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Norma

Lyrische Tragödie zwei Akten
Libretto von Felice Romani
nach der Tragödie von Alexandre Soumet
Musik von Vincenzo Bellini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Bonner Opernhaus am 28. Oktober 2012
Rezensierte Vorstellung: 30. November 2012


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Theater Bonn
(Homepage)

So schlimm war's gar nicht

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu


Was hatte man nicht alles gehört und gelesen über diese Norma-Inszenierung von Florian Lutz, von völliger (und etwas unkritischer) Begeisterung bis hin zu totaler (etwas vorschneller) Ablehnung, von der Geburtsstunde eines neuen, wegweisenden Regiestars bis hin zu einem Tabubruch, der gleichfalls eine neue Ära des Musiktheaters einläutet, die uns dem Weltuntergang ein gutes Stück näherbringt. Was war geschehen?


Szenenfoto

"Wer von Norma spricht, der spricht von Casta diva!" - Der provizierende Einstieg in den Abend mit der Diva (Miriam Clark), dem Chor des Theater Bonn und dem die Gala moderierenden Intendanten (Roland Silbernagl)

"Wer von Norma spricht, der spricht von Casta diva!" plärrt der Intendant vermeintlich kunstsinnig ins Mikrofon, und schon treten Chor und Primadonna im Galaoutfit vor den Vorgang, um einen Ausschnitt aus der berühmten Arie zu Gehör zu bringen. Mit diesem "Paukenschlag" geht Florian Lutz' Norma-Inszenierung los, der mit dem Intendanten eine Figur eingeführt hat, die Bellini und Romani natürlich nicht im Rollenverzeichnis haben und die Teil des "Problems" ist. Lutz schießt konzeptionell übers Ziel hinaus, wenn er in seiner Inszenierung der Norma gleichzeitig versucht, ein politisches Statement gegen die engstirnige Kulturpolitik in Bonn zu setzen, sich kritisch mit der nostalgischen Sehnsucht nach vermeintlich besseren Zeiten auseinanderzusetzen, als die Bonner Oper in Hauptstadtzeiten als "Met am Rhein" bezeichnet wurde (wobei man nicht vergessen darf, dass damals mitunter die erste Garde erst dann kam, wenn sie diesen Rang an den wirklich bedeutenden Bühnen nicht mehr hatte), den Starkult und die Rolle der Diva zu problematisieren, die Bühnen- und Privatleben, ihr öffentliches Image und ihre persönlichen Gefühle nicht mehr auseinander dividiert bekommt und nach dem Duett mit Adalgisa immer wieder "Ich kann das nicht mehr!" äußert, den Aufstieg und Fall eines Gesangsstars nachzuzeichnen, dessen Verfallsdatum im brutalen Musik- und Medienbusiness schneller als erwartet naht, durchaus ironisch das auf die Bühne zu bringen, was den meisten Zuschauern nun einmal zu Galliern und Römern einfällt (nämlich die Asterix-und-Obelix-Optik von Albert Uderzo, der in diesem Jahr 85 Jahre alt geworden ist, Hinkelsteinattrappen, läppische Kampfhandlungen, dumpfe Römer, ein Zaubertrank und all das), Norma als Backstagestory mit Eifersuchtsdrama zu erzählen (was nicht neu ist, das gab es vor ein paar Jahren - übrigens auch nicht sehr überzeugend - in Amsterdam), die Nähe zum Medea-Stoff aufzugreifen, wenn er Norma (oder die Norma-Interpretin?) die eben doch getöteten Kinder in einem weißen Koffer mitführen und nach ihren letzten Tönen hysterisch lachen lässt. Das alles ist zu viel für einen Abend, auch wenn es dem jungen Regisseur stellenweise gelingt, das Ganze zu verbinden. All diese Ansätze hätten vermutlich für drei Inszenierungen der Bellini-Oper gereicht, all diese Ansätze haben aber auch ihre empfindlichen Schwachstellen und Grenzen, und vielleicht hat Florian Lutz das geahnt und sich bewusst nicht entscheiden wollen, sondern schlicht alles aufgefahren, was ihm eingefallen ist. Und wie so oft gilt: Weniger wäre mehr gewesen, auch in der tatsächlichen Ausführung der Ideen, denn Lutz gönnt dem Zuschauer und seinen Darstellern kaum einen Moment der Ruhe, ständig muss da etwas getan werden, ein Gang, eine Bewegung, irgendeine Nebenhandlung oder ein Umbau im Hintergrund, ein verwirrendes Überlappen der Szenen, Desillusionierungstheater, das alles in durchaus beeindruckenden Bühnenbildern von Martin Kukulies.


