Bildreicher Friedensappell

Benjamin Britten komponierte sein "War Requiem" 1962 zur Einweihung der neu erbauten Kathedrale der englischen Stadt Coventry, die im Zweiten Weltkrieg grossflächig zerstört worden war. Am Theater Basel setzt der Regisseur Calixto Bieito mit einer szenischen Aufführung ein bildstarkes Zeichen gegen den Krieg.

Martina Wohlthat
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Tote brauchen keine Schuhe. Ein anrührendes Bild in der szenischen Produktion von Benjamin Brittens «War Requiem» am Theater Basel sind die Kinderschuhe, die paarweise in Reih und Glied am Rand des Orchestergrabens aufgestellt und mit Blumen geschmückt werden. Britten schuf sein «War Requiem» als Mahnmal gegen den Krieg. Anlass zur Komposition war 1962 die Einweihung der neu erbauten Kathedrale der englischen Stadt Coventry, die im Zweiten Weltkrieg grossflächig zerstört worden war. Auf der Bühne in Basel setzt der Regisseur Calixto Bieito in einem nachgebauten Kirchenraum nun bildstarke Zeichen gegen die Sinnlosigkeit des Krieges.

Die szenischen Bilder entstehen aus einem zeremoniellen Beginn heraus. Im Bühnenhintergrund bildet ein hoher Prospekt mit Kirchenfenstern gleichsam den geistlichen Horizont des Abends, das Theater wird hier zum Sakralraum mit Kirchenbänken, in denen der Chor des Theaters Basel Platz genommen hat und die sich von der Bühne in den Zuschauerraum hinein fortsetzen.

Das Sinfonieorchester Basel ist, wie in der Partitur von Britten angelegt, auch räumlich zweigeteilt. Das Hauptorchester, das mit starker Blechbesetzung den liturgischen Text der Totenmesse begleitet, befindet sich im Orchestergraben. Ein kleineres Ensemble, das zu den von Britten vertonten Gedichten Wilfred Owens musiziert, sitzt erhöht auf einem Gerüst. Diese Gesänge thematisieren die individuellen Leidensgeschichten von Soldaten während des Ersten Weltkriegs. Die räumliche Aufteilung des Orchesters nun unterstreicht die dramaturgische Idee der Komposition, die Unterscheidung zwischen kollektivem Totengedenken und individueller Leidenserfahrung. Die solistischen Gesänge bewahren ihre Individualität gegenüber den chorisch gesungenen Teilen der Totenmesse. Darin ist sich der Regisseur Calixto Bieito mit dem Komponisten einig: Der Tod ist auch auf der Bühne immer der Tod des Einzelnen.

Man darf gewiss nach der Notwendigkeit einer solchen szenischen Umsetzung fragen. Zweifellos ist das «War Requiem» ein im Innersten dramatisch angelegtes musikalisches Werk, zugleich wird die Musik hier aber ausgesprochen gestisch. Hymnische Chorgesänge und die gnadenlos dazwischenfahrenden Attacken des Orchesters bringen den Gegensatz von Erlösungshoffnung und brutaler Kriegstreiberei für das Ohr hinlänglich zum Ausdruck. Eine Inszenierung läuft hier Gefahr, die Partitur bloss bildhaft zu verdoppeln. Bieito entgeht dem durch den Verzicht auf eine oberflächliche Aktualisierung. Die szenischen Bilder nehmen vielmehr den symbolischen Gehalt auf, lassen einen zeitgenössischen Totentanz entstehen.

Zu Beginn wird eine Bahre hereingetragen. Darauf schält sich der Tenor Rolf Romei aus dem Leichentuch heraus. Zwischen den im Kirchengestühl knienden Chorsängern beginnt er vom Leid des Soldaten an der Front zu singen, ein realistischer Einspruch gegen die Bitte des Chors um ewige Ruhe und ewiges Licht. Mit Blick ins Publikum skandiert der Chor den bedrohlichen Beginn des «Dies Irae», der Bariton Thomas E. Bauer gibt dazu einen lyrischen Kommentar wie aus einer Traumwelt. Die Sopranistin Svetlana Ignatovich, die durch ihre zerrissene Kleidung als Kriegsopfer charakterisiert wird, trauert mit dramatischer Gestik um ein getötetes Kind. Im Zentrum aber stehen der Chor und Extrachor des Theaters sowie die Mitglieder der Knaben- und Mädchenkantorei Basel. Wie der Dirigent Gabriel Feltz diesen gewaltigen, auf der Bühne verteilten Klangkörper zu einem kompakten, rhythmisch scharfkantigen Ganzen zusammenführt, ist bewundernswert. Der Abend gerät so zum kollektiv empfundenen Friedensappell mit kathartischer Wirkung.