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"Ariodante": Finsteres aus einem Horrorhaus

Sehr oft treffen Umdeutungen alter Stoffe den aktuellen Kern einer Geschichte. Das kann aber auch schiefgehen. Das Salzburger Landestheater liefert mit "Ariodante" ein Beispiel dafür.

"Ariodante": Finsteres aus einem Horrorhaus
"Ariodante": Finsteres aus einem Horrorhaus


Man ahnt ja gleich nichts Gutes, wenn man sieht, wie der Mann durch dieses seltsame Haus schlurft. Outfit und Haltung, die strähnigen Haare, der apathische Blick: Jeder Zoll kein "König", der er sein soll. Ein gewaltbereiter "Hausvater"? Ja, diese asymmetrisch ausgeschnittenen Wohnzellen, die da zu einer "Einheit" zusammengepappt sind, bilden in ihrer schäbigen Anmutung das Interieur eines Horrorhauses. Und wie der Herr seine Tochter ins Obergeschoß abführt, das lässt Übles befürchten. Sind wir wieder einmal in Amstetten?

Die Ahnung wird zur Gewissheit, als sich mitten in einer sanften Ballettmusik der Vater eindeutig vor seiner Tochter positioniert und diese sich an seiner Hose zu schaffen macht. Da wird es einigen Besuchern im Salzburger Landestheater zu bunt. Es tönt "Buh" und "Aufhören!". Und spätestens hier ist das Schicksal der Regie, die eigentlich der Barockoper "Ariodante" von Georg Friedrich Händel gilt, besiegelt. Es hagelt am Ende für Johannes Schütz und sein szenisches Team lautstarke Ablehnung.

Der Regisseur überrascht schon mit seiner eigenen Bühne. Sie ist anders als alle gewohnten Schütz-Bühnen, die er vor allem für den Meisterregisseur Jürgen Gosch geschaffen hat. Statt minimalistisch-hermetischen, klaustrophobisch geschlossenen leeren Räumen von magischer Suggestion baut er hier eine in zahllose konkrete Details verliebte Wohnlandschaft. Er interpretiert die "innige Beziehung" zwischen Vater und Tochter als Inzest. Und er behauptet, nirgendwo sonst in einer Oper werde so viel gelogen wie hier.

In der Tat spielt "Ariodante" einen Akt lang in scheinbar glücklicher Harmonie. Der Vater hat sein Kind dem Ritter Ariodante versprochen, alles ist in schönster Ordnung. Wäre da nicht Polinesso, der aus machtpolitischem Kalkül Ginevra ebenso begehrt - was die übliche barocke Intrige zur Folge hat: Zwietracht säen, falsche Tatsachen vorspiegeln, Eifersucht und Zorn wecken, die Handelnden zum (Selbst-)Mord treiben, bis sich am Ende doch noch alles in Wohlgefallen auflöst.

Eine Reise in dunkle Abgründe: Das ist dieses in vielem atypische Meisterwerk Händels gewiss. Aus heiterem Himmel in die Finsternis der Seele(n) und wieder zurück ins Leben, das danach freilich nicht mehr so sein kann wie zuvor: Das wäre durchaus eine aufregende (Horror-)Fahrt.

Im Salzburger Landestheater beschränkt man sich indessen auf eine kriminell-obszöne Billigstory wie aus einem Groschenroman. Das wenigstens haben Schütz und seine Kollaborateure konsequent durchgezeichnet, in großteils düsterem Licht und in der Personenführung. Schlüssig wird es nicht.

Händels Intentionen, vor allem seine Gefühlskenntnis, werden damit auch nie getroffen. Wer sonst könnte etwa die tiefste Verzweiflung eines Helden, nein: eines Menschen, über den Liebesbetrug, den Entschluss, dafür in den Tod zu gehen, ergreifender in Klang setzen - langsam, leise, über weich gezupftem Bass und sanfter Streicherbegleitung nur eine einsame, abgrundtief traurige Fagottmelodie? Zehn Minuten dauert Ariodantes Arie "Scherza infida". Lüge? Nein, schmerzlichste Wahrheit!

Tamara Gura singt (nicht nur) diese Szene glaubwürdig, ergreifend, mit guttural dunkler Intensität. Und mit ihr markieren auch sonst die Sängerinnen und Sänger hohes vokalgestalterisches Niveau. Das trifft auf die burschikos direkten Mezzotöne von Nadezhda Karyazina (Polinesso) ebenso zu wie auf den an Leuchtkraft und Ausdruck gewachsenen Sopran von Karolina Plickova (Ginevra). Der finsteren "Fritzlhaftigkeit" seiner Darstellung stellt Marcell Bakonyi einen markant charakterisierenden Bassstrahl entgegen. Als zu falschem Rollenspiel missbrauchte Dienerin Dalinda lässt Katharina Bergrath mit silbrig-quicken Tönen aufhorchen. Nur Mark van Arsdale fällt als Ariodantes rächender Bruder mit zu steif geführtem Tenor etwas ab.

Im Orchestergraben werkt Christian Curnyn, der vor zwei Jahren Vivaldis "Farnace" zum Glühen gebracht hat. Hier scheint ihn nicht zu bekümmern, was auf der Bühne geschieht; genauso wenig hat es den Anschein, als würde die Szene wirklich auf die Musik hören. Also zieht Curnyn sein Ding durch: schnurrende Hurtigkeit am Anfang, dann etwas dürftige Innigkeiten in den großen Nummern, nie aber ein wirklich dramatisch zwingender Zug. Das Mozarteumorchester spielte Barockes jedenfalls schon weitaus treffender und triftiger.
Oper: "Ariodante", Salzburger Landestheater, Aufführungen bis 14. Mai.

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