Komödie? Tragödie?

Mit «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal hat sich das Theater St. Gallen eine grosse Kiste vorgenommen. Der Abend gelingt auf beeindruckendem Niveau.

Peter Hagmann
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Für unanständiges Durcheinander in der Tragödie sorgen die St. Galler Komödianten. (Bild: Tanja Dorendorf)

Für unanständiges Durcheinander in der Tragödie sorgen die St. Galler Komödianten. (Bild: Tanja Dorendorf)

Die eine trauert und trauert, weil sie der Mann verlassen hat; nur durch eine Art Verwandlung kann sie zu neuem Leben finden. Die andere denkt schon beim Ersten ganz kurz an den Zweiten und wendet sich dann, stets guter Laune, dem Dritten zu. Und ausgerechnet diese beiden Damen – so will es der sogenannte Mäzen, der zahlt und darum befiehlt – sollen miteinander erscheinen: Tragödie und Komödie zu gleicher Zeit. Das führt auf der Bühne wie im Orchestergraben zu erheblichen Turbulenzen, die man sich immer wieder gern zu Gemüte führt. Auch im Theater St. Gallen, wo Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss mit ihrer Oper «Ariadne auf Naxos» derzeit logieren.

Farbiges Klangbild

Anders als bei den Salzburger Festspielen des letzten Sommers, wo die 1912 uraufgeführte Erstfassung des Stücks gegeben wurde, hat sich St. Gallen für die üblicherweise gespielte zweite Fassung entschieden, bei der die Komödie vor der Oper nicht mehr die Hauptsache darstellt, sondern nur noch ein kurzes Vorspiel abgibt. Das hält die Länge des Abends im normalen Mass, mindert den gesellschaftskritischen Sprengstoff der Oper aber doch erheblich. Der Regisseur Aron Stiehl hielt insofern dagegen, als er das Vorspiel köstlich zuspitzte. Es spielt in der Gegenwart einer St. Galler Galerie für Gegenwartskunst, in der sich Putzfrauen mit rührender Intensität um vergoldete Schweinigeleien hochbezahlter Künstler kümmern. In diesem vom Bühnenbildner Simon Lima Holdsworth mit Witz ausgestatteten Ambiente lässt sich ein wenigstens materiell begüterter Mensch den Schauplatz für sein Fest der Feste einrichten.

In seinem perfekt sitzenden Zweireiher (die Kostüme hat Franziska Jacobsen entworfen) gibt der hochgewachsene Romeo Meyer einen Haushofmeister, der in seiner kaltschnäuzigen Borniertheit ganz ausgezeichnet getroffen ist. Sehen lassen kann sich aber auch, was für tragische Komödien und welche komischen Tragödien sich unter dem Bühnenpersonal ereignen. Das stammt zwar von 1912, kann aber eins zu eins in die Gegenwart übertragen werden. Einigermassen über der Sache steht nur der Musiklehrer, der das Leben gesehen hat und sich Gelassenheit erlauben kann, allerdings auch hie und da an die Grenzen gerät – David Maze zeigt das sehr sympathisch. Der Komponist dagegen ist ein Jungspund, der kaum zu bremsen ist – da mag die mit viel Druck versehene und insgesamt zu laute Tongebung von Katja Starke passen, auch wenn sie die musikalische Balance in Schieflage versetzt. Am Pult des in kleiner Besetzung antretenden St. Galler Sinfonieorchesters sorgt nämlich der neue Chefdirigent Otto Tausk für ein sehr lichtes, von zahlreichen Farben belebtes und süffiges Klangbild.

Ein Klangbild übrigens, das von manch reizvoller Spezialität geprägt wird – man kann es ausgezeichnet hören, was alles andere als selbstverständlich ist. Einem kleinen, stark aufgeteilten Streicherapparat steht eine sozusagen normale Bläserbesetzung gegenüber, dazu kommen ein Klavier, das die komödiantischen Teile begleitet, und ein Harmonium, das, wie es an kleineren Theatern üblich war, den Klang fülliger machen soll, das aber auch immer wieder heraustritt. Mit diesem agilen Ensemble geht der Dirigent subtil um; er lässt die Farben leuchten, und vor allem findet er plausible, geschmeidig ineinander übergehende Tempi. Die Sängerinnen und Sänger scheinen sich da wohl zu fühlen. Besonders gilt das für Lenneke Ruiten, welche die grosse Arie der Zerbinetta mit ihrem extremen Tonumfang, ihren unglaublichen Koloraturen und ihren frivolen Stimmungswechseln brillant meistert – und das durchaus auch auf der Ebene des Schauspielerischen.

Quirliges Ensemble

Unter dem Strich scheinen die Sympathien also eher dem Komödiantischen zuzuneigen – wie übrigens auch bei den von dem unsichtbaren Mäzen geladenen Gästen und dem unvermeidlichen Kritiker, die sich bisweilen von Herzen langweilen und sich dann kurz vor dem Höhepunkt der Oper davonschleichen, um das Feuerwerk nicht zu verpassen. Dabei ist auch das Tragische von szenischer Ironie durchwirkt, gibt es etwa augenzwinkernde Anspielungen an Wagner und einen rechtzeitig bellenden Fifi. Als Ariadne ist Katrin Adel die stimmgewaltige Primadonna, und sie macht das mit hoher Musikalität. Während Arnold Rawls als ein heroischer, allerdings nicht immer ausreichend freier Bacchus erscheint. Engagiert und quirlig das von Strauss ja nicht gerade sparsam besetzte Ensemble. Jedenfalls ist an diesem Abend zu erleben, dass auch auf kleineren Bühnen grössere künstlerische Ergebnisse zu erzielen sind (wie sich kleinere bisweilen in grösseren Häusern ereignen). Das gern geschmähte Stadttheater kann durchaus Zukunft haben.