nur hat er gegen seinen Willen einen Menschen getötet, sondern auch noch – nach dem Vater – den Bruder der geliebten Frau. Er hadert mit jeder Faser seines Körpers und seiner Seele mit dem Schicksal. Der Prior des Klosters ruft ihn jedoch zur Demut gegenüber dem Schicksal auf. Don Carlo kennt dagegen keine Entwicklung, sondern bleibt von Anfang bis Ende ein statischer Charakter ohne Selbstzweifel.

Die Klosterszenen bilden zwar einen Schwerpunkt in Verdis Oper, aber der gesamte Tenor verkündet nicht Lob und Preis Gottes sondern stellt die Religion eher els etwas Irdisch-Tröstendes dar, mehr Seelsorge als Glaubenssache. Die kleinen menschlichen Entgleisungen des Kloster-Pförtner stehen stellvertretend für Verdis Skepsis gegenüber der Religion. Auch hier herrschen Hierarchie und die Willkür der Oberen, lautet die nur schwach verschlüsselte Botschaft.

Olafur Sigurdarson (Don Carlo de Vargas), Barbara Dobrzanska (Leonora de Vargas), Joel Montero (Alvaro), Stephan Bootz (Pater Guardiano)Dafür lässt Verdi die burleske Seite des Lebens umso deutlicher zutage treten. Die Szene unter den Soldatenwerbern zeigt das handfeste Leben der normalen Bevölkerung und vor allem der Soldaten. Der Krieg ist bei Verdi  – und speziell in dieser Inszenierung – nicht ein konkreter, das heißt entweder verbrecherischer Angriffskrieg oder heroischer Verteidigungskrieg, sondern der Krieg als allgemeiner Zustand, der zur menschlichen Gesellschaft gehört wie das Essen und das Trinken. Diese Sicht steigert Verdi noch in der Lazarettszene, in der die verstümmelten Patienten nicht nur saufen sondern sich auch ungehemmt von Prostituierten beglücken lassen. Die Soldatenwerberin Preziosilla agiert inmitten dieses Kriegsgewerbes wie eine Mutter Courage und zieht ihren Gewinn daraus. In diesen Szenen entwickelt Verdis einen hellsichtigen Sarkasmus, der die Grenze zum Zynismus streift.

René Zisterer hat die Oper ganz in dem beschriebenen Sinne inszeniert und dabei auf jegliche Effekthascherei verzichtet. Schlichtheit und Konzentration auf das Wesentliche stehen bei dieser Inszenierung im Mittelpunkt. Das beginnt schon beim Bühnenbild von Maria-Elena Amos, das sich hauptsächlich auf die leere Bühne, schwarze Wände und punktuelle Lichteffekte beschränkt. Requisiten, etwa Möbel, gibt es nicht, und selbst das Tor zum Kloster wird durch den seitlichen Bühnenabgang markiert. Lediglich in den Massenszenen – Soldatenwerbung und Lazarett – kommen Tische, Bänke und Betten zum Einsatz. In den auf die Protagonisten beschränkten Szenen lässt Zisterer diese allein auf der weitgehend abgedunkelten Bühne spielen, die in den Klosterszenen ein raumhoher, kreuzförmiger Ausschnitt ergänzt, der von hinten angeleuchtet wird und damit ein gleißendes Kreuz im Raum bildet.  Durch dieses geradezu puristische Bühnenbild konzentriert Zisterer die gesamte Aufmerksamkeit auf die Personen. Die müssen den Raum dann auch füllen, was sie jedoch in hervorragender Weise schaffen.

Die Sopranistin Barbara Dobrzanska meistert den Part der Leonora bravourös. Sowohl in den hohen, dramatischen Lagen als auch in den lyrischen zeigt sie hohe Präsenz, Stimmfestigkeit und Klangreinheit. Die hohen Lagen bewältigt sie scheinbar mühelos. Auch den Übergang von der jungen, liebenden zur gebrochenen, alternden Frau gestaltet sie sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugend. Neben ihr überzeugt auch der Tenor Joel Montero als Alvaro mit großem Stimmumfang und Bühnenpräsenz. Die beiden bilden ein hervorragend aufeinander abgestimmtes Bühnenpaar, das den Leidensdruck dieser beiden Figuren überzeugend zum Ausdrrck bringt. Olafur Sigurdarson (Bariton) war als Don Carlo an diesem Abend angeblich wegen einer Erkältung indisponiert, doch das merkte man weder seinem Spiel noch seinem Gesang an. Bis zum Schluss spielte und sang er auf Augenhöhe mit den anderen Darstellern mit. Stephan Bootz (Bass) verleiht dem Marchese von Calatrava (Leonoras Vater) die schneidende Schärfe des Standesdünkels und dem Padre Guardiano einen weltabgewandten Stoizismus. Stéphanie Müther bringt als Zigeunerin ein auflockerndes und temperamentvolles Element in die ansonsten eher strenge Inszenierung, und ihr rotes Kleid setzt sie auch deutlich von den schwarz-grau-weißen Kostümen der anderen Protagonisten ab.

Der Chor, seit dieser Saison unter der Leitung von Markus Baisch, ist in dieser Inszenierung auch darstellerisch gefragt – Soldaten, Lazarettinsassen, Mönche – und beweist dabei sowhl seine Vielseitigkeit als auch seine Stimmstärke. Schließlich müssen die Chöre bei Verdi schon über strapazierfähige Stimmbänder verfügen. Am Dirigenten-Pult stand an diesem Abend entgegen der Ankündigung nicht GMD Martin Lukas Meister sondern ein junger Vertreter, dessen Namen leider nicht bekanntgegeben wurde. Er meisterte dies Rolle jedoch souverän und hielt das Orchester bis zum Schluss unter Spannung. Erwähnenswert ist dabei auch die Ouvertüre, die streckenweise transparent wie Kammermusik daherkommt und erst zum Schluss zu voller Verdi-Fülle aufläuft. Die Musik zu den großen Arien kommt präzise und doch düster-dräuend aus dem Orchestergraben und intoniert auf nahezu unheimliche Art die ganze Macht des Schicksals.

Frank Raudszus

Die nächsten Vorstellungen finden am 24. November sowie am 6. und 22. Dezember statt.  
 

 

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