John Dew inszeniert im Staatstheater Darmstadt Richard Strauss´ Oper „Salome“

Print Friendly, PDF & Email

Susanne Serfling (Salome), Scott MacAllister (Herodes)
Susanne Serfling (Salome)
Susanne Serfling (Salome), Scott MacAllister (Herodes), links hinten Gundula Hintz (Herodias)
Archaische Emotionen, expressionistische Wucht  

John Dew inszeniert im Staatstheater Darmstadt Richard Strauss´ Oper „Salome“
Bereits die Apostel Markus und Matthäus erzählen in ihren Evangelien die grausame Geschichte der Prinzessin Salome, die den von Herodes eingekerkerten Propheten Jochanaan (Johannes der Täufer) begehrte und ihn, als er sie abwies, hinrichten ließ. Sie stützte sich dabei auf ein Versprechen ihres Stiefvaters Herodes, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, wenn sie ihm vortanzte.

Die Daten dieser Vorfälle, einschließlich der familiären Verhältnisse von Herodes und seiner Frau Herodias, sind weitgehend historisch abgesichert, von Salomes Part einmal abgesehen. Der Grund für Jochanaans Hinrichtung dürfte jedoch eher politischer Art gewesen sein. Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich bereits der so hellsichtige wie satirische Oscar Wilde dieser Geschichte angenommen und sie in einem knappen Einakter für die Bühne umgeschrieben. Richard Strauss zeigte sich von dem Stück derartig beeindruckt, dass er umgehend mit der Komposition der Oper dazu begann.

, Scott MacAllister (Herodes)

Man fragt sich natürlich, warum diese Legende gerade um die vorletzte Jahrhundertwende so großes literarisches Interesse erregte, war sie doch über Jahrhunderte nur Bibelkundigen geläufig. Doch während des „fin de siècle“ faszinierten vor allem Geschichten der Dekadenz und des Untergangs Dichter und Musiker. Man fühlte sich in einer Art von Endzeit, da die monarchisch-nationalistischen Systeme erstarrt waren und zunehmend auf tönernen Füßen standen. Die jungen Menschen erwarteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Wende, einen Umbruch oder ein welterschütterndes Ereignis, das ja mit dem Ersten Weltkrieg auch eintritt, wenn auch anders als erhofft und erwartet.

In einer solchen Atmosphäre des Abscheus vor dem Bestehenden, des lustvollen Schauens in den Abgrund fanden Legenden wie die um die Prinzessin Salome besonderen Anklang, und Richard Strauss folgte letzlich wohl nur einem allgemeinen Trend, wenn auch die offizielle Moral das Stück wegen seiner vermeintlich antiklerikalen Grundhaltung heftig ablehnte. Der religiöse Aspekt mag aber auch vorgeschoben gewesen sein, da in dem Stück die Dekadenz der weltlichen Machthaber wesentlich deutlicher karikiert und entlarvt wird. Außerdem wird die Religion im Grunde genommen nicht attackiert sondern nur als machtloses Opfer dargestellt.

Abgesehen von diesem zeittypischen Hintergrund enthält das Stück alle Zutaten für eine dramatische Oper. Das beginnt schon mit der Einheit von Ort, Zeit und Handlung getreu der aristotelischen Maxime. Die Handlung strebt konsequent dem katastrophalen Ende entgegen, und Nebenhandlungen gibt es nur zur Erklärung der Charaktere. So dient die Figur des Hauptmanns Narraboth lediglich dazu, die Anziehungskraft der Prinzessin Salome zu verdeutlichen und die kurzfristige Freilassung des Jochanaan aus seinem Kerker – entgegen der strikten Weisung des Herodes – zu erklären. Die Geburtstagsfeier des Herodes mit ihren dekadenten Auswüchsen dient der Herleitung des Schleiertanzes, und die fast liebevolle Detailzeichnung der Herodias als missgünstige, laszive, rücksichtslose und rachsüchtige Frau erklärt, wie die junge Salome auf den Gedanken kommen konnte, das Leben eines gefangenen Propheten für einen Tanz zu verlangen.

Salome hat in dieser Familie nie so etwas wie Geborgenheit, ethische Werte oder gar Liebe erfahren. sie hat jedoch gelernt, dass man sich alles holen kann, was man haben möchte, und sie hat von ihrer Mutter schnell das erpresserische Potential speziell weiblicher Mittel erlernt. So fühlt sie sich von dem asketischen Jochanaan schwer gekränkt, weil er ihr – anfangs eher neugieriges – Interesse an ihm nicht erwidert. Erst diese anfängliche Unzugänglichkeit reizt Salome dazu, das Interesse um eine deutlliche erotische Komponente aufzuwerten, da sie gelernt hat, dass dieses Mittel immer wirkt. Bei Narraboth hat sie damit ja gerade erreicht, dass er gegen die Befehle Jochanaan aus dem Kerker ließ – und sich später umbrachte. Wenn aber selbst der erotische Reiz bei einem Mann nicht verfängt, lässt das die Frau vollständig machtlos zurück und weckt ihre Rachsucht. Und da  Salome weiß, dass ihre Mutter den Jochanaan hasst, weil er sie wegen ihrer zweiten Heirat verflucht hat, ist sich Salome ihrer Komplizenschaft sicher. Jochanaan als Mensch ist ihr ziemlich gleichgültig, als Prophet sowieso; aber als Mann, der sie als Frau verschmäht, verdient er ihre Rache, sprich den Tod.

