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Musikfestspiele
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Salzburger Festspiele 2013

Falstaff
Commedia lirica in drei Akten
Libretto von Arrigo Boito
Musik von Giuseppe Verdi


In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)


Premiere am 29. Juli 2013 im Haus für Mozart
(rezensierte Aufführung: 31. Juli 2013 - zweite Aufführung)

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Salzburger Festspiele
(Homepage)

Der alte Sir John träumt

Von Stefan Schmöe / Fotos von den Salzburger Festspielen, © Silvia Lelli

„L'opera mia piú bella“ - nein, eine Oper ist hier nicht gemeint, wenn Verdi von seinem „schönsten Werk“ spricht, sondern die Stiftung für die „casa di riposo“, ein Altenheim für verarmte Theater-Künstler. 1889 hatte Verdi dafür ein Grundstück an der Mailänder Piazza Buonarotti gekauft – im gleichen Jahr, in dem sich der 76-jährige Komponist von Arrigo Boito (dem Librettisten des zuvor komponierten Otello) zu einer musikalischen Komödie überreden ließ: Falstaff, die Geschichte eines alternden Ritters. „Va, vecchio John, va“, singt der, von den begehrtern lustigen Weibern von Windsor in die Themse geworfen -“geh, alter John, geh“. Ein ironischer Abgesang eines in die jahre gekommenen Möchtegern-Helden.

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Ein gealteter Sänger in der "Casa Verdi" träumt von seiner Vergangenheit als erfolgreicher Falstaff (Ambrogio Maestri)

Das Motiv des Alterns hat Regisseur Damiano Michieletto (der im vorigen Jahr in Salzburg eine flippige, etwas oberflächliche Bohéme inszeniert hat) zur zentralen Idee seiner Inszenierung gemacht. Schon vor Beginn der Aufführung wird auf dem Vorhang ein Video eingespielt, auf dem man die „Casa Verdi“, vom Straßenverkehr umtost, sieht (nach der Pause das gleiche, jetzt allerdings bei Nacht), samt dem zugehörigen Verkehrslärm. Das durchaus eindrucksvolle Einheitsbühnenbild (Paolo Fantin) zeigt das Innere der Casa Verdi, auf einem Sofa liegt ein schwergewichtiger alter Herr und träumt offenbar von seiner Vergangenheit als Darsteller des Falstaff. Zunächst hört man Klaviermusik (natürlich Verdi, Transkriptionen von Opernszenen), dann setzt plötzlich das Orchester ein und das Spiel beginnt: Doppelbödig, denn man kann das Geschehen einerseits als Nacherzählung der geträumten Opernhandlung verstehen, andererseits als Geschichte eines gealterten, in seiner Umgebung isolierten Sängers.


Vergrößerung in neuem Fenster Mrs. Quickley (Elisabeth Kulman) spricht bei Falstaff (Ambrogio Maestri) vor

Es gibt einen ganz wunderbaren Film über die „Casa Verdi“ und ihre Bewohner von Daniel Schmid, Il bacio di Tosca - darauf verweist auch Michieletto in einem ausführlichen Interview im Programmheft. Der Film hilft sicher zum Verständnis der Inszenierung, das Interview ebenso – denn ein Satz ist (leider) sehr wahr: „ … ich folge zwar dem narrativen Ablauf des Stücks, bin dabei aber frei von allzu realistischer Festlegung“. Das führt zu einer doch ziemlich großen Beliebigkeit der Regie. An manchen Stellen funktioniert das leidlich gut, etwa wenn beim ersten Auftritt dem jugendlichen Liebespaar Nanetta und Fenton ein altes Paar zur Seite gestellt wird – vielleicht ist dieses junge, im Falstaff sehr flüchtig und (gemessen an den früheren Werken Verdis) fast beiläufig dargestelltes Liebesglück ein Moment der Erinnerung. Das Manko der Regie ist aber, dass Michieletto all' das nicht wirklich durch die Personenregie beglaubigen kann, dazu bleibt alles zu sehr im Ungefähren – und noch schlimmer: Weil der Regisseur offensichtlich doch eher auf den schnellen Bühneneffekt aus ist als auf plausible Zusammenhänge, gibt es eine bedenkliche Verschiebung zur Revue hin.

Wenn Falstaff laut Libretto im Wäschekorb in die Themse geworfen wird, dann nähern sich hier seine Mitbewohner mit Wassereimern bewaffnet. Das ist eine schöne Idee, zeigt sie doch die Aggression gegenüber dem Außenseiter Falstaff. Aber in den Eimern befindet sich kein Wasser, sondern blau glitzernde Schnipsel, und das sieht dann leider nur nach Show aus und um die schöne Idee ist es geschehen. Wenn MrsQuickley in Falstaffs Absteige vorspricht (eine der grandiosesten komödiantischen Opernszenen überhaupt, und wenn man zwei gute Sängerdarsteller hat – was hier der Fall ist – ein Selbstläufer, wenn man die nur machen lässt), dann ist das hier eine Altenpflegerin, die Falstaff das Essen bringt, aber eine vermeintlich lustige Revuenummer daraus machen muss. In Fords großer Eifersuchtsszene gehen die Fenster auf und ein Sturm zieht auf – na gut, nicht ganz falsch, obwohl man auch hier auf die Musik vertrauen könnte; aber dass dann die Glühlampen des Kronleuchters mit Knalleffekt explodieren müssen, auch das ist Revue.

