Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Bühne und Konzert
  4. Baden-Baden: Kann Mozarts „Zauberflöte“ den Tod überwinden?

Bühne und Konzert Baden-Baden

Kann Mozarts „Zauberflöte“ den Tod überwinden?

Ob das einen „starken Zauberton“ abgibt? Kate Royal als Pamina und Michael Nagy als Papageno jedenfalls überzeugen musikalisch und darstellerisch sehr wohl in der „Zauberflöten“-Inszenierung von Robert Carsen, mit denen die Berliner Philharmoniker ihre neue Spielwiese in Baden-Baden einweihen Ob das einen „starken Zauberton“ abgibt? Kate Royal als Pamina und Michael Nagy als Papageno jedenfalls überzeugen musikalisch und darstellerisch sehr wohl in der „Zauberflöten“-Inszenierung von Robert Carsen, mit denen die Berliner Philharmoniker ihre neue Spielwiese in Baden-Baden einweihen
Ob das einen „starken Zauberton“ abgibt? Kate Royal als Pamina und Michael Nagy als Papageno jedenfalls überzeugen musikalisch und darstellerisch sehr wohl in der „Zauberflöten“-In...szenierung von Robert Carsen, mit denen die Berliner Philharmoniker ihre neue Spielwiese in Baden-Baden einweihen
Quelle: dpa
Der Einstand der Berliner Philharmoniker bei den Osterfestspielen in Baden-Baden fällt gemischt aus: Die Sänger überzeugen, aber ausgerechnet das weltbeste Orchester lässt zu wünschen übrig.

Wenn die Berliner Philharmoniker Aufmerksamkeit wollen, müssen sie sich nur verstecken. Sobald sie sich, was sie ja nur selten tun, in einen Orchestergraben setzen und sich den Blicken entziehen, steigern sie die Aufmerksamkeit noch einmal locker um die Hälfte. Das Nicht-Sichtbare, das demonstrativ Verborgene fasziniert die Zuschauer, die Sehen-Wollenden, mehr als das Offensichtliche. Das Prinzip Konklave.

Man kann die Schaulustigen also gut verstehen, die sich noch während der Zauberflöten-Ouvertüre neugierig dem Orchestergraben nähern, vorsichtig hineinlugen, sich an den Rand setzen und Simon Rattle beim Dirigieren zuschauen. Es sind die Chorsänger, die später Sarastros Priesterschaft bilden und Kostüme tragen werden. Noch schweigen sie. Sie schauen in den Graben und lauschen. Eine Szene, zwei Botschaften: Die Musik ist in dieser Oper der wichtigste Erzähler, der wichtigste Protagonist. Und: Auch wenn man es nicht sehen kann, weiß jeder, dass dieses Orchester an diesem Abend im Zentrum des Interesses steht. Weil es ohne die Philharmoniker ja gar keine Festspiele gäbe.

Abschied von Salzburg

Die neu gegründeten Osterfestspiele Baden-Baden, die am Samstag mit einer Neuinszenierung der „Zauberflöte“ begonnen haben, wurden in kürzester Zeit rund um das Berliner Orchester konstruiert. 2011 hatten die Philharmoniker spektakulär ihren Abschied von den Salzburger Osterfestspielen angekündigt. Neben hochkarätig besetzten Konzerten soll vor allem eine Opernproduktion pro Saison das musikalische Renommee der Festspielstadt steigern – mit den Philharmonikern als Zugpferd.

Dass sich Simon Rattle und seine Musiker zunächst für fünf Jahre verpflichtet haben, fühlt sich für Baden-Baden so ähnlich an wie die Unterschrift von Pep Guardiola für den FC Bayern: wie ein Ritterschlag. Ein Signal, dass man den Begehrtesten der Welt eine Heimat bieten kann. Dass man an etwas Großem baut. Nachher bei der Premierenfeier wird Simon Rattle sagen: „Das hier ist unser neues Zuhause.“ Ironischerweise war es ausgerechnet er, der die Stimmung vorher getrübt hatte.

Zauberflöte ist, wenn man die Handlung nicht versteht und trotzdem zu Tränen gerührt ist. Eine Gefühlssache. In keiner anderen Oper wird die Macht der Musik, ihre Unabhängigkeit, Überlegenheit gegenüber seltsamen Libretti deutlicher. Leider lehnt Rattle es bei der Premiere am Samstag ab, die Initiative zu übernehmen, und aus dem Orchestergraben, der programmatisch in den Mittelpunkt gestellt wird, klingt es schwerfällig und unbeholfen.

Vor allem im ersten Akt wackelt es eigentlich ständig, enteilen die eleganten Sänger dem Orchester oder kommen nur mühsam hinterher. Jede noch so kleine Freiheit, die sie sich erbitten, jede winzige Verzögerung wird stumpf vom Orchester überfahren wie von einem Tanker mit träger Beschleunigung und zu langem Bremsweg. Die filigranen Ensemblestellen, deren Witz und Spannung nur durch gnadenlose Präzision entstehen können, fallen teilweise komplett auseinander. Aber auch die Passagen ohne Sänger, die Ouvertüre zum Beispiel, geraten statisch und spröde, wo es eigentlich an allen Enden glühen und vor Leben, Lust und Leiden vibrieren müsste. Mozart trockengelegt. Vielleicht liegt es an der ungewohnten Saalakustik, vielleicht an der mangelnden Opernroutine.

