Wien - Belcanto - das ist schon erwartbar eine Grenzerfahrung in mehrfacher Hinsicht. Gaetano Donizettis Oper Anna Bolena etwa hat stolze, ziemlich abendfüllende Ausmaße, die anwesende Hörzeugen - diesfalls im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins - durchaus zu Belegen ihrer guten Kondition anhalten.

Und natürlich sind auch Orchester und Sänger gut beraten, sich die Kräfte einzuteilen, um nicht im Laufe dieser Geschichte - um die vom Monarchen Enrico VIII. aus Ehe und Leben zu beseitigende Bolena - zu bemerken, dass sie ihre Reserven an Konzentration etwas zu früh verbraucht haben. Mit Anna Bolena feierte indes Koloratur-Könnerin Edita Gruberová ihr 45. Bühnenjubiläum. Und da ist über weite Strecken durchaus jenes Staunen über sichere Höhen, ansatzlos im Piano getroffene zarte Töne, darstellerisch begründete Einfärbungen von Phrasen und Noten angebracht - wie auch Bewunderung für die Geläufigkeit der Linien. Auf der anderen Seite fehlt etwas Konstanz. Vieles klingt von der Mittellage abwärts schon recht unscheinbar. Und am Ende wird eine sehr hohe finale Note mit sichtlicher Mühe gerade noch über die Runden gebracht.

Sänger als Kämpfer

Kurzum: An sich selbst gemessen ist Gruberová nicht mehr so ungefährdet unterwegs, wie man es gewohnt ist. Im Vergleich zu dem, was sich in ihrer Umgebung tat, war das natürlich immer noch bemerkenswert. Das Münchner Opernorchester unter Dirigent Pietro Rizzo bewegte sich eine Weile im Bereich des Soliden, um mit Fortdauer des Dramas intonatorisch in sehr schwammige Bereiche abzugleiten.

Unter den Sängern immerhin lauter große Kämpfer: Solide wirkte Riccardo Zanellato (als Enrico VIII.), wie auch Sonia Ganassi (als Givanna) wacker und temperamentvoll agierte. Passabel auch Daniel Kotlinski (als Rochefort) und Andrew Lepri Meyer (als Hervey), während José Bros mit einem finalen Hochtonmissgeschick seine engagierte Performance etwas trübte. Es geht übrigens weiter: Im Februar wird Gruberová wieder zu hören sein, dann mit La straniera von Vincenzo Bellini. Möge die Übung gelingen. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 5./6.1.2013)