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Der Schlangenfänger bin ich ja. Papageno (Michael Nagy, rechts) und Tamino (Pavol Breslik) in Baden-Baden. Foto: dpa

© dpa

Oper: Der Zauberer von der Oos

Die Ära nach Salzburg Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker eröffnen Baden-Badens Osterfestspiele mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“.

Nicht nur die Natur ist in Baden-Baden eine bunte Krokuslänge weiter in Richtung Frühling unterwegs. Die Stimmung in der Bäderstadt am Rande des Schwarzwalds scheint geradezu sommerlich gelöst, denn man ist stolz. Die Berliner Philharmoniker wollen hier ein neues Festival nach eigenen Vorstellungen entwickeln. „Willkommen zuhause!“, begrüßen Banner die Musiker, die 45 Jahre lang stets nach Salzburg reisten. In Baden-Baden endet nun endgültig die Karajan-Ära, an deren letztes Relikt sich viele gewöhnt hatten, obwohl es wirtschaftlich und künstlerisch längst nicht mehr zufriedenstellend funktionierte. Die Philharmoniker schwankten kurzzeitig zwischen Tradition und Aufbruch, probierten mit ihrem „Ring“ in Aix-en-Provence neue Wege aus, zu Lasten von Salzburg, das damit an Exklusivität verlor. Im Mai 2011 dann die Entscheidung: Künftig wird Ostern nicht mehr an der Salzach, sondern an der noch beschaulicheren Oos musiziert, in der Sommermetropole des alten Europa.

Dem Vorwurf der Treulosigkeit oder gar der Gier sah sich das Orchester danach ausgesetzt. Und etwas beklommen mag der eine oder andere Musiker auch angereist sein. „Es ist ein bisschen wie fremdgehen“, erklärt Solooboist Albrecht Mayer im Videoblog des Orchesters – zumindest stelle er sich das so vor. Der Chef findet deutlichere Worte, um der Residence zwischen Casino und Badehaus jeglichen frivolen Beiklang zu nehmen: Baden-Baden werde für die Philharmoniker „part of our home and history“, erklärt Rattle, mit einem Wort: „family“.

Deren Zusammenführung verläuft bislang zur allgemeinen Begeisterung. Die Philharmoniker zeigen sich beeindruckt vom warmen Willkommen, die Baden-Badener erleben das Orchester bei einem musikalischen Begrüßungsempfang in Straßenklamotten. „Wie ungezwungen, so locker, so freundlich“ sind sie doch, diese Berliner! Und nein, es ist sicher kein Zufall, dass im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts gerade die Ausstellung „Typen mit Tiefgang. Heinrich Zille und sein Berlin“ eröffnet hat (zu sehen bis 1.9.).

Andreas Mölich-Zebhauser, der Intendant des Festspielhauses, hat aus seinem Sponsoren- und Mäzengeflecht die unbekannte Summe akquirieren können, die die Philharmoniker künftig für ihren Aufenthalt kassieren. Angemessen groß sind seine Erwartungen. Mit der „Megamarke Berliner Philharmoniker“ werde man eine „Erlebniswelt Klassik“ schaffen, die es noch nie gegeben hat. Im Zentrum der mit 2500 Plätzen zweitgrößte Opern- und Konzertkomplex Europas, darum herum Spielorte von historischem Charme wie das kleine städtische Theater im Stil der Pariser Oper oder der Florentinersaal des Casinos, gleich neben der Trinkhalle.

Am Premierentag waren alle Thermalbrunnen versiegt, an denen man einen Schluck kräftigendes Nass hätte probieren können, 68 Grad warm und mit wertvollen Spurenelementen gesegnet. Angeblich waren Wartungsarbeiten daran schuld, doch vielleicht wurde die Friedrichsquelle auch direkt umgeleitet in die Künstlergarderoben des Festspielhauses.

Dort erwartet Simon Rattle eine Feuer- und Wasserprobe, wie sie auch Tamino und Pamina bestehen müssen. Der Philharmoniker-Chef dirigiert seine erste „Zauberflöte“, ein Wunschstück war sie nicht. „Parsifal“ wollte man spielen, doch nach dem Bruch mit Salzburg blieben Produktion und Sänger dort, wo sie nun Christian Thielemann dirigiert.