Szenenfoto

Auch das ist Norma, jedenfalls für Florian Lutz (Chor und Statisterie des Theater Bonn)

Eine Grenze bei allem Verständnis für die Freiheit eines Regisseurs ist die Musik, und so gehen mir wie vielen die Eingriffe in die Musik zu weit, etwa wenn der Intendant den Chor bei "Norma viene" unterbricht und über akustische Probleme zu lamentieren beginnt, wenn das "Sì, fino all'ore" gestrichen wird, weil eine Versöhnung der Damen nicht zum Regiekonzept der rivalisierenden Primadonnen passt, wenn beim "In mia man" nur Norma und Pollione zugegen sind und Beziehungsaufarbeitung betreiben und manches mehr. Natürlich passt auch der Text nicht immer zu dem, was auf der Bühne gezeigt wird. Man kann sich distanzieren von dem, was Komponist und Librettist gewollt haben, aber man hat sich damit auseinanderzusetzen und darf es nicht einfach kappen - oder man muss den Mut haben, ein eigenes Projekt auf die Bühne zu bringen, Norma 2012. Musiktheaterprojekt nach Bellini etwa. Die Frage ist, ob das jemand finanzieren würde. Eine weitere Frage ist, ob dann demnächst Cherubino und Octavian von Countertenören gesungen werden dürfen, ob das Tristan-Vorspiel gestrichen werden darf und der Liebestod an den Anfang tritt, ob Elektra von einem Mann gesungen werden darf, weil sie sich so stark mit dem Vater identifiziert und männliche Charakterzüge entwickelt, ob ganze Opernakte wegfallen dürfen und durch solche aus anderen Opern oder Rockmusik ergänzt werden dürfen. Die Liste der "Ideen" ließe sich fortsetzen.


Szenenfoto

Auch das ist Norma für Florian Lutz: ein Eifersuchtsdrama hinter den Kulissen eines Opernhauses (links: George Oniani als Pollione oder Briatore, rechts: Miriam Clark als Norma-Interpretin, im Spiegel: Nadja Stefanoff, die Interpretin der Adalgisa).

Ein ziemlich großer Hype wird momentan um Miriam Clark gemacht, nicht nur in dieser Inszenierung, sondern auch außerhalb. Und in der Tat hört man hier eine bemerkenswerte Stimme, die sich eben nicht nur mit feinsten Piani und lieblichem Ton durch die Partie säuselt, sondern gerade in den dramatischen Momenten mit furchtloser Attacke punktet (etwa im Terzett am Ende des ersten Teils), ohne dass man auf zurückgenommene, elegische Töne verzichten müsste. Die Stimme hat in jedem Fall Charakter, und zum Charakter einer Stimme gehören mitunter auch Ecken und Kanten: Im "Casta diva" und nicht wenigen anderen Stellen etwa irritierte das eine oder andere Mal die unsichere Intonation, den gegen Ende der Auftrittsszene eingebauten Verzierungen fehlte es an Stil, auch rhythmisch geriet hier einiges sehr individuell, aber da waren auch herrliche Schwelltöne, und es gelingt der Deutsch-Amerikanerin im Laufe des Abends mehr und mehr, eine bemerkenswerte Norma zu werden, der verwirrenden Szene zum Trotz übrigens. Man wünscht der Künstlerin, dass sie auf die richtigen musikalischen Berater trifft, die ihr helfen, die sicher guten Anlagen weiter zu entwickeln und an Stilsicherheit zu gewinnen, und die ihr bei der Auswahl der richtigen Rollen helfen - die Fidelio-Leonore, die sie in einer um 45 Minuten der originalen Musik ergänzten Fassung zeitgleich zur Druidenpriesterin in Bern singt, halte ich nicht für eine solche. Auf ihre Violetta, die sie ab Februar 2013 in Bonn geben wird, und die Elvira in I Puritani, die sie zur Zeit vorbereitet, darf man indes gespannt sein. Und drücken wir ihr die Daumen, dass sie dann eine Kostümbildnerin hat, die ihr schönere, vorteilhaftere Kostüme entwirft als Mechthild Feuerstein es für sie und die übrigen Darsteller getan hat.


Szenenfoto

Der Star (Miriam Clark als Norma) kann nicht mehr, aber der Intendant (Roland Silbernagl) weiß, was er zu tun hat: Er wird sich eine neue Norma suchen.

Eine gute, ebenbürtige Adalgisa war zweifellos Nadja Stefanoff, deren kraftvoller, legatostarker Mezzo in der Höhe wie in der Tiefe keine Grenzen zu scheinen kennt und vom Timbre her dem der Soprankollegin gar nicht so unähnlich ist, was grundsätzlich durchaus Sinn macht, denn in mancherlei Hinsicht teilen die beiden ja auch ein ähnliches Schicksal (und in dieser Inszenierung singt die Adalgisa ja auch ein paar Phrasen der Norma, nämlich wenn der Theaterdirektor plötzlich die Jüngere als Norma auftreten lässt und die eigentliche, entthronte Primadonna, nunmehr in Privatgarderobe die Bühne stürmend, sie mehr oder minder rauswirft).


