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Musiktheater
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Il barbiere di Siviglia
(Der Barbier von Sevilla)


Komische Oper in zwei Akten
Libretto von Cesare Sterbini nach der Komödie Le barbier de Séville ou La précaution inutile
von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Musik von Gioacchino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 40' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier am 13. April 2013
(rezensierte Aufführung: 26.04.2013)

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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Sevilla in zünftiger Holzhütte

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


Nachdem das Musiktheater im Revier im November mit Mozarts Le nozze di Figaro die berühmte Vertonung des zweiten Teils von Beaumarchais' Trilogie auf die Bühne gebracht hat (siehe auch unsere Rezension), schließt sich nun mit Rossinis Barbiere die Vorgeschichte an. Damit folgt man der chronologischen Reihenfolge der Kompositionen, da Mozarts Oper gut 30 Jahre vor Rossinis Werk seine Uraufführung erlebte. Aber auch wenn man beide Werke in dieser Spielzeit auf den Spielplan gestellt hat, ist von einem Konzept, das die beiden Inszenierungen verbinden könnte, nichts zu merken, was nicht weiter verwunderlich ist, da man es mit zwei völlig unterschiedlichen Regie-Teams zu tun hat, die wahrscheinlich einen ganz anderen Zugang zu den einzelnen Werken haben.

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Graf Almaviva (Hongjae Lim, rechts) bringt als angeblich mittelloser Student Lindoro Rosina (Alfia Kamalova) ein Ständchen unter ihrem Balkon. Figaro (Piotr Prochera, links) schaut zu.

Aber damit ist man eigentlich schon beim Hauptproblem der Barbiere-Inszenierung angelangt. Welches Konzept verfolgt Michaela Dicu eigentlich mit ihrer Inszenierung in Gelsenkirchen? Anna Melcher erläutert bei der Werkeinführung, dass das Regie-Team versucht habe, das Werk mit einer moderneren Sicht dem heutigen Zuschauer näher zu bringen. Diesem Versuch sind dann zunächst einmal alle Rezitative zum Opfer gefallen, die durch eine Dialogfassung ersetzt werden. Grund dafür sei, so Melcher, dass das Publikum die Zwischentexte so verstehen solle wie das damalige Publikum die italienischen Rezitative. Nun, das deutsche Publikum kann vielleicht kein Italienisch, aber lesen kann es allemal, weswegen diese Begründung nicht überzeugen kann. Auch eine Verdichtung des Stückes wird durch die Dialoge nicht erreicht, da sie einerseits den musikalischen Fluss des Stückes stören und die einzelnen Arien damit teilweise lieblos aneinandergereiht wirken, andererseits den Figuren Texte in den Mund gelegt werden, die mit der eigentlichen Stückvorlage in keinem Zusammenhang stehen. Wieso sollte Don Basilio kein Musiklehrer sein, sondern es nur vorgeben? Wieso trägt er ständig ein Kästchen mit sich herum, in dem sich falsche Schnurbärte befinden, die er sich abwechselnd anklebt? Wieso trifft Figaro schon vor seiner Auftrittsarie auf den Grafen, den der Chor, wieso auch immer, nach dem Ständchen an einem Haken an der Wand aufgehängt hat? Da nützt auch gewiss keine deutsche Dialogfassung etwas, um solch einen Unsinn für das Publikum nachvollziehbarer zu machen.

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Don Basilio (Dong-Won Seo, links) warnt Bartolo (Joachim G. Maaß, rechts) vor dem Grafen Almaviva.

