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Satyagraha

Oper in drei Akten
Gesangstexte aus dem altinidischen Lehrgedicht Bhagawadgita
zusammengestellt von Constance de Jong
Musik von Philip Glass


in Sanskrit mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Bonn am 9. Juni 2013
(Premiere: 13.6.2004)


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Theater Bonn
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Interkulturelle Opernspiritualität

Von Stefan Schmöe / Fotos von Lilian Szokody


Amnesty International ist - mit einem Informationsstand im Foyer - auch da: Schließlich geht es hier, jedenfalls vordergründig, um Mahatma Gandhi, Symbolfigur des gewaltlosen Widerstands schlechthin. Eigentlich geht es in Satyagraha (das Wort meint in etwa „Treue zur Wahrheit“) um ein Gemisch aus indischer und (christlich geprägter) westlicher Spiritualität, ein bisschen Mystik und ziemlich viel reichlich unverbindliche Weisheit über letzte Dinge wie Tod und Wiedergeburt: Da schwingt in dem 1980 uraufgeführten Werk viel Zeitgeist der Hippie-bewegten 70er-Jahre mit, kultiviert für den Operngebrauch. Als eines der Hauptwerke der minimal music übt das nach wie vor seine Faszination aus – das zeigt der beinahe hysterische Jubel anlässlich dieser Wiederaufnahme (die Produktion stammt aus dem Jahr 2004) an der Bonner Oper.


Szenenfoto

Mythisches Schlachtfeld (1. Akt)

Inhaltlich geht es um Gandhis Zeit als junger Anwalt in Südafrika, wo er zwischen 1893 und 1914 die Satyagraha-Bewegung als Protestform des zivilen Ungehorsams und gewaltlosen Widerstands der rassistisch diskriminierten indischen Minderheit anführte. Diese historische Ebene bleibt jedoch fast unsichtbarere Untergrund; Glass hatte keine narrative Struktur, schon gar nicht eine Historienoper im Sinn. Das Libretto besteht aus eine Auswahl von Passagen aus dem altindischen Lehrgedicht Bhagawadgita, ein Zwiegespräch zwischen der Gottheit Krishna und dem Helden Arjuna, und spiegelt Gandhis Kampf auf einer mythischen Ebene wider. Glass belässt den Text im originalen Sanskrit, einer für das Publikum unverständlichen Sprache (und dürfte im Uraufführungsjahr auch nicht an heutige Übertitelungsanlagen gedacht haben). Somit liegen verschiedene Schichten übereinander, die sich dem unmittelbaren Verständnis bewusst entziehen. Hinzu kommt in der Musik der Verzicht auf motivische Entwicklung und funktionsharmonische Fortschreitungen, an deren Stelle vielfache Repetitionen einfachster Motive wie Tonleitern und Dreiklangsbrechungen, das typische Material der minimal music, stehen und der Musik einen sehr statischen Charakter geben. Das alles gibt dem Werk einen stark rituellen Charakter: Satyagraha ist eine große Messe wie zur Vorbereitung auf den Tod.


Szenenfoto

Licht-Förderung auf der Tolstoi-Farm (1. Akt)

Dirigent Ulrich Windfuhr bemüht sich, die vereinzelten Relikte einer romantischen Musiksprache hervorzuheben, indem er kleine Kantilenen deutlich crescendiert oder den Streichern ein ordentliches Vibrato zugesteht, die Schlusstakte sogar recht pathetisch im ersterbenden Ritardando ausklingen lässt – dadurch klingt die Musik, trotz oder gerade wegen mancher sehr schön musizierter Passagen, konventioneller als nötig, bezieht sie doch gerade aus der Objektivität ihrer wie vom Computer generierten Pattern (für die das Orchester hier den Synthesizer ersetzt) ihre ritualisierte Aura. Lässt sich darüber immerhin geschmacklich streiten, so verwundert doch die ungetrübte Begeisterung des Publikums angesichts der zu oft fehlenden rhythmischen Präzision, was immer wieder zu Verschiebungen zwischen Orchester und Sängern, insbesondere in den Chorpassagen, führt. Der von Sibylle Wagner einstudierte Chor singt mit oft federnder Akzentuierung, verharrt aber über weite Strecken im allzu donnernden Dauerforte (und das in oratorischer Aufstellung an der Rampe) und reduziert dadurch unnötig seine Klangfarbenpalette - was dem auch zwischen den Szenen beifallswilligen Publikum wenig auszumachen schien, dabei war doch auch zu hören, dass in den stärker zurückgenommenen Passagen der Klang ungleich schöner wird.

Mark Rosenthal, stimmlich eher solide als glanzvoll und mit ziemlich neutralem Timbre, gebührt Bewunderung dafür, dass er als Gandhi zweidreiviertel Stunden lang im Zentrum der Oper steht. Von der Leibesfülle her ist er nicht gerade der Idealdarsteller für den asketischen Gandhi, strahlt auch nicht übermäßig viel Autorität aus. Seine eindrucksvollste Szene hat er, wenn er wie ein übermütiges Kind in einem Regen aus Zeitungsblättern herumtollt. Im (in den Frauenstimmen streckenweise reichlich inhomogenen) Ensemble fällt Martin Tzonev positiv auf. Musikalisch hat die Aufführung somit ganz ordentliches Stadttheaterniveau ohne wirklichen Grund zu darüber hinaus gehender Begeisterung.


Szenenfoto

Kurzer Glücksmoment: Das Erscheinen der Zeitung Indian Opinion (2. Akt)

Der Regie bleibt es überlassen, der handlungsarmen Dramaturgie des Werkes passende Bilder zu liefern, wobei das sehr langsame Tempo der Aktionen durch die Partitur vorgegeben ist. Das gelingt Regisseur Silviu Purcarete und Ausstatter Helmut Stürmer durchaus eindrucksvoll. Da gibt es in der zweiten Szene des ersten Akts, mit „Die reinigende Kraft der Arbeit“ überschrieben, eine Gruppe von Menschen, die Licht (!) in Eimer füllt – wie überhaupt das Licht (meist in Verbindung mit Glühlampen) eine durchgehend wiederkehrende Bildmetapher bleibt. Das ist hübsch anzusehen und hat ein ebenso poetisches wie surreales Moment. Das Schlussbild, in dem Gandhi als Quintessenz des Werkes die Wandlung zu einer anderen (höheren) Daseinsform vollzieht, zeigt eine (Trauer-)Gondel mit Kerzen, und eine Reihe von Statisten wird mit weißen Tuchbahnen zu Mumien eingewickelt, Feuer gibt es per Video – überkulturelle Todessymbolik also (auch wenn Gandhi erst 34 Jahre später ermordet wurde). Es gibt viel zu sehen in dieser Inszenierung. Die Schattenseite dieses Ansatzes ist, dass die Bebilderung, die sich mitunter gefährlich nahe am Rand zum Kitsch bewegt, recht unverbindlich im Dekorativen verbleibt, wo das Niederknüppeln von Demonstranten zur (ästhetisch attraktiven) choreographischen Zeitlupenaktion und der universale Götterkampf zum Tennismatsch in postbarocker Kostümierung stilisiert wird.


Szenenfoto

Polykultureller Totenkult mit Mumien, Gondel und Feuer (3. Akt)

Glass hat jedem der drei Akte eine historische Figur quasi als Patron zugeordnet: Leo Tolstoi als Vordenker und Vorbild Gandhis dem ersten, den indischen Schriftsteller Rabindranath Tagore als Zeitgenosse dem zweiten, den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King als geistigen Erbe dem dritten Akt. Das sind keine realen Figuren des Dramas, sondern sie sollen als stumme Figuren über der Szene thronen. Purcarete hat das komplett gestrichen, damit aber auch die historische Einbettung gekappt. Die Tendenz der Oper, Gandhi zu einer Art Ersatzgottheit einer esoterisch angehauchten Privatreligion zu stilisieren, wird dadurch noch verstärkt. Frieden für alle, in dem ich den Feind zum Freund erkläre: Von politischem Widerstand bleibt da nicht viel übrig. Irgendwie sind die Aktivisten von Amnesty International dann doch am denkbar falschen Ort.


FAZIT

Der Bonner Oper gebührt Respekt, Satyagraha (wieder) zur Diskussion zu stellen – und die Aufführung auf musikalisch akzeptablem, nicht glänzendem Niveau beweist die ungebrochene Faszination des Werkes. Die Regie steuert einen eindrucksvollen (wenngleich dem Werk gegenüber ziemlich unkritischen) Wohlfühl-Bilderbogen bei.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ulrich Windfuhr

Inszenierung
Silviu Purcarete

Ausstattung
Helmut Stürmer

Licht
Thomas Roscher
Max Karbe

Choreinstudierung
Sibylle Wagner

Szenische Leitung der Wiederaufnahme
Mark Daniel Hirsch
Simona Furlani

Dramaturgie
Jens Neundorff von Enzberg


Chor des Theater Bonn

Statisterie des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der rezensierten Vorstellung

M. K. Gandhi
Mark Rosenthal

Miss Schlesen
Sylvia Koke

Kasturbai/ Mrs. Alexander
Bea Robein

Mr. Kallenbach
Christian Miedl

Parsi Rustomji
Andrej Telegin /
* Martin Tzonev

Mrs. Naidoo
Katrina Thurman

Lord Krishna
Andrej Telegin /
* Martin Tzonev 

Prinz/Fürst Arjuna
Johannes Mertes



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