Derber Witz und hoher Ton

Mit Jacques Offenbachs Opéra-bouffe «Barbe-Bleue» haben die steirischen Festspiele Styriarte begonnen. Vater und Sohn Harnoncourt prägten Musik und Szene auf sehr eigentümliche Weise. Das Ergebnis überzeugte jedoch nur halb.

Daniel Ender
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Der Anfang vom Ende des Endes: Blaubart (J. Chum) begegnet Boulotte (E. Kulman). (Bild: Werner Kmetitsch)

Der Anfang vom Ende des Endes: Blaubart (J. Chum) begegnet Boulotte (E. Kulman). (Bild: Werner Kmetitsch)

Fünf Ehefrauen hat Ritter Blaubart bereits beseitigen lassen, da es ihn stets nach neuen Leidenschaften dürstet. Kaum ist er mit der nächsten vermählt, wird er ihrer auch schon überdrüssig und wendet sich wiederum einer anderen zu. In Jacques Offenbachs «Barbe-Bleue» findet dieses Spiel ein jähes Ende, als die Bäuerin Boulotte auf den Plan tritt. Ihr verrät Blaubarts Alchemist Popolani (Sébastien Soulès) nämlich, dass er die Frauen nicht getötet, sondern nur betäubt hat. Und so entsteigen sie zum Schlussbild der Opéra-bouffe ihren Gräbern und werden kurzerhand mit jenen Herren verheiratet, die König Bobêche (Cornel Frey) als vermeintliche Nebenbuhler aus dem Weg räumen lassen wollte, hätte nur der Minister seine Befehle ausgeführt.

Szenisch halbfertig

Dass sich die letzte Angebetete des Ritters, die Schäferin Fleurette, als Königstochter Hermia entpuppt (Sophie Marin-Degor), lieferte Offenbach und seinen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy den Anlass, nicht nur die hehre Welt der Oper zu persiflieren, sondern auch die Zustände im Zweiten Kaiserreich am Hof von Napoleon III. Durchgesetzt hat sich das 1866 uraufgeführte Stück freilich nicht – trotz der Fürsprache durch Karl Kraus in den zwanziger Jahren und trotz der Erfolgsproduktion Walter Felsensteins, die an der Ostberliner Komischen Oper ab 1963 drei Jahrzehnte lang gespielt wurde.

Natürlich hat sich Nikolaus Harnoncourt auch für sein viertes Offenbach-Dirigat (nach «Belle Hélène» und «La Périchole» in Zürich sowie «La Grande Duchesse de Gérolstein» in Zürich und Graz) mit den Quellen befasst – und auf dieser Basis eine sehr deutliche Lesart entwickelt. Sie lässt mit dem Chamber Orchestra of Europe scharfe Konturen und Akzentuierungen erkennen, wie sie der Dirigent so gerne pflegt, ausserdem eine Tongebung, die zuweilen eher dem frühen 19. Jahrhundert oder gar der Zeit davor zu entstammen scheint.

Überdeutlich wurde auch die Orientierung an der grossen Oper. Wie raffiniert der Komponist deren hohen Tonfall zitierte und zugleich brach, hätte das Dirigat allerdings mehr herausstreichen können. So aber entstehen in der Grazer Helmut-List-Halle zwar akribisch austarierte Klangbilder wie etwa die fast tonmalerische Schilderung von Blaubarts Gruft. Und so klar Harnoncourt auch den Gestus des Tänzerischen herausarbeitet, zünden besonders die buffonesken Passagen des Stücks nicht immer genug.

Dabei nützt es nur wenig, wenn die Sänger noch so rasch zwischen vollem Belcanto und komödiantischer Übertreibung wechseln, zumal die Inszenierung szenisch alles andere als ausgereift ist. Philipp Harnoncourt hatte ursprünglich eine «halbszenische Aufführung» angekündigt, dann wenige Tage vor der Premiere von einer «improvisierten Form» und dem «Risiko des Scheiterns» gesprochen. Trotz praktikablen Videoprojektionen, die das Bühnenbild ersetzen, trotz voller Erschliessung der rund um das Orchesters errichteten Bretter und trotz zuweilen massloser Aktivität wirkt die Produktion weniger halbszenisch als halbfertig. Und dass sie mit derben Witzen über die Grazer «Zigeuner» punkten möchte, ist angesichts der realen Situation in der Innenstadt geschmacklos.

Kultivierte Parodie

Insbesondere bei den Dialogen scheinen die Darsteller auf sich allein gestellt, führt ihr noch so gekonntes Extemporieren zu häufig zum Stillstand. Das ist nicht nur deswegen bedauerlich, weil Johannes Chum, der als Blaubart ein wenig wie Che Guevara ausschaut, die höchst kultivierte Parodie eines lyrischen Tenors darstellt und Elisabeth Kulman als Boulotte, die als «Bäuerin» einen regionalen Dialekt redet, nicht nur in allen Lagen vollendet singt, sondern auch schauspielerisch alle Nuancen und Doppelbödigkeiten zwischen düsterer Todesnähe und ironischer Leichtigkeit spielend beherrscht. Sowohl das Orchester als auch die Regie wissen gerade davon zu wenig zu erzählen.