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Musiktheater
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Der Kaiser von Atlantis oder
Die Todverweigerung


Oper in vier Bildern
Libretto von Peter Kien
Musik von Viktor Ullmann

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 55' (keine Pause)

Premiere im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier am 7. April 2013
(rezensierte Aufführung: 12.04.2013)

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Musiktheater im Revier
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Parabel auf Leben und Tod

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


Im mittlerweile fünften Jahr seines Bestehens widmet sich das MiR-Jugend-Orchester, in dem jugendliche Musikerinnen und Musiker im Alter von 8 bis 24 Jahren die Möglichkeit bekommen, gemeinsam mit Mitgliedern der Neuen Philharmonie Westfalen und dem Opern-Ensemble eine Produktion im Kleinen Haus zu erarbeiten, einem Projekt, dass nicht dem musikalischen Mainstream dieser Altersgruppe entsprechen dürfte. Nachdem im Vorjahr Sidney Corbetts eigens für das MiR-Jugend-Orchester komponierte Oper Ubu zur Uraufführung gelangt ist (siehe auch unsere Rezension), präsentiert man in diesem Jahr eine Oper, die zwischen 1943 und 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt entstand, dort aber nicht mehr aufgeführt wurde, da der Komponist Viktor Ullmann und der Librettist Peter Kien zusammen mit nahezu allen an der Produktion beteiligten Künstlern vorher nach Auschwitz abtransportiert und dort ermordet wurden: Der Kaiser von Atlantis. Von den 23 Werken, die Ullmann in seiner Zeit in Theresienstadt komponiert hat, spiegelt der Kaiser von Atlantis nicht nur die Gegebenheiten im Ghetto wider und enthält verschiedene deutliche Widerstandsbotschaften, sondern zählt auch zu den bekanntesten Werken Ullmanns und hat sich nach seiner Uraufführung 1975 in Amsterdam inzwischen einen festen Platz im Opernrepertoire erarbeitet.

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Harlekin (William Saetre, oben) beklagt beim Tod (Kai Uwe Schöler, unten rechts) sein Dasein, weil die Menschheit das Lachen verlernt hat.

Die Geschichte lässt sich als eine Parabel auf die die Weltherrschaft anstrebenden Nationalsozialisten lesen, wobei der die Welt beherrschende Kaiser mit dem Namen Overall eine Anspielung auf Adolf Hitler ist. Dieser Kaiser von Atlantis lässt durch seinen Trommler, über den er mit der Außenwelt kommuniziert, den Krieg aller gegen alle ausrufen. Doch der Tod, der in diesem Stück als abgedankter Soldat auftritt, will sich nicht zum Werkzeug des Krieges machen lassen und verweigert seinen Dienst. So kann fortan niemand mehr sterben, unabhängig davon, welche Qualen er leidet. Da Overall befürchtet, aufgrund der neuen Situation seine Macht zu verlieren, verkündet er das Ausbleiben des Todes als kaiserliche Wohltat, da er damit seinen Soldaten die Unsterblichkeit gesichert habe. Doch die Menschen rebellieren gegen den ewig andauernden Krieg. Ein Soldat trifft auf dem Schlachtfeld auf Bubikopf, eine junge Frau. Die beiden entdecken die Liebe und weigern sich fortan, gegeneinander zu kämpfen. Der Kaiser erkennt, dass sich die Revolution nicht aufhalten lässt. Im Spiegel begegnet ihm der Tod, der für seine Rückkehr eine Bedingung stellt: Overall müsse als erster in den Tod gehen. Overall folgt nach einigem Unbehagen dieser Forderung und stellt so die allgemeine Ordnung wieder her.

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Kaiser Overall (Vasilios Manis, rechts) gibt dem Trommler (Anke Sieloff) Anweisungen für den Krieg (links hinten: Kai Uwe Schöler als Tod).

Carsten Kirchmeier verzichtet in seiner Inszenierung auf plakative Parallelen und vertraut auf die subtilen Anspielungen in der Musik und im Text. Die Kostüme von Helke Hasse lassen die allegorischen Figuren recht abstrakt wirken, während die realen Personen des Stückes eher zeitlos gehalten sind. Bubikopf trägt zunächst als unschuldige Frau ein weißes Nachthemd, bevor sie vom Trommler gezwungen wird, sich in dem gleichen Tarnanzug, den auch der Soldat trägt, am Kampf zu beteiligen. Der Trommler und Harlekin erinnern in ihren bunten Kostümen an Zirkusartisten, wobei der Harlekin als Allegorie für das Leben zu Beginn des Stückes über seinem bunten Anzug einen dunkelblau gestreiften Bademantel trägt und damit suggeriert, dass er seine Lebensfreude verloren hat. Das Bühnenbild, für das ebenfalls Helke Hasse verantwortlich zeichnet, ist recht einfach gehalten. So befinden sich vor dem Vorhang nur ein großes breites Abflussrohr, dem der Tod zu Beginn des Stückes entsteigt und ein Hochsitz, auf dem der Lautsprecher Platz nimmt und von dem aus er den Kaiser über die Geschehnisse auf dem Laufenden hält. Der Palast des Kaisers befindet sich hinter dem Vorhang und weist auf einer Seite einen großen Schreibtisch mit einem Bildschirm auf, bei dem das Flimmern suggeriert, dass der Kaiser über diesen Bildschirm beobachten kann, was in der Außenwelt passiert. In der Mitte befindet sich eine Doppeltür und an der Decke zwei Alarmleuchten, die immer dann blinken, wenn der Lautsprecher zu hören ist.