Magische Momente bieten die Sänger

Magische Momente gibt es auch, aber die gehen von den Sängern aus. Michael Nagy, umjubelter Wolfram der Bayreuther „Tannhäuser“-Inszenierung, liefert eine Meisterleistung als Papageno ab. Der Vogelfänger, die wichtigste Identifikationsfigur des Stückes, erscheint hier als Landstreicher mit Wanderschuhen, Schlafsack und Isomatte über dem Rucksack. Die Vögel transportiert er in einer Camping-Kühlbox. Nagy hat ein Gespür für komödiantisches Timing. Jede Pointe seiner gesprochenen Texte sitzt, und seine unaufgeregte samtige Baritonstimme passt perfekt zu Mozart.

Die Londoner Sopranistin Kate Royal ist eine hinreißende Pamina. Sie singt nicht nur die lyrischen Stellen mit vollendeter Sanftheit, sie hat auch dunklere, kräftigere Farben, mit denen sie das Abgründige der Figur andeuten kann, die Enttäuschung über den Geliebten, die Zerrissenheit zwischen Mutter und Mentor, den Selbsthass.

Die Inszenierung kommt ihr dabei entgegen. Der Kanadier Robert Carsen, ein viel beschäftigter Regie-Star mit Engagements an allen wichtigen Häusern der Welt, hat versucht, eine ernste Zauberflöte zu zeigen. Für ihn ist die Reise des Helden Tamino (mit kultiviertem, manchmal zu kultiviertem, also bravem Timbre: Pavol Breslik) ins Tempelreich des Sarastro keine horizontale Bewegung, von Land A nach Land B. Sondern eine vertikale: Von einer Waldlichtung in eine Unterwelt, in die lange Leitern hinabführen (Bühnenbild: Michael Levine). Die Tore zu dieser Unterwelt sind frisch ausgehobene Gräber. Damit wird der seltsame Plott symbolisch überhöht zu einem Seelendrama, einer Handlung, die ihm Unterbewusstsein ihren Platz hat.

Das Österliche der Osterfestspiele

Anzeige

Wer Sarastros Sekte, den düsteren „Eingeweihten“ mit ihren Schlapphüten und den Lodenmänteln (Kostüme: Petra Reinhardt), beitreten will, muss hinabsteigen in das Reich das Todes. Um vielleicht – so österlich sind Baden-Badens erste Osterfestspiele – am dritten Tag beziehungsweise am Tag der dritten Aufnahmeprüfung wieder ins Leben zurückzukehren. Als neuer Mensch. Die Auferstehungssymbolik wird auf der Leinwand (Videotechnik: Martin Eidenberger) im Hintergrund aufgegriffen: Der Wald, der dort den ganzen Abend zu sehen ist, erlebt Sommer, Herbst und Winter, bis Tamino mit den anderen in einem neuen Frühling das Happy End feiern kann.

Regisseur Carsen kann sich die vielen Widersprüchlichkeiten des Stoffes nicht erklären. Die ambivalente Rolle der Königin der Nacht etwa (mit verblüffender Virtuosität: Ana Durlovski) scheint ihn nicht zu interessieren. Auch die Liebesgeschichte zwischen Pamina und Tamino spielt im Grunde keine Rolle. Die frauenfeindlichen Sprüche („Bewahret euch vor Weibertücke“ usw.), die pseudo-tolerante Moral der Priester (alle haben sich lieb – aber wer nicht mitmachen will, „verdient es nicht, ein Mensch zu sein“) lässt er im Raume stehen, ohne dazu eine Haltung zu finden. Was nicht unbedingt ein Nachteil ist.

Sich beschränken – vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, in diesem Wust von Handlungsmotiven zu einer einigermaßen schlüssigen Deutung zu kommen. Carsen liest die ganze Oper von ihrem Ende her, von dem Initiationsritual Taminos, der sich für die alltägliche Welt blind gemacht hat (mit Augenbinde), um wahrhaft sehend zu werden. Er will einer neuen, tieferen Wahrheit folgen. Der Lehre des Sarastro, dessen Arien vom Bass Dimitry Ivashchenko leider etwas zu zaghaft vorgetragen werden.

Die Musik überwindet den Tod

Und diese Lehre ist so naiv wie hoffnungsvoll. Tamino und Pamina überwinden im Finale alles Leid und alle Gefahr – beim Flötespielen: „Wir wandeln durch des Tones Macht / froh durch des Todes düstre Nacht.“ Um sie herum liegen Mumien. Vom Klang der Zauberflöte werden sie geweckt, sie stimmen in den Gesang ein, etwas später bilden sie alle die Gemeinde der Eingeweihten, und jeder von ihnen hält eine Flöte in die Höhe. Es ist die alte Hoffnung des Orpheus-Mythos. Die Hoffnung, dass die Musik den Tod überwinden und die Menschen zu neuem, höherem Leben erwecken kann.

Weshalb am Ende, bei den letzten Tönen, alle Protagonisten wieder um den Orchestergraben herum Platz nehmen wie am Beckenrand eines Jungbrunnens. Als Simon Rattle beim Schlussapplaus auf der Bühne erscheint, erheben sich die Zuschauer zu Standing Ovations, und er greift sich dankbar an die Brust, auch wenn er sicher weiß, dass das heute noch nicht die Leistung war, die man von ihm und seinen Musikern hier künftig erwartet. Die Philharmoniker sollen Heilsbringer sein in Baden-Baden. Die Zuschauer scheinen zu spüren, dass es einfach Zeit braucht, so eine Rolle auszufüllen. Eines der häufigsten Wörter in der Zauberflöte lautet: Geduld.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema