Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Pommes Frites für die Souffleuse
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Karl Forster
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein": Das Kunst-Wien, das Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss 1911 sich zuckersüß und untergangsbitter erschufen mit seinen so nie dagewesenen Gepflogenheiten und Ritualen, für das sie das absolutistische 18. Jahrhundert im Walzerrhythmus des späten 19. Jahrhunderts seinem Ende entgegen torkeln ließen, das ist ein durch und durch artifizielles Produkt. Eine Scheinwelt auf dem Theater, die sich eine gute alte Zeit herbeiphantasiert, in der es die Ahnung von Liebesglück gibt: Wo war ich schon einmal, und war so selig?" Und doch ist schon dieser kurz aufblitzende Moment der Seligkeit gekoppelt an die Tragik der Vergänglichkeit, des Alterns und der gescheiterten Liebe. Vom doppelbödigen Text bis zu den Akkordfolgen der Celesta, die wie kandierte Kirschen in den elegischen Schluss tropfen, ist diese Oper durchzogen von dieser Ambivalenz, diesem kann nicht wirklich sein".
Schlafzimmergeschichten: Marschallin (links) und Octavian (rechts im Schrank) im ersten Aufzug
Alles also nur Theater! denkt sich Philipp Harnoncourt nicht als erster Regisseur, und so wird im Geiste des seligen Bert Brechts verfremdet, was das Zeug hält: Alle drei Akte beginnen bei Saallicht; die Souffleuse sitzt am Bühnenrand und wird ab und zu in das Spiel (und die Bewirtung im Gasthaus des dritten Aktes, es gibt Fast Food) einbezogen; da gibt es eine Bühne auf der Bühne (die man natürlich zwecks Brechung verlassen kann); alle Umbauten werden gut sichtbar durchgeführt (der politisch natürlich höchst unkorrekte Mohr gibt oft die Anweisungen dazu) und so weiter. Bloß kein Illusionstheater, das ist die erste Maxime dieser Aufführung. Das wird so aufdringlich umgesetzt, dass man sich schnell fragt: Wieso eigentlich nicht? Der Rosenkavalier ist doch kein Brecht'sches Lehrstück, eine Sentenz wie man ist dazu da, dass man's erträgt (durchaus prägend für diese Oper) käme keinem klassenkämpferischen Helden über die Lippen. Wo Hofmannsthal und Strauss raffiniert mit der schönen Illusion jonglieren, herrscht bei Harnoncourt absolutes Spielverbot.
Morgendliche Störung durch Vetter Ochs (Mitte)
Daher lautet die zweite Maxime: Kein überflüssiges Dekor. Rokoko gibt' im Schlafzimmer der Marschallin nur noch als ornamentales Muster der Tapete, gut sichtbar durchbrochen von Lichtschalter und Steckdose. Für die Ausstattung verantwortlich sind Renate Martin und Andreas Donhauser, die im vorigen Jahr das Szenenbild für Ulrich Seidls Filmtrilogie Paradies: Glaube Liebe Hoffnung (jüngst in den Kinos zu sehen) mit reichlich abgewrackten Schein-Paradisen gestalteten. Wenn der reiche Herr Faninal im zweiten Akt träumt: wär nur die Mauer da aus Glas, dass alle bürgerlichen Neidhammeln von Wien uns sehen könnten, dann nehmen sie das ganz wörtlich und umgeben die leere Spielfläche mit Glaswänden. Gänzlich leer bleibt diese Fläche auch für das große Schlussterzett, nachdem das Vorstadtbeisl, hier eine Art Varieté-Theater, weggefahren ist. Das ermöglicht immerhin die unverstellte Konzentration in den zentralen Momenten auf die Protagonisten und auf die Musik, was zu den Vorzügen der Aufführung gehört. Und für die allerletzte Szene hat das Regieteam sich eine hübsche kleine Schlusspointe ausgedacht, die noch einmal das kann nicht wirklich sein unterstreicht.
"Mir ist die Ehre widerfahren", beinahe klassisch: Überreichung der silbernen Rose
Es macht natürlich einen Unterschied, ob eine leibhaftige Fürstin (noch dazu mit dem Namen Marie-Theres, was sie beinahe mit der Kaiserin gleichsetzt) ein zweifelhaftes Etablissement mit ihrer Anwesenheit gleichsam adelt (wie man in der Musik hören kann), oder eine frustrierte Unternehmersgattin dort nach dem Treiben ihres minderjährigen Vetters sieht, was der Szene eben doch einiges an Zuspitzung nimmt. Und wenn die Regie sie dazu noch deutlich gealtert aussehen lässt, mag das zwar inhaltlich nicht falsch sein, aber es ist wie so vieles in dieser Inszenierung zu dick aufgetragen, überdeutlich und redundant. Petra Schmidt riskiert mit sehr leisen Tönen viel, mitunter auch zu viel. Da mag im Gestus die große Elisabeth Schwarzkopf mit ihrer sublimen Textausgestaltung Pate gestanden haben; ein sparsamerer Umgang mit verhauchten Tönen und etwas größerer, vollerer Stimmeinsatz wären schon angebracht. So ist Petra Schmidt keine schlechte Marschallin (so eine Besetzung muss man an einem Stadttheater erst einmal am Haus haben), bleibt in der Summe aber recht blass.
