Wenig wurde ausgelassen: Auch Salome kommt in "Spuren der Verirrten" mit ihrem Schleiertanz vor.

Foto: Ursula Kaufmann

Linz - Zu Beginn, während aus dem Orchestergraben diskrete Streichertremoli strömen, begrüßen nur eine große schwarze Kugel und ein etwas überdimensionierter Tisch, unter dem ein greises Pärchen sinnierend Platz nehmen wird. Am Schluss jedoch ist vom zarten Kammerspiel nichts mehr sichtbar. Auf der Bühne dirigiert Dennis Russell Davies (er trägt eine Krone) sein gutes Orchester, das sich in einer Art Abschiedssymphonie aus dem Graben verabschiedet hatte. Und: Es ist umrahmt wohl von allem, was das neue Opernhaus an Künstlern aufzubieten hat. Nur die Schlagwerker bleiben im nun gehobenen Klanggraben und spielen Karten.

Ein Massenspektakel also, das an die Eröffnungszeremonie einer Olympiade erinnert. Der geheime Regisseur des ersten Abends im neuen Haus ist also eigentlich das Haus selbst, das sich eine szenische Leistungsschau verordnet hat. Und David Pountney, Intendant der Bregenzer Festspiele, hat sich mit seiner bisweilen plakativen Inszenierung respektvoll vor diesen Hauswünschen verbeugt.

Das ist sympathisch, nachvollziehbar. Nun schwebt aber Philip Glass' Oper "Die Spuren der Verirrten" textlich weit über gewohnte Erzählkonventionen und eindeutige Figurenidentitäten hinweg. Basierend auf einem von Linz-Intendant Rainer Mennicken aus dem gleichnamigen Stück von Peter Handke destillierten Libretto, wirkt sie wie eine lose Szenenfolge, in der mit poetischer Distanz dem Leben und Leiden der Erdenwürmer zugesehen wird.

Da sind dann aber nicht nur grübelnde Existenzen, Kriegsversehrte, Demagogen. Da sind auch Anti-Atom-Aktivistinnen, lesbische Folklorepärchen, Reality-TV-Tumulte, tanzende Spitalsbewohner (Choreografie: Amir Husseinpuur). Es geht um Krieg und Frieden, ratlose Chormassen, den ewigen Fragenkreislauf der Existenz - und um kulturgeschichtliches Personal.

Da tritt Ödipus auf, der mit der Marschallin aus Richard Strauss' "Rosenkavalier" turtelt; da ist Salome, die ihren Schleiertanz absolviert und den Kopf des Jochanaan erhält; da sind Abraham und auch Isaak; da ist surrealer Zirkusglanz, Endzeitliches wie Zeiten Verschmelzendes. Alles dreht sich, bewegt sich (Bühnenbild: Robert Israel), hier wird der Advent zu Ostern - eine Ganzheit ergibt das jedoch nicht.

Zu konkrete Szenen

Zum Problem wird allerdings nicht, dass kein roter Faden existiert. Problematisch wirkt, dass die Inszenierung für den abstrakten Text zu konkret anmutet und als gleißende Revue der Fragmente die Worte konterkariert. Außerdem zeigt sich die Musik von den Seelenvorgängen der Figuren unberührt. Beispiel: An jener Stelle, da einer singt, er hätte nur noch zwei Tage zu leben, tönte es aber - ziemlich unpassend - schön und poetisch.

Glass hat sich an seine minimalistische Stilistik gehalten, die das Orchester zu einer Musikmaschine mutieren lässt, welche ständig sich wiederholende Motive abspult und harmonische Flächen serienmäßig fabriziert, die passable Ambient- und Filmmusik abgeben würden, gegenüber Opernvorgängen jedoch eher immun bleiben. Die Musik erzeugt zwar durch Wiederholung von Patterns Vorwärtsdrang. Sie bleibt jedoch letztlich Untermalung.

An zwei Stellen durchbricht Glass seine minimalistische Methodik - ohne jedoch musikalisch-szenischen Mehrwert zu erzeugen: Da ertönt dann eine seichte Geigenmelodie; und in einer anderen Szene spielt auf der Bühne ein Trio aus E-Bass, Oboe und Schlagzeug etwas akademisch stilisierten Jazz. Und landet beim Musical-Flair.

Gutes Ensemble

In diesem Opernzirkus allerdings stehen Sänger, Tänzer, Schauspieler und Chor für hohe Qualität ein. Auch das Orchester gibt sich tadellos (es wird in der recht trockenen Akustik überlegen müssen, wie hoch es im Orchestergraben künftig sitzen soll, um etwas mehr klangliche Präsenz zu erlangen).

Immerhin: Man begann das neue Opernleben mit einer Uraufführung. Sie war zwar auf Konsens und Kulinarik angelegt, aber als programmatisches Anfangsstatement weckt sie Hoffnungen, man könnte im (innen) tollen neuen Haus eine Balance zwischen Breitenwirksamkeit und anspruchsvollem Neuen finden, das sogar Bundespräsident Heinz Fischer bei seiner Eröffnungsrede eingemahnt hat. Applaus. Was sonst. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 15.4.2013)