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Die Liebe triumphiert über den Krieg: Bubikopf (Tina Stegemann) und der Soldat (E. Mark Murphy).

Im vierten Bild lässt Kirchmeier den Tod nicht als Spiegelbild des Kaisers erscheinen, sondern durch die Doppeltür den Palast betreten. Durch grelle Leuchtröhren, die die Tür einrahmen, wirkt dieser Auftritt recht unwirklich und demonstriert, dass der Tod gewissermaßen in den Palast eindringt und der Kaiser somit gar keine Wahlmöglichkeit mehr hat, sondern dem Tod folgen muss. Auch musikalisch klingt das Ende versöhnlich, wenn Ullmann im Finale den von Martin Luther im 16. Jahrhundert komponierten Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" zitiert. Ansonsten verknüpft die Musik verschiedene Stile, die die unterschiedlichen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts aufgreifen. So lassen sich Anklänge an Jazz und Blues erkennen, in denen man sich an Kurt Weills Songstil erinnert, und die immer dann auftauchen, wenn das Leben außerhalb des Palastes geschildert wird und beispielsweise der Trommler Werbung beim Volk für den Krieg macht. Dass Ullmann ein Schüler Schönbergs gewesen ist, lässt sich zum Beispiel in der Wahnsinnsarie des Kaisers im letzten Bild nicht verleugnen, in der die Atonalität in der Musik den Geisteszustand des Kaisers widerspiegelt, und auch Mahler-Zitate fließen ein, wenn in der Mond-Arie Harlekins im ersten Akt das "Lied von der Erde" zitiert wird.

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Kaiser Overall (Vasilios Manis) ist am Ende.

Vasilios Manis begeistert darstellerisch und stimmlich in der Titelpartie. Mit kräftigem Bariton und irrem Spiel präsentiert er einen machtbesessenen Weltbeherrscher, der sich von der Außenwelt völlig abgeschottet hat und durch einen totalen Krieg versucht, seine Untertanen ins Unglück zu stürzen. Anke Sieloff gestaltet den Trommler als eine wirksame Propaganda-Figur, die mit strahlendem Äußeren die Massen geschickt zu manipulieren versteht. Claudius Muth gestaltet den Lautsprecher als imposante Erscheinung, der nach dem Prolog szenisch gar nicht mehr eingreift, sondern von seinem Hochsitz aus die Strippen zieht. Auch Kai Uwe Schöler, E. Mark Murphy und Tina Stegemann überzeugen als Tod, Soldat und Bubikopf. William Saetre gestaltet den Harlekin recht clownesk, ist jedoch stimmlich sehr schlecht zu verstehen, so dass man für seinen Text Übertitel gebraucht hätte. Das MiR-Jugend-Orchester legt unter der musikalischen Leitung von Dirk Erdelkamp eine beachtliche Leistung ab, die von hoher musikalischer Qualität zeugt und beweist, welche großen Erfolge in Gelsenkirchen in der musikalischen Arbeit mit Jugendlichen erzielt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass diese Projekte auch in den nächsten Jahren fortgesetzt werden können. Vielleicht sollte man allerdings bei der Auswahl der Stücke auf Werke zurückgreifen, die auch genügend Publikum anziehen. In der zweiten Aufführung war nämlich das Kleine Haus trotz des Wochenendes nur zur Hälfte gefüllt.

FAZIT

Das Stück und die szenische Umsetzung sind sicherlich sehenswert. Ein großes Publikum scheint es aber in Gelsenkirchen dafür nicht zu geben.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dirk Erdelkamp

Inszenierung
Carsten Kirchmeier

Ausstattung
Helke Hasse

Licht
Andreas Gutzmer

Dramaturgie
Ulla Theißen
 

MiR-Jugend-Orchester


Solisten

Kaiser Overall
Vasilios Manis

Der Lautsprecher
Claudius Muth

Der Tod
Kai Uwe Schöler

Harlekin
William Saetre

Ein Soldat
E. Mark Murphy

Bubikopf, ein Soldat
Tina Stegemann

Trommler
Anke Sieloff

 


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