Aber auch die Bühne von Vera Koch wirft einige Probleme auf. Der erste Akt spielt komplett vor einer großen Holzhütte, die optisch an einen Heuboden erinnert, was für die Szenen, die in Bartolos Haus spielen müssen, zu einigen Widersprüchen führt. Bartolo hält sein Mündel Rosina schließlich im Haus verschlossen. Da ist es eher unlogisch, dass sich die vorwitzige junge Frau durch diverse Luken vor das Haus begeben kann. Auch das Finale des ersten Aktes erhält damit fast schon konzertanten Charakter, da die Figuren quasi vor der Hausfront aufgereiht stehen. Doch auch die Öffnung dieses Hauses im zweiten Akt macht die Szene nicht besser. Die Bierzeltatmosphäre mit Klapptischen, Leuchtketten, Keyboard, Disco-Kugel und Mobiliar der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts ersticken jegliches spanisches Flair im Keim. Figaro erinnert in seinem karierten Hemd (Kostüme: Ilka Kops) eher an einen Bauarbeiter als an einen Barbier, und wenn er zum Rasieren Bartolo mit Bier einschäumen will, wirkt das mehr als platt. Die übrigen Kostüme wirken bunt zusammengewürfelt und lassen weder einen Bezug zur Commedia dell' Arte noch zur heutigen Zeit erkennen.

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Rosina (Alfia Kamalova) will ihren Vormund Bartolo (Joachim G. Maaß) nicht heiraten.

Aber Michaela Dicu reichen diese Ungereimtheiten anscheinend noch nicht aus. Sie will noch mehr, und zwar vor allem - so das Programmheft - "nach Spuren jenes ernsthafteren, zeitkritischen Rossini forschen". Und da scheint sie ja "Unglaubliches" zu entdecken. Rosina und Berta sind die einzigen beiden Frauen in dem ganzen Stück. Somit herrscht also ein regelrechter Frauennotstand, was dazu führt, dass der ganze Herrenchor einen Blick durch die Holzritzen auf die begehrenswerte junge Frau zu erhaschen versucht. Aber Rosina hat nur Augen für den mittellosen Lindoro, hinter dem sich, was Rosina nicht weiß, niemand anderes als der Graf Almaviva verbirgt. Wenn es ihr nicht um das Geld und den Adelstitel geht, wieso verliebt sie sich dann nicht in Figaro, der angeblich musikalisch viel besser zu ihr passen soll? Also baut Dicu kurzerhand ein inniges Verhältnis zwischen Rosina und Figaro ein. Sie spielen beide Selbstmord vor dem Haus, weil das ja ein "ernstes" Spiel ist. Dabei kommen sie sich verdammt nahe, allerdings in dem eingefügten Dialog, nicht in der Musik. Wieso denn nicht in der Musik, wenn diese Erkenntnis doch aus der Musik entspringen soll? Und was empfindet Rosina denn eigentlich für ihren Vormund Bartolo? Während der Ouvertüre sieht man in einer Videoprojektion Bartolo in einem Cabriolet eine mit Bäumen gesäumte Straße entlangfahren, wobei Rosina diese Fahrt sichtlich zu genießen scheint. Ist es nur Bartolos Wunschvorstellung, da er sich im zweiten Akt dieses Video auf einer kleinen Leinwand verträumt ansieht, bevor Berta später das Videoband zerreißt und Rosina in ihrer Wut die Leinwand umwirft?

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Zärtliche Gefühle beim Schmusesong von Don Basilio (Dong-Won Seo, im Hintergrund) (vorne von links: Figaro (Piotr Prochera), Graf Almaviva (Hongjae Lim), Bartolo (Joachim G. Maaß) und Rosina (Alfia Kamalova))

Der Höhepunkt des Schwachsinns wird jedoch im zweiten Akt erreicht, wenn Almaviva, Rosina, Figaro und Bartolo versuchen, den angeblich erkrankten Musiklehrer Don Basilio aus dem Haus zu schaffen. Nach Sitte alter Slapstick-Komödien bekommt Basilio eine Holzbank, die ein Herr des Chores zur Vorbereitung der Hochzeit ins Haus gebracht hat, an den Kopf, die ihn zeitweilig außer Gefecht setzt. In einer Art Traumsequenz tritt er dann als Schmusesänger auf der im Hintergrund errichteten Bühne auf, um zur Begleitung eines Alleinunterhalters am Keyboard (Askan Geisler) eine melancholische Schnulze zum Besten zu geben. Als wenn dies nicht schon unpassend genug wäre, nehmen Almaviva, Bartolo, Rosina und Figaro nebeneinander auf der Holzbank Platz und bekunden sich in heiterem "Bäumchen-wechsle-dich"-Spiel ihre gegenseitige Zuneigung. Dass alle drei Männer an Rosina interessiert sind, mag man ja inhaltlich noch nachvollziehen können. Aber zärtliche Liebesbekundungen zwischen Almaviva und Figaro bzw. Almaviva und seinem Erzfeind Bartolo gibt das Stück nun wirklich nicht her. Wenn Dong-Won Seos großartiger Bass bei diesem Song nicht für den inhaltlichen Unsinn, den man hier geboten kriegt, entschädigen würde, wäre die Publikumsreaktion nach dieser Einlage sicherlich heftiger ausgefallen. So honoriert man zumindest den Gesang.