Wenn ihr dann nach einem langen Zwischenspiel mit Herodes, der mit allen Mitteln vergeblich versucht, sein Versprechen durch materielle Güter zu ersetzen, der abgeschlagene Kopf des Jochanaan auf dem Silbertablett serviert wird, kann sie den Schock nicht verkraften. In einer Art von Trance spricht sie mit dem Kopf, küsst die Lippen und wirft dem Toten vor, sein Tod sei nutzlos gewesen, da sie ihren Willen doch bekommen hat. Nicht Salome ist also Schuld an seinem Tod, sondern er selbst durch seine Weigerung, sich küssen zu lassen. Die Erkenntnis, dass sie für den Tod eines Menschen verantwortlich ist, dämmert nur langsam in dem jungen Mädchen hoch, und bewirkt dann eine geistige Lähmung und Verwirrung, die ins Grotesk-Makabre umschlägt. Die Reaktion von Herodes, sie töten zu lassen, ist da nur logisch. Anders ausgedrückt und auf die Zeit der Opernentstehung abgebildet: Salome ist der Katalysator, der die Katastrophe als Voraussetzung für die große Reinigung und Neubesinnung einleitet. Nach dieser Aufgabe ist der Katalysator im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt; „der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen“. Salome kann die Katastrophe selbst nicht überleben, aber ihre Tat wird die hinter Jochanaan stehende neue Bewegung stärken.

Richard Strauss hat diese Handlung mit einer Musik von archaischer Wucht unterlegt. Wohltöne haben hier wenig Platz, denn von Anfang an geht es um Macht: politische, persönliche und erotische. So wie die Personen auf der Bühne in fatalen Abhängigkeitsverhältnissen zueinander stehen – Herodes zu Herodias, Salome zu ihren Eltern, Narraboth zu Salome und Herodes, die Juden zu Herodes -, so baut auch die Musik permanent rhythmische Kontraste und schroffe tonale Gegensätze auf. Lyrische Momente sucht man vergebens, und selbst der Schleiertanz – die verkappte Allegorie eines eindeutig erotischen Aktes zwischen Salome und Herodes – ist ein schlangenförmig gewundenes Tongebilde, das eher die hintergründigen Absichten Salomes als natürliche Erotik ausdrückt. Der Zuhörer wird hier kompromisslos mit einer von Gegensätzen und emotionalen Ausbrüchen geprägten Musik konfrontiert, die das Schöne als Schein und die Dissonanz der Gefühle als Normalzustand entlarvt. Doch gerade deshalb ist diese Musik von einer unglaublichen Wucht und Echtheit; sozusagen schlackenlos beschreibt sie die seelischen Befindlichkeiten der Protagonisten auf der Bühne: Begierde, Egoismus, Rachsucht, Lüge und Schmeichelei. Und mittendrin schmachtende Verliebte wie Narraboth, die gar nicht um den Zustand der Welt wissen.

John Dew hat die Oper ebenfalls als kompakten Einakter von etwa eineinhalb Stunden Dauer und ohne Pause inszeniert, was der dramatischen Dichte zugute kommt. Heinz Balthes hat dazu ein Bühnenbild mit drei sequentiellen Abschnitten geschaffen. Zu Beginn scheint ein Mond wechselnder Farbe – mal fahlweiß, mal blutrot – hinter einem halbtransparenten, roten Vorhang, der die Bühne auf den vorderen Teil verengt und damit die eher intim-gespannte Atmosphäre für das Zwiegespräch zwischen Salome und Jochanaan schafft. Für das große Fest des Herodes hat er im Rückraum eine halbrunde, bühnenhohe Wand platziert, die schwülstige Blumenmotive in Jugendstilmanier zeigt, die man aber auch als Allegorien auf weibliche Erotik aller Art deuten kann. Damit verweist die Inszenierung deutlich auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Im dritten Teil ziert dann ein graues Geflecht aus dicken und dünnen Materialien in Bühnenhöhe die Rückwand. Mit einiger Phantasie kann man sie als die verworrenen (grauen) Windungen eines kranken Gehirns oder aber als Vorzeichen einer mechanisch-technischen Tötungsmaschine – erster Weltkrieg! – deuten. Die Kostüme von José-Manuel Vásquez lassen den Zeitbezug etwas im Vagen, wenn auch die Uniformen der Soldaten, die Abendanzüge der „Juden“ – die Strauss als beflissene Schmeichler des vom Besatzer eingesetzten Herrschers angelegt hat – und das Kleid der Herodias eher auf die k.u.k.-Welt verweisen. Es zeugt auch von einer gewissen Logik, die Inszenierung in diese Zeit zu verlegen, denn die Motivation für die Oper lässt sich zum großen Teil aus dem damaligen geistigen Hintergrund erklären.

