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Die Gezeichneten

Oper in drei Akten
Musik von Franz Schreker
Libretto nach Hidalla von Frank Wedekind
vom Komponisten


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Palladium Köln-Mühlheim am 20. April 2013


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Oper Köln
(Homepage)

Tatort Köln-Mühlheim

Von Stefan Schmöe / Fotos gibt's nicht


“Die Schönheit sei Beute des Starken!“ Dieser Satz steht als Motto über der künstlichen Paradies-Insel, die der bucklige Alvino Salvano hat bauen lassen, die er aber als „hässlichster Mann Genuas“ und damit gerade nicht der Starke meidet, eben dieses Mottos wegen. Franz Schrekers 1918 uraufgeführte Renaissance-Fantasie Die Gezeichneten hat in der Verbindung von „schön“ und „stark“ eine bedenkliche Nähe zum „Herrenmenschen“ und zum Rassenwahn der Nazis – die den Komponisten jüdischer Herkunft freilich keineswegs vereinnahmten, sondern nach der Machtergreifung aus Amt und Würden jagten (Schreker starb kurz darauf an den Folgen eines Schlaganfalls). Im dumpf antisemitischen Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts ließ sich das genannte Motto im Umkehrschluss auch als Ausdruck jüdischen Selbsthasses lesen. Auch entstanden Die Gezeichneten unter dem Einfluss der 1903 veröffentlichten und sehr populären (antisemitisch geprägten) Schrift Geschlecht und Charakter von Otto Weininger. Dessen antifeministische Vorstellungen sehen die Frau als sexuell bestimmtes Wesen („Die Frau ist nur sexuell, der Mann ist auch sexuell“). Eine ziemlich krude Gemengelage unangenehmer Motive, und auch wenn Schreker diese nicht naiv übernimmt, ist das vielschichtige Geflecht nicht unbedingt geeignet, die Gezeichneten auf den Nachkriegs-Opernbühnen dauerhaft zu etablieren. Auf der anderen Seite steht die musikalisch Qualität, die das Werk zu einem der aufregendsten des frühen 20. Jahrhunderts macht.

Zur Handlung: Alvianos künstliche Insel „Elysium“ ist vom Genueser Renaissance-Adel längst in ein Liebesnest verwandelt worden, an dem Vergewaltigung und Mord keine Ausnahmen sind. Als Alviano davon erfährt, will er die Insel den Bürgern der Stadt übereignen, also quasi öffentlich machen – zum Unwillen des düpierten Adels. Gleichzeitig findet Alviano in der attraktiven, aber todkranken Künstlerin Carlotta sein Gegenstück, eine weitere durch physische Konstitution „Gezeichnete“. Carlotta gesteht ihm ihre Liebe, die aber nur so weit reicht, dass sie mit Alvianos Porträt ihr künstlerisches Lebenswerk vollendet und sich anschließend dem schneidigen Tamare hingibt. Der rechtfertigt sich gegenüber Alviano mit dessen eigenem Leitspruch, eben dem eingangs genannten “Die Schönheit sei Beute des Starken!“. Carlotta stirbt als Konsequenz der Liebesnacht mit Tamare, der anschließend von Alviano umgebracht wird.

Die ambitionierte Kölner Neuinszenierung in der Regie und Ausstattung von Patrick Kinmonth kann die Vorbehalte gegen das Werk nicht ausräumen. Sie scheitert nicht zuletzt deshalb, weil sie die verschiedenen Ebenen des Stückes aufzeigen möchte und damit letztendlich zu viel will. Zunächst wird das Werk auf seine Gegenwartstauglichkeit geprüft: Die Zuschauer sitzen im Köln-Mühlheimer „Palladium“ auf zwei Tribünen rechts und links der Spielfläche und sind, reichlich bemüht, in die Szene einbezogen, wenn gelegentlich Auf- und Abtritte umständlich über diese Zuschauertribünen erfolgen. Auf der Spielfläche ist ein Schrottplatz mit ein paar Autowracks nachgebaut, auf der einen Seite eine Leitwarte für Alviano, auf der anderen Carlottas verglaste Wohnung. In eher schlechter Fernsehkrimi-Manier entsorgt Underdog Alviano zu den Klängen des grandiosen Vorspiels – das dadurch zur Filmmusik degradiert wird – die Leiche seines Rivalen Tamare im Kofferraum und tötet die bis dahin noch quicklebendige Carlotta. Die eigentliche Oper ist danach halb Darstellung der Vorgeschichte, halb Alvianos Traumwelt. Aber Polizisten, die den Tatort mit weiß-rotem Absperrband sichern, Rettungssanitäter, Schaulustige in Alltagskleidung – fehlen eigentlich nur noch die beliebten Kölner Tatort-Komissare Max Ballauf und Freddy Schenk - solcher Realismus geht nicht auf, wirkt gerade in seinem Bemühen um filmisch genaue Darstellungsweise reichlich albern und konstruiert.

Sehr viel besser gelingen Kinmonth die kammerspielartigen Schlüsselszenen, nämlich die beiden Begegnungen Alvianos mit Carlotta und die tödliche Auseinandersetzung Alvianos mit Tamare. Dank der Spielfreude und der musikalischen Präsenz der Akteure baut sich hier die Spannung auf, die in anderen Szenen fehlt. Stefan Vinke imponiert als Alviano mit enorm durchsetzungsfähigem Heldentenor. Die leicht brüchige Stimme ohne besonderen metallischen Glanz passt gut zum gebrochenen Charakter der Figur, zumal Vinke mit hoher Intensität singt und spielt. Letzteres gilt auch für Nicola Beller Carbone, deren eng gefasste Stimme aber recht klein für die Partie ist. In der Mittellage bei maßvollen Lautstärken verleiht sie mit charakteristischem, leicht unterkühltem Timbre der Malerin eine selbstbewusste Aura; in der Höhe und im Fortissimo bleibt der Klang aber eindimensional. Den erfolgreichen Werber und Liebhaber Tamare gibt Bariton Simon Neal vokal zupackend und mit großem, nicht übermäßig edlem, aber keineswegs polterndem Ton – ein viriler Draufgänger und glaubwürdiger „Starker“, der sich die Schönheit zur Beute macht. Aus dem insgesamt guten Ensemble ragt ansonsten noch Oliver Zwarg als großformatiger Herzog (und Polizeikomissar) heraus.

Wird in diesen Dialogen großes und modernes Theater um eine zeitlose, psychologisch heikle Dreierkonstellation geboten, so weiß die Regie mit dem historischen Rahmen nichts Zwingendes anzufangen. Wenn die Statisterie in Renaissance-Kostümen sorgfältig choreographiert auftritt, dann sind das offenbar Alvianos Traumwelten. Dramaturg Georg Kehren wies in seiner Werkeinführung vor der Aufführung darauf hin, dass solche imaginierten Parallelwelten auch in unserer Gegenwart sehr präsent sind und nannte als populäres Beispiel das (inzwischen längst verblasste) Internetphänomen second world. Das ist ja richtig, nur gelingt es der Regie nicht schlüssig, Schrekers Renaissance-Parallelwelt mit der Kölner Schrottplatz-Gegenwart schlüssig zu verschränken. So laufen in der Aufführung zwei Stücke parallel zueinander ab: Ein interessantes um ein tragisch verhindertes Künstlerpaar und ein uninteressantes Historientraumstück. Überdeutlich wird das in einer Episode, in der ein entführtes Mädchen in Alvianos Haus ohne dessen Wissen versteckt werden soll. Kinmonth inszeniert das als clowneskes Intermezzo: ein Fremdkörper in der Handlung. Die (natürlich vorhandenen) Berührungspunkte wirken konstruiert, der Versuch, im dritten Akt die Erzählstränge zusammenzuführen, misslingt. Eine dionysische Sommernachtsorgie zwischen Softporno und höfischem Ballett auf einem Schrottplatz? Das ist zu viel des gut Gemeinten. Der Rest ist schlechter Krimi.

Das offene Raumkonzept führt dazu, dass der Chor teilweise in mehreren weit voneinander entfernten Gruppen singt, und das geht notgedrungen auf Kosten von Homogenität und Präzision. Dirigent Markus Stenz nimmt das gute Gürzenich-Orchester zu moderaten Lautstärken zurück, dirigiert sängerfreundlich und eher auf die große Linie als auf Kontraste bedacht. Die Höhepunkte sind sorgsam vorbereitet und nie plakativ. In der Akustik des Palladiums vermischt sich Schrekers raffinierte und viel bewunderte Instrumentation im Tutti zu interessanten, aber nicht allzu transparenten Klangwolken. Hätte die Kölner Oper mit einem so ambitionierten Riesenprojekt vielleicht doch warten sollen, bis das Opernhaus saniert ist (und dann hoffentlich über eine exzellente Akustik verfügt)? Oder ist die Strategie des inzwischen gechassten Ex-Intendanten Eric-Uwe Laufenberg richtig, gerade mit solchen spektakulären Projekten die Sanierungsphase zu überbrücken? Schwer zu sagen. Der Applaus des Premierenpublikums schien ein wenig ratlos.


FAZIT

Die Auführung hinterlässt ambivalenten Eindrücke: Der ungeheure Aufwand, mit dem Regisseur Patrick Kinmonth Die Gezeichneten für unsere Gegenwart plausibel machen möchte, deckt unfreiwillig manche Schwächen des Werkes auf. Musikalisch gelingt vieles ausgezeichnet, aber für die Musik Schrekers ist das Palladium eben doch eine Notlösung. Und trotzdem wird vieles von der Faszination dieses schwierigen Stückes deutlich.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Stenz

Inszenierung
Patrick Kinmonth

Bühne und Kostüme
Patrick Kinmonth
Darko Petrovic

Licht
Andreas Grüter

Chor
Andrew Ollivant

Dramaturgie
Georg Kehren


Chor der Oper Köln
Statisterie der Bühnen Köln
Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Herzog Antoniotto Adorno
Oliver Zwarg

Graf Vitelozzo Tamare
Simon Neal

Lodovico Nardi, Podestà
Jyrki Korhonen

Carlotta Nardi, seine Tochter
Nicola Beller Carbone

Alviano Salvago, genuesischer Edelmann
Stefan Vinke

Guidobaldo Usodimare, Edler
Martin Koch

Menaldo Negroni, Edler
Manfred Fink

Michelotto Cibo, Edler
Marcelo de Souza Felix

Gonsalvo Fieschi, Edler
Christian Miedl

Julian Pinelli, Edler
Young Doo Park

Paolo Calvi, Edler
Yorck Felix Speer

Der Capitaneo di giustizia
Oliver Zwarg

Ginevra Scotti
Aneta Hollá

Martuccia, Haushälterin
Katrin Wundsam

Pietro, ein Bravo
Ralf Rachbauer

Ein Jüngling
Juraj Hollý

Ein Mädchen
Erika Simons

1. Senator / 1. Bürger
Alexander Fedin

2. Senator / 2. Bürger / riesiger Bürger
Leonard Bernad

3. Senator / 3. Bürger
Lucas Singer

Vater
Christian Miedl

Mutter
Astrid Schubert

Kind (Junge)
Sebastian Kellner



Weitere
Informationen

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Oper Köln
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Da capo al Fine

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