Hybrid – auf den Kopf gestellt

Nicht nur Strawinskys «Sacre», auch Richard Strauss' Oper «Ariadne auf Naxos» ist in der Spielzeit 1912/13 zur Uraufführung gekommen: in Stuttgart, wo das Werk aus diesem Anlass in einer neuen Produktion gezeigt wird.

Peter Hagmann
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Wie der Trauernden neues Leben einhauchen? Zerbinetta (Ana Durlovski) überdenkt auf der Stuttgarter Opernbühne ihre Strategie. (Bild: A. T. Schaefer)

Wie der Trauernden neues Leben einhauchen? Zerbinetta (Ana Durlovski) überdenkt auf der Stuttgarter Opernbühne ihre Strategie. (Bild: A. T. Schaefer)

Glanzvoll war die Uraufführung am 25. Oktober 1912, zumal Stuttgart damals noch ein Königlich Württembergisches Hoftheater besass und die Premiere zugleich die Eröffnung des Kleinen Hauses in der neuen, glanzvollen Anlage des Architekten Max Littmann bildete. «Ariadne auf Naxos», die jüngste Arbeit von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, hatte viel versprochen. Dazu kam die Anwesenheit des Regisseurs Max Reinhardt mitsamt einem von weit hergeholten Ensemble illustrer Darsteller, während am Pult der Komponist selbst wirkte. Künstlerisch geriet der Abend jedoch bloss zu einem halben Erfolg. Das Stück wollte sich nicht so recht verbreiten, zu schwierig war die spartenübergreifende Kombination von Molières Komödie «Le Bourgeois gentilhomme» in der Bearbeitung Hofmannsthals als musikalisch untermaltem Vorspiel mit dem darauffolgenden Operneinakter. Weshalb Strauss und Hofmannsthal «Ariadne auf Naxos» mit einem neuen, schlankeren Vorspiel versahen. So wurde das Werk 1916 ein zweites Mal aus der Taufe gehoben, und in dieser Fassung ist es im Repertoire verankert.

Das Vorspiel als Endspiel

Nahe lag es, dass Jossi Wieler und sein Chefdramaturg Sergio Morabito in der Saison 2012/13 den grossen Moment der Stuttgarter Operngeschichte aufnehmen wollten. Nicht zuletzt sollte auch des Kleinen Hauses gedacht werden, das 1944 zerstört und 1962 durch einen Neubau ersetzt wurde (der übrigens wiederum mit «Ariadne auf Naxos» eröffnet wurde). Anna Viebrock hat für die neue Stuttgarter «Ariadne» denn auch einen Bühnenraum gestaltet, der in seiner Formensprache den grossbürgerlichen Jugendstil Max Littmanns sensibel aufnimmt und, wie das einmal mehr hochstehende Programmheft verrät, Details aus dem nicht mehr existierenden Kleinen Haus sehen lässt. «Ariadne auf Naxos» spielt da klar im Ambiente der Entstehungszeit, was sich auch in den Kostümen und den Perücken mit dem für diese Bühnenkünstlerin typischen Witz niederschlägt.

Allerdings, gespielt wird nicht die Urfassung von 1912 – dieses Verdienst haben sich die Salzburger Festspiele im Sommer 2012 gesichert –, sondern die übliche Version von 1916, die aber in umgekehrter Reihenfolge mit der Oper vorab und dem Vorspiel danach. Das hat insofern seinen Reiz, als sich in dieser dramaturgischen Entscheidung die Reihenfolge der Entstehung spiegelt. Und man kann die Erläuterungen im Programmheft nachvollziehen – denn tatsächlich mag durch das Vorspiel, in dem der Akzent auf der Konfrontation zwischen Ernst und Heiter liegt, der Blick auf die im Inneren der Figur der Ariadne angelegten Spannungen verstellt werden. Gleichwohl bleibt die Umkehrung ein wenig befriedigendes Experiment, weil im Vorspiel beständig verhandelt wird, was sich danach ereignen wird.

Und das, obwohl Jossi Wieler in seiner Inszenierung stärker als in anderen Produktionen des Stücks auf die Doppelnatur der Ariadne blickt. Zum Höhepunkt wird da die Begegnung zwischen Ariadne (die durch Christiane Iven eine nicht immer intonationssichere, aber glaubhaft heroische Ausgestaltung erfährt) und Zerbinetta (die Ana Durlovski mit nicht ganz makellosen Koloraturen, jedoch spritzig vital gibt). In diesem Moment kann der Zuschauer bemerken, wie sich in der tragisch verstrickten Figur das komisch Lebensbejahende zu regen beginnt. Da ist wieder einmal zu erleben, wie einfühlsam Wieler auf Text und Musik reagiert und wie subtil er diese Reaktion in szenischen Ausdruck umzusetzen weiss.

Ungespitzter Griffel

Und wie stets ist das Stuttgarter Ensemble, das bei «Ariadne auf Naxos» ja üppig besetzt ist, voll bei der Sache. Was Professionalität vermag, zeigt zum Beispiel André Jung in der Sprechrolle des Haushofmeisters; einige wenige, aber umso schärfer wirkende Akzente in einem sonst sehr gelassenen Sprechfluss genügen, um die dreiste Arroganz dieser Figur spürbar werden zu lassen. Eine solche Haltung hätte sich auch der Dirigent Michael Schønwandt zu eigen machen können. Er besetzt das Orchester zwar kammermusikalisch, geht dann aber mit ungespitztem Griffel an die Partitur, treibt das Staatsorchester Stuttgart in den dynamischen Höhepunkten zu klanglich hässlichem Forcieren und verfehlt damit die klanglich so ungemein schillernde Feinzeichnung des Instrumentalen. Das ist umso bedauerlicher, als der Dirigent ausgeprägten Sinn für den musikalischen Fluss besitzt und deshalb zu elegant geschmeidigen Tempi findet.