, Scott MacAllister (Herodes), links hinten Gundula Hintz (Herodias)

Das Ensemble zeigt in dieser Inszenierung Spitzenleistungen, wobei man nicht weiß, wen man mehr hervorheben soll: Susanne Serfling als Salome oder das Orchester unter der Leitung von Marrtin Lukas Meister. Susanne Serfling hat an diesem Abend eine nahezu durchgehende Gesangsrolle durchzustehen. Nur im mittleren Teil, wenn Herodes und seine Gesellschaft eingeführt werden, kann sie am Bühnenrand sitzen und ihre Stimme schonen. Ansonsten ist sie stets präsent: lockend, fordernd, schmeichelnd und tadelnd, und das stets verbunden mit einem stimmlich höchst anspruchsvollen Gesangspart. Das gilt nicht nur für die expressiven Gesangsszenen sondern auch für die scheinbar gesprochenen Texte, die hier jedoch – wie man es nach Wagner nicht anders kannte – stets in einem kontrollierten Sprechgesang vorgetragen werden. Dazu muss sie in der langen Schleiertanz-Szene auch noch besondere tänzerische und darstellerische Fähigkeiten zeigen, denn schließlich will Salome mit ihrem erotischen Tanz den König völlig für sich einnehmen und geradezu besetzen. Den Schleiertanz, kritisch weil oftmals Anlass zu unfreiwilliger Komik, präsentiert Susanne Serfling völlig natürlich und glaubwürdig und mit dem nötigen Schuss an Laszivität, ohne dass je das Gefühl von Peinlichkeit aufkommt. 

Als zweiter großer Akteur dieses Abends ist das Orchester zu nennen, das wahre Schwerarbeit verrichtet, dies aber scheinbar ohne Anstrengung tut. Bei aller Wucht, Dynamik und Zerrissenheit der Musik sind die Transparenz und die Feinsteuerung hervorzuheben, mit der Lukas Martin Meister das Orchester durch die stürmischen emotionalen Wogen des Bühnengeschehens dirigiert. Intensität und Tempo sind dem Geschehen nicht nur angemessen, sondern steuern es auf subtile Weise. Lange nicht mehr hat die Musik einer Oper das Publikum bis zum Schlussakkord derartig gefangen genommen.

Natürlich spielen die anderen Gesangskräfte auf der Bühne keine Nebenrollen sondern bewwegen sich auf Augenhöhe mit Susanne Serfling. Da ist einmal Kay Stiefermann als Jochanaan zu nennen, der jedoch aufgrund der Eindimensionalität seiner Rolle – religiöser Asket ohne weltliche Ambitionen – nur begrenzte Entfaltungsmöglichkeiten hat. Seine größte Herausforderung besteht darin, dass er große Teile seiner Gesangspartien aus dem „Off“ (dem Kerker) singen muss. Dabei schafft er es jedoch, seinen Text markant und vor allem bis aufs einzelne Wort verständlich zu singen. Denn für das Publikum ist bei Abwesenheit von Mimik und Gestik die Verständlichkeit des Textes besonders wichtig.

Scott MacAllister ist ein stimmlich und körperlich sehr beweglicher Herodes, der die Rolle des allgegenwärtigen Herrschers wirklich auf der Bühne verwirklicht. Er zeigt auch die Brüchigkeit dieser Herrschaft, die von sovielen internen und externen Einflüssen – Begierden, politische Rücksichten, eheliche Auseinandersetzungen – bedroht ist. Stimmlich ist er ausgesprochen präsent, und ihm gelingt auch der Wechsel vom befehlsgewohnten Herrscher zum willenlosen Werkzeug Salomes oder zum genervten Ehemann der schrecklichen Herodias hervorragend. Stéphanie Müther spielt und singt diese Rolle mit viel Spaß an der Farce und der satirischen Groteske. Ihre Herodias ist eine übersättigte Frau, die ihre lesbischen Neigungen öffentlich zur Scheu trägt und bei jeder Gelegenheit schnell mit einem hässlichen Lachen und bösen Kommentaren zur Hand ist.

Daneben treten eine ganze Reihe von Sängern und Sängerinnen in verschiedenen Nebenrollen auf, so Mark Adler als Hauptmann Narraboth und eine ganze Gruppe von Sängern – Lasse Penttinen, Peter Koppelmann, Andreas Wagner, Minseok Kim und Stephan Bootz – als die „fünf Juden“. Das gesamte Ensemble zeigt eine beeindruckende Leistung, die nie an Schwung und präsenz verliert. Diese Inszenierung lässt die Zuschauer bis zum Schluss nicht aus ihren Fängen.

Das Premierenpublikum musste sich nach den letzten Klängen des Orchesters erst sammeln, ehe der Beifall einsetzte. dann aber spendete es allen Beteiligten ohne Ausnahme begeisterten beifall, besonders jedoch Susanne Serfling sowie Martin Lukas Meister und seinem Orchester.

Weitere Aufführungen am 3., 11., 15., 21. und 25. Mai

Frank Raudszus 

Alle Fotos © Barbara Aumüller

 

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar