Manege frei!
Von Roberto Becker
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Foto von Patrick Berger / Artcomart
In die Bilanz des laufenden Verdi-Jahres wird dieser als Eröffnungspremiere der 65. Opernfestspiele in Aix-en-Provence präsentierte neue Rigoletto von Robert Carsen schon deshalb eingehen müssen, weil er anschließend noch in die koproduzierenden Häuser nach Straßburg, Brüssel, Genf und Moskau weitergereicht wird. Auch bei diesem südfranzösischen Opernfestival steht längst nicht mehr die beschauliche Exklusivität der Sommerfische im Mittelpunkt, sondern die Einbindung ins internationale Koproduktionsgeschäft. Man kann diese Art von Globalisierung beklagen, ändern wird man sie nicht mehr können.
Der Narr als Clown
Die Grenzmarke für diese Entwicklung war vor Jahren gleichwohl mit dem Nibelungen-Ring erreicht, den Simon Rattle hier in Südfrankreich für seine Osterfestspiele in Salzburg Stück für Stück erprobte. Hatte damit zugleich das neue Grand Théâtre du Provence seinen Härtetest bestanden, so gab es den neuen Verdi in dem Aix-en-Provence eher entsprechenden Théâtre de l' Archevêché. Die Bühne vor der Palastmauer hat Carsens Ausstatter Radu Boruzescu in eine in warmem Rot leuchtende Zirkusmanege verwandelt. Wir sehen vom offenen Rund auf die erhöhte Loge in der Mitte, die dem Herzog für seine Auftritte vorbehalten ist und offenbar auch den Raum für seine diversen Amouren bietet.
Diese Bühne bleibt im Wesentlichen unverändert. Gildas Versteck ist ein hereingefahrener Wohnwagen, der hinter den herunter geklappten Seitenwänden den Blick auf eine Art Kinderzimmereinrichtung freigibt, aus dem das junge Mädchen, das hier hausen muss, ganz offensichtlich schon entwachsen ist. Das Gefolge des Herzogs, das von Miruna Boruzescu wie mittleres Management auf Betriebsausflug mit Bunga-Bunga-Einlagen eingekleidet wurde, amüsiert sich auf den Zuschauerbänken. Wenn Graf Monterone (Wojtek Smilek) zur Hinrichtung geführt wird, dann geschieht das mitten durch den Zuschauerraum des Theaters. Die tote Gilda schleppt der vom eigenen Vater gedungene Mörder vor den geschlossenen Vorhang. Bei Carsen ist der Narr ein Clown, der Herzog vielleicht der jugendliche Eigentümer (Marke Erbe) oder Sponsor des Zirkusunternehmens. Artisten in der Livree von Zirkusangestellten sorgen bei jeder Gelegenheit für Action. Mit einer Pferdedressur-Nummer jubelt Carsen den Opernbesuchern eine Oben-ohne-Nummer von lauter gut gebauten Darstellerinnen unter, die dann natürlich in Sparafuciles Etablissement ziemlich glaubwürdig für's rechte Rotlichtfeeling sorgen.
Gilda lebt im Zirkuswagen
Mit seiner Verlegung des Rigoletto in eine Manege variiert Carsen den Ideenvorrat jüngster Inszenierungsversuche freilich nur. Zwischen dem betont (und für manchen zu) abstrakten Tribünen in München oder dem vergeigten Theaterbild an der Deutschen Oper Berlin ist seine Variante wohl die publikumsfreundlichste, bekömmlichste. Eine spektakuläre Neudeutung ist es nicht.
Das Spiel beginnt mit einer Vorwegnahme des Endes. Da zerrt der Clown nämlich einen Sack auf die Bühne und drinnen ist eine aufblasbare Gummipuppenfrau. Der Zynismus dieser Clownsnummer offenbart sich schlagartig, als der gedemütigte Monterone der Meute seine tote Frau präsentiert. Dieser amüsierwillige Haufen vermag aber nur für einen Moment innezuhalten. So wie bei der Enthüllung Rigolettos, dass ihr Entführungsopfer seine Tochter ist.
Eine Gesellschaft, die Masken liebt
Bei Carsens Verlegung der Geschichte des tragischen Narren, der sich sozusagen selbst in die Falle geht, weil er das, was er verhindern will, erst heraufbeschwört, ist nicht das gewählte Zirkus-Milieu das Problem. Die Männergesellschaft bestätigt ihren schlechten Ruf auch in Abendanzügen von heute schlagend und mit aller Chor-Stimmgewalt. Das Problem ist der Mann an der Spitze. Es braucht schon einen Herzog (oder Oberverführer), der Gewissenlosigkeit und Skrupellosigkeit, die ihm seine Stellung außerhalb des Gesetzes erlauben, auch glaubhaft macht. Durchaus auch mit Verführercharme. Dafür fehlen dem sympathischen Mexikaner Arturo Chacón-Cruz aber sowohl die natürlichen Voraussetzungen (er kommt einfach zu jungmädchentraumhaft zahm herüber) als auch die Fähigkeit, den erotischen Zyniker zu erspielen. Vor allem kann er ihn leider auch nicht ersingen und wird so zur Schwachstelle in der Trias der Hauptpartien. Da nützt auch seine Striptease-Nummer nichts.
Rigoletto und die tote Gilda
Als Gilda spielt Irina Lunga glaubhaft das junge verführte Mädchen und singt ihre Partie, trotz leichter Schärfen, anrührend und technisch einwandfrei. Grandios und mit erprobter Stimmgewalt füllt dagegen George Gagnidze die Rolle des Narren und vor allem des besorgten, liebevollen Vaters aus. Und da auch Gábor Bretz einen höchst charismatisch finsteren Sparafucile und Josè Maria Lo Monaco eine so stimmlich und darstellerisch feurige Maddalena beisteuern, alle kleineren Rollen sorgfältig besetzt sind und der Philharmonische Kammerchor Estlands in bester Verdiform ist, bleibt die vokale Bilanz dieser Produktion alles in allem erfreulich. Etwas enttäuschend dagegen das oft nur wie Begleitung wirkende London Symphony Orchestra im Graben, dem auch der Italiener Gianandrea Noseda nur gelegentlich den rechten Verdi-Schwung abringen konnte.
FAZIT
Ein von Robert Carsen gekonnt gemachter Zirkus-Rigoletto gehört auf die Habenseite von Verdijahr und Festspieljahrgang. Überzeugen konnte vor allem der Sänger der Titelpartie.
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