Szenenfoto

Die Ebenen überlagern sich: Norma beziehungsweise die Interpretin der Norma (Miriam Clark) hat in Medea-Manier die Kinder doch getötet und lacht hysterisch, Pollione/Briatori (George Oniani) ist wie die übrigen (Chor, Extrachor und Statisterie des Theater Bonn) geschockt.

George Oniani, der in Bonn schon mehrfach sehr ordentlich Partien des schweren italienischen Fachs gesungen hat, überzeugt auch als Pollione, der im Besetzungszettel gleichzeitig als "Briatore" geführt ist (ich schwöre, ich musste googeln, wer das ist, als einziger Zuschauer vermutlich), mit prächtigen Spitzentönen und beeindruckenden Fermaten. Teile des Publikums haben vergessen (oder vielleicht auch nie gewusst), wie dramatische Stimmen klingen, und sind vielleicht das eine oder andere Mal verwirrt ob des robusten, kraftvollen Klangs, der ihnen so oft vorenthalten wird, wenn beispielsweise lyrische Tenöre sich durch Spintopartien mogeln und dafür auch noch gefeiert werden.

Ramaz Chikviladze hatte einen wirklich schwachen Start an diesem Abend, in den ersten Phasen ärgerte man sich beinahe über ein so ausladendes Vibrato, aber bis zur Arie hin hatte der Künstler sich gefangen und bot trotz der hörbar aufgewandten Kraft und auch nicht ganz tadelloser Intonation als Orovese immerhin durchschnittliche Kost, was man auch Daniela Denschlag als Clotilde und Tamás Tarjányi als Flavio bescheinigen kann. In großer Form präsentierten sich Chor und Extrachor, Sibylle Wagner hat da offenbar hervorragende Arbeit geleistet, denn auch in den szenisch aufwändigen Momenten erzielten die vielbeschäftigten Damen und Herren große Präzision und einen hohen Grad an Differenzierung. Es bleibt Roland Silbernagl zu erwähnen, der den Intendanten gibt und der in der Premiere gute Nerven gehabt haben muss, denn an seinen Textbeiträgen, die immer wieder das Stück unterbrechen oder laufende Musiknummern stören, entzündete sich vermutlich der größte Ärger. Nichtsdestotrotz gab er glaubhaft den allein dem kommerziellen Erfolg verpflichteten und sich Publikum wie Presse gleichsam wie ein Volksmusiksendungenmoderator anbiedernden, gleichzeitig sein Personal schikanierenden Tyrannen.

Robin Engelen, Erster Kapellmeister des Hauses, war ein musikalischer Leiter, der sein Bestes gab, aber am Pult des Beethoven Orchesters trotz gewisser Erfahrung mit dem Genre nicht durchgängig das reine Bellini-Glück produzierte, dazu drang dann doch manches zu brachial, polternd und wenig elegant ans Ohr, auch wenn er grundsätzlich den Sängerinnen und Sängern nicht im Weg stand, sondern, wie man immer so schön sagt, mit ihnen zu atmen versuchte.


FAZIT

Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass Bellinis Norma, die der Rezensent zu seinen erklärten Lieblingsopern zählt, nicht einfach zu inszenieren ist und dass man mitunter aus konzertanten Aufführungen besser gelaunt nach Hause geht. Florian Lutz hat es versucht und verfängt sich ein wenig in einer Flut von Ideen, die einzeln betrachtet keinen ganzen Abend tragen würden, in der Addition aber eben auch nicht wirklich überzeugen. Und so hoffe ich, dass er vielleicht in fünf oder zehn Jahren irgendwo eine gereifte Sicht auf das Werk realisieren kann - ein Händchen für Regie hat er in jedem Fall. Musikalisch hat die Produktion durchaus Höhepunkte, die die Anreise lohnen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Robin Engelen

Inszenierung
Florian Lutz

Bühne
Martin Kukulies

Kostüme
Mechthild Feuerstein

Licht
Bernd Winterscheid

Choreinstudierung
Sibylle Wagner

Dramaturgie
Ulrike Schumann


Chor und Extrachor
des Theater Bonn
Statisterie des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn

"Banda": Gäste des
Beethoven Orchester Bonn


Solisten


Pollione/Briatore
George Oniani

Oroveso
Ramaz Chikviladze

Norma
Miriam Clark

Adalgisa
Nadja Stefanoff

Clotilde
Daniela Denschlag

Flavio
Tamás Tarjányi

Der Intendant
Roland Silbernagl

Kinder
Lynn Witte
Stefan Mauersberger



Weitere
Informationen

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Theater Bonn
(Homepage)



Da capo al Fine

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