Adrian Eröd (als Beckmesser, li.) und Roberto Saccà (als Walther von Stolzing).

Foto: Rittershaus

In Amsterdam kann man fürs Wagner-Jahr mit Reprisen des tollen Rings punkten - damit allein schon weist man sich als wichtiger Teil der europäischen Opernlandschaft aus. Die traditionell zum Auftakt des Hollandfestivals, das auch vom Opernchef Pierre Audi betreut wird, beigesteuerte Neuproduktion galt indes wiederum Wagner. Es gab die Meistersinger mit Dirigent Marc Albrecht am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest und mit Regisseur David Alden, der schon bei Tannhäuser (München), Parsifal (Graz) und seinem Ring (München) Wagnermeriten erworben hat.

Wenn dann die Riege der Meister vokal schwächelt, kann man das verschmerzen, da mit Adrian Eröd ein spielfreudiger Beckmesser vom Dienst, mit Roberto Saccà ein erstklassiger Walther von Stolzing und mit Agneta Eichenholz eine wunderbar aufblühende Eva am Start sind. Doch es ist natürlich vor allem die Geschichte des Hans Sachs. Und wenn der, wie der Amerikaner James Johnson, etliche Mühe mit der Eloquenz der großen Monologe hat und sich die Regie obendrein einen Teufel um die Beziehung zwischen den Personen schert, fehlt dem Ganzen das vokale Gravitationszentrum.

Und so fabelhaft Saccà auch seine Auftritte über die Rampe feuerte (wobei er schon nach seinem kurzen, aber guten Traumschläfchen losdonnert, als wäre er auf der Wiese), sie hatten nur wenig mit dem Rest zu tun.

Das Verblüffende an diesen Meistersingern war nämlich, dass Alden und sein Bühnenbildner Gideon Davey jeder Intimität auswichen. So blähten sie nicht nur die Schusterstube zur Breitband-Lagerhalle (mit riesigen Regalen für Schuhkartons) auf, sondern sorgten auch sonst für den größtmöglichen Raum zwischen den Sängern. In den ließ dann Marc Albrecht das Orchester eher diffusen Sound hineinfluten, weniger etwas Analytisches oder packend Erzähltes.

Die Gerüstästhetik

Nun ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn man die Nürnberger Butzenscheiben-Urbanität in choreografierte Albtraumbilder einer streng schwarz gekleideten Bürgerschaft übersetzt und sich ansonsten auf eine nüchtern offene Gerüstästhetik zurückzieht. Auch wie Alden zu Beginn einen Teil des Chors als Proletarier einführt, ist beeindruckend. Dann jedoch setzt er sie nur als Bühnenarbeiter ein. Und in der Prügelfuge, die hier nur ein mäßig bewegtes Tableau bleibt, traktieren sie sich vor allem untereinander.

Die angedeutete Klassenkampfkonstellation bleibt so bloße Behauptung. Und sie wird zum Ärgernis. Da kann der Nachtwächter noch so bedeutungsschwanger als Sensenmann daherkommen.

Am Ende, zur teutonischen Schlussansprache, darf Sachs auf einer Bühne auf der Bühne hinterm Rednerpult sein Lob der deutschen Kunst erstaunlich ungebrochen, geradezu militant vermitteln. Mit seinem " Verachtet mir die Meister nicht" erreicht er dabei weder Stolzing noch Eva. Der Sänger in seiner Auftrittsritterrüstung schnappt sich seine brautweiße Eva und verschwindet, während der als femininer Kasper denunzierte Beckmesser die Bühne mit all den Meistern weit nach hinten schiebt. Sachs bleibt am Biertisch allein zurück. Seine Resignation ist die wohl kleinste mögliche Schlusspointe.

Natürlich auch starke Momente: Die Enge Nürnbergs aus der Perspektive des unbelasteten Außenseiterkünstlers als kafkaesken Bürgeralbtraum zu choreografieren gelingt gut und mit ironischem Spielwitz. Doch die Überzeichnung der Meister zu vertrottelten Karikaturen fügt nichts hinzu, sondern denunziert sie nur.

Der Festwiesenauftritt

Übrigens hat Alden sowohl mit den großköpfigen Pappkameraden, vor denen sich Beckmesser offenbar fürchtet, als auch mit seinem Festwiesenauftritt als gewagter Performance (mit Krankenbett, Porträt des Wiener Wagner-Musikkritikers Eduard Hanslick an der Wand und einem Revuestrip) erstaunlich deutlich auf Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung Bezug genommen.

Nach Aldens Melange aus choreografierter bürgerlicher Düsternis und Kasperletheater sehen wir am Ende, frei nach Brecht, betroffen: Vorhang zu und (zu) viele Fragen offen. (Joachim Lange, DER STANDARD, 10.6.2013)