Überhaupt ist es die musikalische Leistung, die diesen Abend, wenn schon nicht sehens-, dann doch zumindest hörenswert macht. Mit Hongjae Lim verfügt das Musiktheater im Revier über einen jungen Tenor, der mit seinem hellen Tenor den Grafen Almaviva recht jugendlich gestaltet und auch die Spitzentöne in den Höhen sauber ansetzt. Mit seiner Kavatine "Ecco, ridente in cielo", die er als erstes Ständchen unter Rosinas Fenster bringt, beweist Lim, dass er von Anfang an stimmlich auf der Höhe ist. Michael Dahmen ist stimmlich und optisch ein prädestinierter Figaro, dem man nur ein anderes Kostüm und eine andere Personenregie gewünscht hätte. Die berühmte Figaro-Arie macht er mit seinem beweglichen Bariton zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Joachim G. Maaß stattet den Bartolo mit geschmeidigem Buffo-Bass aus und begeistert wie gewohnt durch komödiantisches Spiel. Dong-Won Seo lässt in der berühmten Arie "La calunnia è un venticello" seinen fulminanten Bass strömen und gestaltet den Musiklehrer Don Basilio als schmierigen Heuchler. Auch Alfia Kamalova ist für die Rosina eine Idealbesetzung. Mit keckem Spiel und perlenden Koloraturen begeistert sie das Publikum nicht nur in der berühmten Arie "Una voce poco fa". Noriko Ogawa-Yatake lässt als Berta ebenfalls keine Wünsche offen, auch wenn man nicht nachvollziehen kann, wieso sie von der Regie zum Rauchen gezwungen werden muss.

Der von Christian Jeub musikalisch gut einstudierte Herrenchor kann erneut seine komödiantischen und schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Die Neue Philharmonie Westfalen macht unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi deutlich, dass dem Orchester der leichte und spritzige Rossini-Sound liegt, so dass es am Ende großen Applaus für die Musiker und Sänger gibt. Ob das Regie-Team, das sich in der rezensierten Folgevorstellung nicht mehr dem Publikum gestellt hat, ebenfalls so frenetisch aufgenommen worden wäre, darf angezweifelt werden.

FAZIT

Bei den zahlreichen Barbiere-Produktionen, die man in dieser Spielzeit in Nordrhein-Westfalen erleben kann (Bonn, Münster und Wuppertal) dürfte die Gelsenkirchener Inszenierung zumindest szenisch nicht die erste Wahl sein.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valtteri Rauhalammi

Inszenierung
Michaela Dicu

Bühne
Vera Koch

Kostüme
Ilka Kops

Video
Andreas Etter

Arrangement
Axel Goldbeck

Licht
Helmut Justus

Chor
Christian Jeub

Dramaturgie
Anna Grundmeier
 

Herren des Opern- und
Extrachores des Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

*rezensierte Aufführung

Graf Almaviva
Hongjae Lim

Doktor Bartolo
Joachim G. Maaß

Rosina
Alfia Kamalova

Don Basilio
Dong-Won Seo

Figaro
*Michael Dahmen /
Piotr Prochera

Fiorillo
*Sun-Myung Kim
/
Charles E. J. Moulton

Berta
Noriko Ogawa-Yatake

Ein Offizier
Jerzy Kwika

Ein Notar
Oliver Aigner

Alleinunterhalter
*Askan Geisler /
Bernhard Stengel

Rosina als Kind (Film)
Hannah Ollesch


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