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Opernmomente der Entscheidung in der Felsenreitschule: Gleich wird der grüne Ritter (John Tomlinson) versuchen, Gawain / Joseph Beuys (Christopher Maltman) zu köpfen. 

Foto: APA/Gindl

Salzburg - Wir schreiben das Jahr 2021, erreicht ist fast das Ende aller Menschentage: Die ritterliche Tafelrunde gehört zu den wenigen Überlebenden einer globalen Ökokatastrophe, welche die Zivilisation in ihren Rohzustand zurückversetzt hat. Man hat schon bessere Stunden erlebt: King Arthur (gediegen Jeffrey Lloyd-Roberts) ist nur noch der Rollstuhl als herrschaftliches Symbol geblieben; es regiert das Gesetz des stärkeren Kannibalen; und Totengedenken wird zur Sonderform der Nekrophilie. Also: Skelette werden liebkost, aschebedeckte Körper absolvieren rituelle Tänze in Zombie-Manier. Und: Der höfische Heldenglanz lebt nur noch in Narrenerzählungen (Brian Galliford) fort.

Regisseur Alvis Hermanis hat die Geschichte vom Mutprobenritter Gawain also zu einer düsteren Zukunftsvision geformt. Aus dem Konflikt zwischen Christentum und Naturreligion, repräsentiert durch den die Tafelrunde herausfordernden grünen Ritter, wird ein Match zwischen sich ausbreitender Natur und siechender Zivilisation. Moosbedeckt sind die Autowracks, rostig die letzten Überlebensräume der Menschentiere, immer grünlicher schimmern die Arkaden der Felsenreitschule (Videos von Raketamedia).

In dieser zerzausten Welt wird bei Hermanis Ritter Gawain (fulminant Christopher Maltman) zum letzten Hoffnungsträger, zum Mann mit dem Hut, also zu einer Figur, die aussieht wie Aktionskünstler Joseph Beuys - für Hermanis ein Ökovisionär der Versöhnung mit der Natur. Das ist zwar ein bisschen weit ausholend gedacht und passt als Metapher nicht ganz über die Ritterlegende (Gawain wird schließlich als Antiheld verspeist, Arthur aber steht aus seinem Rollstuhl auf).

Es gibt Hermanis jedoch Gelegenheit, Harrison Birtwistles auf Rituale und Wiederholung angelegte Musik szenisch zu beleben, indem er Beuys' Aktionen zitiert. Da spricht Gawain mit einem toten Hasen wie Beuys 1965; da baut sich Gawain eine Rodelkette (Beuys' Das Rudel, 1970). Und zu Beginn stützt sich der Hutträger, in Filz gehüllt, auf einen Stock, was auf eine New Yorker Aktion von Beuys verweist. Hermanis zitiert, variiert Ideen, wendet quasi kompositorische Verfahren szenisch an, was in der Felsenreitschule Effekte generiert.

Nur mit Birtwistles entscheidenden Ritualszenen ist der Regisseur nicht so recht klargekommen. Ob das wiederholte Köpfungsritual des grünen Ritters, ob Gawains am Hofe von Bertilak überstandene Annäherungsversuche durch Lady de Hautdesert (solide Jennifer Johnston) und Gawains symbolische Rückgabe des Lady-Kusses an Gatte Bertilak de Hautdesert (auch als grüner Ritter fulminant John Tamlinson): Es herrscht da eine szenische Redundanz vor, die etwas Bleiernes hat.

Subtile Klangräume

Birtwistles Musik macht es einem natürlich nicht leicht. Sie ist im ersten Teil von auratischer Flächigkeit, sozusagen ein auskomponierter atmosphärischer Klangraum mit quirligen Instrumentalbewohnern. Im zweiten Teil steigert sie sich zu dramatischen, bisweilen etwas plakativen Ausbrüchen, ohne schließlich jedoch, wie Strippenzieherin Morgan le Fay (grandios Laura Aikin) zu ihrem Schlussmonolog ansetzt, etwas Entscheidendes für die Legitimation des üppigen Finalausmaßes einzubringen.

In jedem Fall aber insgesamt eine ambitionierte Arbeit, die immerhin musikalisch mit dem Modernebeitrag des Vorjahres, den Soldaten, mithalten kann, die ebenfalls Hermanis (grandios) inszeniert hat: Dirigent Ingo Metzmacher und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien setzen diese Musik in jeder Ausdruckslage mit subtiler Energie pointiert um. Und das RSO half auch der Szene: Bei der Köpfung des grünen Ritters plumpste der abgetrennte Kopf in den Orchestergraben, worauf er von einer geistesgegenwärtigen Musikerin nach Überraschungssekunden wieder auf die Bühne zurückgelegt wurde. Unmutsfreier Applaus für alle - auch für den sich zeigenden Komponisten.  (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 29.7.2013)