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Gefangen zwischen Mauern und im Weltall
Von Joachim Lange
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Fotos ©Stofleth Dass die Oper in Lyon mitten im Leben der Stadt steht, also ein lebendiges Zentrum der Kommune ist, gehört zum Programm des Intendanten Serge Dorny. Er hat in Lyon ein Opernmodell etabliert, das nicht nur für Frankreich beispielhaft ist, sondern ihn längst zur Personalreserve für die Spitzenposten im europäischen Opern- und Festivalbetrieb qualifiziert. Spitzenauslastungen, ein ungewöhnlich hoher Anteil von jugendlichen Zuschauern und all das mit einem Programm, das nicht nur auf die Renner des Repertoires setzt. So umrahmt er heuer bei seinem kleinen österlichen Festival unter dem Titel Justice/Injustice einen Fidelio mit der Uraufführung von Thierry Eschaichs Claude und einem Doppel aus Dallapiccolas Prigioniero und Schoenbergs Erwartung. Alles für ein ausverkauftes Haus, versteht sich. Claude: Der Blick in die Einsamkeit der Gefängnis-Zellen
Diesmal wurde sein Ehrgeiz, zum politischen Leben der Kommune bzw. des Landes zu gehören, nicht ganz freiwillig, aber auch nicht zufällig durch eine lautstarke Demonstration nach der Uraufführung auf dem Opernvorplatz illustriert. Die amtierende Justizministerin Christine Taubira hatte sich die Ehre gegeben, weil einer ihrer prominentesten Vorgänger im Amt, Robert Badinter (85), der Librettist für die Opernnovität Claude ist. Er hat Victor Hugos so kurzes wie vehementes Novellen-Plädoyer gegen die Todesstrafe Claude Gueux von 1834 zu einem dichten Libretto über die verhängnisvoll eskalierende Gewalt im Gefängnis verarbeitet. Und Regisseur Oliver Py hat die Story zwischen wuchtigen Gefängnismauern mit drei Etagen voller Zellen in seiner gewohnt drastisch obsessiven Erzählweise verdeutlicht. Claude: Überall Mauern - im Gefängnishof bei der Arbeit
Badinter kann für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, die urfranzösische Guillotine aus dem Justizbetrieb ins Museum verbannt und unter Präsident Mitterand die Todesstrafe abgeschafft zu haben. Christine Taubira wiederum setzt sich mit ihrem vehementen Engagement für die Homo-Ehe den verbissenen Angriffen der vereinten französischen Rechten aus. Py macht aus dem Verhältnis des anständigen Gefangenen Claude (Bariton Jean-Sébastien Bou), der zum Mörder am Gefängnisdirektor (Jean-Philippe Lafont) und dafür zum Tode verurteilt wird, eine homoerotische Liebesbeziehung zu jenem Albin (Counter: Rodrigo Ferreira), dem er in einer Massenvergewaltigung durch seine Mitgefangenen zur Hilfe kommt und zu dem er (eine typische Zuspitzung von Py) dann selbst eine homoerotische Beziehung entwickelt. Die Musik ist dabei so wuchtig, und unter emotionalem Dauerhochdruck wie die Szene. Gesungen und musiziert wird unter der Leitung von Jérémie Rhorer exzellent. Wobei die Geschlossenheit der Ästhetik im Graben und auf der Bühne mehr die kafkaeske Eigendynamik einer Gefängniswelt vor Augen führt, als zu einem Plädoyer gegen staatlich sanktionierte Exekutionen zu werden. Fidelio: Freiheitsoper, ins virtuelle All verlegt
Beethovens Fidelio dann verblüfft in mehrfacher Hinsicht. Video-Guru Garry Hill beamt ihn nämlich mit aufwendigen Projektionen in die Unverbindlichkeit eines Cyberspace. Dieser gänzlich von der Rezeptions- und Realgeschichte abgewandte Zugang zu einer der politischsten Opern überhaupt ist damit ein riskantes Experiment. Und leider erreichen das Orchester unter Leitung von Kazushi Ono und das Ensemble nicht das am Vortag (und auch sonst) in Lyon erreichte vokale Niveau. Mit Blick auf die mit Bildschirmschoner-Perfektion designte, demonstrativ außerirdische (Nicht-)-Szene wurde diesmal sehr irdisch gesungen. Von Michaela Kaune (Leonore) und Nikolai Schukoff (Florestan) über Pavlo Hunka (Don Pizarro) bis zu Christian Baumgärtel (Jaquino) und Karen Vourc'h (Marzelline) kämpften sie alle in den Weiten des Alls um Intonation und überzeugenden Klang und hatten zu wenig Erfolg damit. Fidelio: Gefangenchor mit imaginierter Natur
Hinzu kommt, dass die Inszenierung Beethovens einziger Oper mit Harry Martinsons nobelpreisgeadeltem science fiction-Epos Aniara aufzupeppen versucht - inklusive putzig verschlimmbesserter Sprechtexte. Das Ergebnis sah aus, als wäre ein Achim Freyer auf Cyber-Speed am Werke gewesen. Zu viel Starlight-Express, zu wenig Freiheitspathos bei diesem Figurenschach auf dem Holo-Deck. Aber nur wer nichts riskiert, macht keine Fehler. Und wer weiß schon, wenn er von außen kommt, ob das Unternehmen für das Publikum vor Ort wirklich ein Fehler ist. FAZIT Die Spannbreite des Opern-Angebotes in Lyon ist groß. Diese beiden Produktionen des Festivals Justice/Injustice belegen das exemparisch. Sie sind allemal eine Herausforderung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamClaude
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreographie
Licht
Chor
Solisten
Claude
Le Directeur
Albin
L'Entrepreneur / Le Surveillant Général
Premier personnage / Premier Surveillant
Deuxième personnage / Deuxième Surveillant
La Petite fille
La Voix en écho
Premier détenu
Deuxième détenu
Troisième détenu
L'avocat
L'avocat général
Le Président
Danseuse
Musikalische Leitung
Inszenierung und Video
Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Léonore
Florestan
Rocco
Don Pizarro
Don Fernando
Marcelline
Jaquino
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