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Gleich wird man den armen Sir John Falstaff in die Themde werfen

Immerhin hat Michieletto eine eindrucksvolle Lösung für die heikle letzte Szene gefunden – an einem Falstaff, der im mitternächtlichen Wald angeblich Angst vor vermeintlichen Geistern bekommt, scheitert noch fast jeder Regisseur. Hier schläft Falstaff, träumt den Mummenschanz nur – und die Geister sind junge Frauen, die sich zu Nanettas Arie dezent entkleiden (leider dabei wieder sehr revuehaft choreographiert sind); anschließend sieht Falstaff im Traum sein eigenes Begräbnis, und die Blumen, die auf seinen Sarg geworfen werden wie seinerzeit nach einer grandiosen Vorstellung auf ihn als Darsteller, bekommen einen unheimlichen Hintersinn. Dieser Schluss entschädigt zumindest für manchen Unsinn und manche Hilflosigkeit im Verlauf des Abends. Die Schlussfuge „Alles in der Welt ist Narretei" an der Rampe, im Hintergrund das Personal der Casa Verdi, stimmt so oder so: Wir brauchen diese Theatermenschen. Die Falstaffs. Und natürlich Verdi, dessen Portrait eifrig hochgehalten wird.


Vergrößerung in neuem Fenster Feen und Geister sind Gestalten der Phantasie - Falstaff träumt von seiner eigenen Beerdigung

Etwas transparenter dürfte diese Fuge aber erklingen als hier, wo Zubin Mehta und die Wiener Philharmoniker mitunter arg altmeisterlich aufspielen. Sicher, Mehta ist ein versierter Operndirigent, der genau weiß, wann er den Orchesterklang zurücknehmen und wann aufblühen lassen kann, der mit kleiner Geste großen Klang erzeugt und jede Szene in ganz wunderbare Klangfarben erstehen lässt – nur wirkt das oft nicht schlüssig in eine Gesamtentwicklung eingebunden. In der erwähnten letzten Szene ist die Feenseligkeit hinreißend, an anderen Stellen fragt man sich schon, warum plötzlich dieser Wechsel da ist – zumal Mehta kaum Wert auf Übergänge legt, Stimmungswechsel unmotiviert nebeneinander stellt. Und so federnd die Wiener Philharmoniker auch spielen, rhythmisch brauchte es mehr Härte (etwa in der kurzen Orchestereinleitung zum dritten Akt). Mehta hält die heiklen Ensemble zusammen, aber das wirkt dann oft fast ein wenig behäbig.

In der Titelpartie imponiert Ambrogio Maestri mit einer Riesenstimme, sehr sonor geführt, durch und durch souverän in der Gestaltung. Was ihm fehlt, ist ein schönes Piano und Pianissimo; erst vom Mezzoforte an entwickelt sich der Klang. Mit Massimo Cavaletti als Ford findet er einen starken Gegenspieler, ebenfalls mit großer, aber enger fokussierter Stimme (was sehr gut den Abstand der beiden hervorhebt). Javier Camarena ist ein glanzvoller, strahlender (nicht zu metallischer) Fenton, dem vielleicht ein paar schöne lyrisch Legatotöne fehlen, der ansonsten aber tadellos den (nicht zu leichtgewichtigen) Liebhaber gibt. Der von ihm umschwärmten Nanetta verleiht Eleonora Buratto eine große und leuchtende Stimme – auch hier ist die Partie nicht zu leicht besetzt. Den Spitzentönen fehlt, das ist der Preis für einen „echten“ üppigen Sopran, eine Spur entrückte Leichtigkeit. Großartig ist Elisabeth Kulman als vergleichsweise hell timbrierte, aber in allen Registern (auch dem tiefen „revverenza“) sehr präsente Mrs. Quickley. Fiorenza Credolins hat für die Alice Ford große Momente, aber eine unausgeglichene, nicht immer gleich ansprechende Stimme, die mitunter unangenehm scharf wird und an Glanz verliert, aber auch groß aufblühen kann. Stefanie Houtzel als Meg Page fügt sich sehr schön in die Ensembles ein, ohne eigene Akzente zu setzen. Luca Casalin ist ein komödiantischer Dr. Cajus, Gianluca Sorrentino (Bardolfo) und Davide Fersini (Pistola) ein versiertes, stimmlich überzeugendes Dienerpaar.


FAZIT

Gediegene Festspielkost ohne das letzte Raffinement: Damiano Michieletto setzt einen an sich interessanten Grundgedanken leider nur halbherzig um. Gesungen wird eindrucksvoll, wobei Dirigent Zubin Mehta manches im Schönklang nivelliert.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Zubin Mehta

Inszenierung
Damiano Michieletto

Bühne
Paolo Fantin

Kostüme
Carla Teti

Licht
Alessandro Carletti

Video
rocafilm

Chor
Walter Zeh

Dramaturgie
Christian Arseni



Philharmonia Chor Wien

Wiener Philharmoniker


Solisten

Sir John Falstaff
Ambrogio Maestri

Mrs. Alice Ford
Fiorenza Cedolins

Ford
Massimo Cavalletti

Nannetta
Eleonora Buratto

Mrs. Quickly
Elisabeth Kulman

Mrs. Meg Page
Stephanie Houtzeel

Fenton
Javier Camarena

Dr. Cajus
Luca Casalin

Bardolfo
Gianluca Sorrentino

Pistola
Davide Fersini


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