Eine erstklassige Ersatzbesetzung war im Wagner-Jahr nicht mehr zu bekommen. Dass es nun „Die Zauberflöte“ geworden ist, die die neue Ära anstimmen soll, findet selbst den Beifall des unterlegenen Wagner: „Welche ungezwungene und zugleich edle Popularität in jeder Melodie, von der einfachsten bis zur gewaltigsten.“ Ungezwungen, populär und dabei edel – Rattle und Mölich-Zebhauser würden diese Prägung vom Marketinggenie Wagner auch für ihre neuen Osterfestspiele übernehmen. Neben der „Zauberflöte“ und Symphoniekonzerten im Festspielhaus schwärmen die Kammerformationen der Philharmoniker ebenso in Baden-Baden aus wie das Education-Team. Alle Orchesterfacetten will man zeigen – und was es heißen könnte, ein modernes klassisches Spitzenensemble zu sein.

Doch vor der Klassikkur kommt die Pflicht, in Baden-Baden auch eine festliche Eröffnung hinzulegen, die die eigenen Motive leuchten lässt. Simon Rattle spürt einen Heidenrespekt vor dem quecksilbrigen Stilmix der „Zauberflöte“ – und hofft auf Beistand von Papa Haydn. Den hat er mit seinen Musikern wunderbar lebendig erschlossen, auch in volkstümlichsten Gefilden. Rattles Regiepartner ist ein alter Bekannter aus gemeinsamen Assistentenzeiten in Glyndebourne. Eine Reverenz an das englische Opernfestival lässt Robert Carsen auch in seinem aktuellen Spielfeld erkennen. Da finden sich jene Wälle in der Wiese wieder, die die Schafe vom Publikum trennen und „Ha-Ha“ genannt werden. Damit hat es sich dann aber auch mit dem Humor. Carsen, der in Berlin zuletzt mit „Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Deutschen Oper eine turbulente Theaterfarce in Gang setzte, geht betont betulich zu Werke. So sehr, dass die Aha-Effekte an diesem Abend rar bleiben.

Es scheint, als habe sich der Regisseur allzu bereitwillig dem Ziel ergeben, vor allem das Orchester zu feiern. Natürlich sind die Philharmoniker von Stegen umgeben, die sie mitten in die Spielfläche holen. Selbstredend lagert der Rundfunkchor Berlin als Publikumsstellvertreter zu Beginn andächtig um die Musiker herum – und gelangt dort am Ende des Abends auch wieder hin. Klar werden die wundertätigen Instrumente aus dem Orchestergraben herauf gereicht. Rettung, das versteht jetzt jeder, kann nur von den Philharmonikern ausgehen.

Wer bislang Probleme mit Wagners „Parsifal“ als dezidiertem Bühnenweihfestspiel hatte, kann in Baden-Baden nun ein Orchesterweihfestspiel nach Mozart erleben. Es ist die heiterere Alternative, befeuert von Philharmonikern, die solistischen Glanz auf jeder Position verbreiten, gepaart mit einer Menschenfreundlichkeit, die Gefahr läuft, wohlfeil zu werden im guten Gefühl. Man sollte besser nicht genauer nachfragen, wie Carsen nun eigentlich das Verhältnis zwischen der Königin der Nacht und Sarastro anlegt. Machen sie gemeinsame Sache bei einem irgendwie liebevollen Initiationsritual? Ungeklärt abgestellt, ebenso wie der Regiewunsch, alle Beteiligten mit dem Tod zu konfrontieren – was dazu führt, dass die Eingeweihten immerzu Gruben ausheben müssen.

Keiner fällt wirklich hinein bei dieser Festspielpremiere, auch wenn es zwischen Bühne und Orchester mitunter wackelt und die Sprechpassagen weiterer Durchformung harren. Aus einem bis in kleinste Partien hinein luxuriös aufgestellten Ensemble (Magdalena Kozena und Natalie Stutzmann als 2. und 3. Dame, José van Dam als Sprecher) überragen zwei Sänger alles, weil sie dem wagen Menschenbild der Regie stimmlich Konturen zu geben vermögen. Kate Roy als Pamina kennt wahre Verzweiflung, die sie Dank ihres zart gerundeten Soprans immer wieder in Schranken weist, mit einem dunklen Nachhall. Michael Nagys Papageno ist kein polternder Spaßmacher, seine Stimme reicht bruchlos von der Erde in den Himmel. Ja, Mozarts „Zauberflöte“ ist ein Werk des Übergangs – und diese überaus dankbar aufgenommene Premiere ist es auch. „Bless you!“, ruft Simon Rattle, der sichtlich erleichterte Zauberer von der Oos, noch, bevor er sich mit seinen Musikern feiern lässt.

Weitere Aufführungen am 26. und 29.3. sowie am 1.4. (3sat überträgt live). Die Philharmoniker gastieren bis 1.4. in Baden-Baden (Infos: www.osterfestspiele.de). In Berlin erklingt die „Zauberflöte“ am 5. und 7. 4. konzertant in der Philharmonie.

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