Mit Nadja Stefanoff steht ihr ein sehr guter Octavian gegenüber, mit jugendlich schlanker, durchsetzungsfähig strahlender Stimme. Die Darstellerin verleiht der Figur androgyne Züge, zwischenzeitlich muss man befürchten, dass dieser junge Mann allzu großes erotisches Gefallen am Baron Ochs von Lerchenau findet. Dieser Octavian ist ja die allergrößte Kunstfigur dieser Oper, da singt eine Frau einen 17-jährigen Jungen, der sich zwischendurch als Frau verkleidet. Natürlich ist das Spiel mit den Geschlechterrollen da von vornherein angelegt. Hier und da steht die Inszenierung kurz davor, ins Absurde zu kippen hat der Octavian ein aufgemaltes Schnurrbärtchen, das er auch als vermeintliche Kammerzofe Mariandl beibehält, und die Situation gerät hart an den Rand einer Transvestitennummer, was die Oper nun wirklich nicht hergibt.
Ein bisschen Teufel steckt in diesem Octavian, das suggeriert zumindest die rote Innenseite des Jacketts. Sophie genießt das Glück des Augenblicks, die Marschallin steht längst im Hintergrund
Das Mädel ist für einen Engel hübsch genug: Stimmt nicht, sagt die Regie, und zeichnet die Sophie eher als Typ hässliches Entlein mit Kniestrümpfen und dicker Hornbrille. Letztere darf Octavian ihr am Ende abnehmen da wandelt sich das kleine Mädchen zur Frau. Vorher sieht die klein gewachsene Alfia Kamalova aus wie eine 14-jährige freche Göre (ihr selbstbewusstes Auftreten gehört zu den überzeugenderen Momenten der Regie) in doofer Schuluniform, überzeugend gesungen mit forscher, etwas scharfer und absolut höhensicherer Stimme. Man nimmt ihr ab, dass sie sich in den jungen Grafen Octavian verliebt, der wie ein Ritter für sie kämpft und man ahnt, dass er sich eher in einer Mischung aus Mitleid und Versehen in sie verguckt. Ihr Vater Faninal ist arg in die Jahre gekommen, auch stimmlich (Tomas Möwes bellt seinen Part geradezu heraus, mit gut fokussierten Fortetönen, aber wenig Substanz im Piano) und kapiert als letzter, was da in seinem Haus abgeht, was doch recht witzig ist. Hongjae Lim ist ein in der Höhe absolut sicherer, nicht unbedingt klangschöner Sänger, E. Mark Murphy und Almuth Herbst als Valzacchi und Annina ein prägnant keifendes Intrigantenpaar, Noriko Ogawa-Yatake eine etwas angestrengte Leitmetzerin, Sun-Myung Kim ein etwas polternder Haushofmeister und Wirt.
Dann ist da noch der Baron Ochs auf Lerchenau, wie er so schön gekünstelt heißt. Hier ist das ein schlecht frisierter junger Mann in Lederhosen, dem die Regie den Wiener Schmäh untersagt und dadurch irgendwie im leeren Raum stehen lässt. Weil Michael Tews ist ja durchaus ein guter Schauspieler mit Charme ist, muss er ziemlich rabiat, ja gewalttätig zur Sache, um den Unsympathen deutlich zu machen (auch das ist reichlich dick aufgetragen). Überhaupt liegt die Personenregie in der Regel nicht ganz falsch, bleibt aber plakativ und kratzt aber nicht allzu tief an der Oberfläche der Figuren. Gesungen ist der Ochs mit jugendlich klar fokussiertem Bariton tadellos. Was fehlt, ist eine Spur Noblesse, die aus dem durchtriebenen Intriganten und Egoisten den viel beschworenen Kavalier machen würde das lässt Michael Tews hier und da, aber doch zu selten aufblitzen.
Die Neue Philharmonie Westfalen schlägt sich unter der Leitung von Chefdirigent Rasmus Baumann wacker, auch wenn man der vertrackten Partitur mitunter die Schwierigkeiten anhört. In der Orchestereinleitung zum ersten Aufzug wackelt noch manches, dem großen Monolog der Marschallin fehlt es orchestral an Abgeklärtheit, der Walzerfolge des dritten Aufzugs an Hintersinn. Das Schlussterzett beginnt Baumann sehr getragen und gewichtig, zieht aber dann doch an zu einem fließenden, aber auch unverbindlicheren Tempo. So bleibt es bei gutem Standard mit Potenzial für mehr.
Bitte keine falschen Illusionen: Reichlich plakativ dekonstruiert Philipp Harnoncourt den Rosenkavalier. Musikalisch recht ordentlich.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Die Feldmarschallin
Baron Ochs auf Lerchenau
Octavian
Herr von Faninal
Sophie
Die Leitmetzerin
Valzacchi
Annina
Ein Sänger
Ein Polizeikommissar
Der Haushofmeister
Der Haushofmeister
Ein Notar
Ein Wirt
Ein Tierhändler
Drei adelige Waisen
Eine Modistin
Ein Hausknecht
Mohammed
|
© 2013 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de