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Musikfestspiele
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Salzburger Festspiele 2013

Jeanne d'Arc
Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna


Handlung in drei Teilen und einem Vorspiel op. 57
Musik von Walter Braunfels (1882–1954)
Libretto vom Komponisten nach den Prozessakten von 1431


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)


Konzertante Aufführung in der Felsenreitschule Salzburg am 1. August 2013

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Salzburger Festspiele
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Woran glauben in schweren Zeiten?

Von Stefan Schmöe / Fotos von den Salzburger Festspielen, © Silvia Lelli

Es hat fast 60 Jahre gedauert, bis diese Jeanne d'Arc das Licht der Bühnenwelt erblickte (und selbst das nur konzertant). Begonnen hat Walter Braunfels (1882 - 1954) die Komposition 1938, als er als gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre Halbjude längst aus allen repräsentativen Ämtern wie dem des (Gründungs-)Rektors der Kölner Musikhochschule verjagt war, und im gleichen Jahr ereilte ihn, den Komponisten der 1920 uraufgeführten und viel gespielten Oper Die Vögel, ein Verbot jeglicher öffentlicher musikalischen Betätigung. Diese Jeanne d'Arc entstand in Zurückgezogenheit am Bodensee mit dem (zu diesem Zeitpunkt scheinbar noch für das Deutsche Reich zu gewinnenden) Weltkrieg als Begleitmusik. Braunfels, als Hochschullehrer 1945 rehabilitiert, konnte als Komponist nie mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Es gehört zu den bitteren Pointen der Geschichte, dass sein Katholizismus (der protestantisch aufgewachsene Braunfels war unter dem Eiundruck des Ersten Weltkriegs 1917 konvertiert), der ihn im Dritten Reich nicht hatte schützen können, jetzt seiner erneuten Anerkennung als Komponist zumindest hinderlich war – gemessen an den Ansprüchen der neuen Avantgarde der Nachkriegsrepubliken war Braunfes (auch) darin ein aus der Zeit Gefallener.

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Ensemble

Das Problem dieser Oper ist, auch heute noch, natürlich nicht der darin geäußerte Katholizismus an sich, sondern der unbestimmte Umgang damit. Das betrifft weniger die historische Figur der Johanna von Orleans, die als Bauernmädchen die Vision hat, zur Führerin Frankreichs im Hundertjährigen Krieg gegen die englischen Besatzer zu werden und auf wundersame Weise die Stadt Orleans aus der Belagerung befreit, letztendlich aber als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen endet. Braunfels hält sich im selbst verfassten Libretto an die originalen Prozessakten, lässt seine Titelheldin zunächst widerrufen (um dann nach einer erneuten Vision diesen Widerruf zurückzunehmen). Diese Johanna bleibt eine gänzlich unintellektuelle, sehr naive Figur, die kurzen Zweifel werden ziemlich holzschnittartig abgearbeitet. Der eigentliche Diskurs findet in zwei Nebenfiguren statt: Dem Ritter Gilles de Rais, der um die Wahrheit ringt und die göttliche Mission Johannas herbei sehnt (darin wird er zur eigentlichen Hauptfigur und in seiner Wahrheits- und Sinnsuche zum alter ego des Komponisten), und dem rational geprägten Herzog de la Trémouille, den Braunfels allzu eindeutig negativ als zynischen Spötter charakterisiert. Der an sich ja höchst spannenden Frage, wie sich der Mensch in einer extremen Krisensituation (wie sie der Komponist ja gerade erlebte) zur Religion stellen soll, wird Braunfels im ziemlich oberflächlichen, oft plumpen Libretto somit kaum gerecht. Musikalisch letztendlich auch nicht, denn auch da singt der Chor allzu schnell wohlklingende, aber in der Anlage ziemlich schematische oratorische Passagen der Liturgie, da sind doch manche Passagen eklektisch aneinandergereiht (Trémouille etwa bekommt eine Art „Credo“ als später Nachfahre des Verdi'schen Weltvernichters Jago aus dem Otello, nur eben nicht auf musikalischer Augenhöhe).


Vergrößerung in neuem Fenster Juliane Banse (Jeanne), Manfred Honeck (Dirigent), Tobias Kehrer (Jacobus von Arc)

Das umständliche Libretto kann oder will sich nicht zwischen Oratorium und Oper entscheiden, lässt die äußere Handlung oft in überflüssigen Textpassagen spiegeln, zeigt wenig Gespür für das Tempo der Handlungsabläufe. Dabei baut Braunfels das Stück ganz traditionell chronologisch erzählend auf (wobei sich eine Struktur, die das Geschehen vom Strafprozess her rückblickend betrachtet, eigentlich angeboten hätte). Dazu die klanglich interessante, aber irgendwo expressiv spätromantisch zwischen Zemlinskys Zwerg und Hindemiths Cardillac verharrende Musiksprache – das war kein Werk, das für den Neuanfang nach dem Weltkrieg hätte stehen können, und es ist in der Qualität auch nicht so, dass man von einer großartigen Neuentdeckung sprechen möchte. So kam es, dass erst im Jahr 2001 der Dirigent Manfred Honeck die Jeanne d'Arc konzertant zur Uraufführung brachte, mit Juliane Banse in der Titelpartie – und in gleicher Konstellation kommt sie jetzt als schöne Ergänzug zu Schillers Johanna von Orléans zu Salzburger Festspielehren, wenn auch leider wieder nur konzertant. Bei allen dramaturgischen Schwächen wäre es doch interessant, das Werk auf seine Bühnentauglichkeit genauer zu befragen.

Eine entrückte, gar engelsgleiche Erscheinung ist die Johanna hier nicht, dazu ist die Stimme von Juliane Banse zu unausgeglichen, kehlig in der Mittellage und Tiefe (manchmal auch in der Höhe), auf der anderen Seite höhensicher und zupackend, im Ausdruck in der Höhe jugendlich-dramatisch (aber ziemlich klein im Volumen). Das ist kein ganz großes Festspielformat, passt aber recht gut zu dem selbstbewussten und visionären Bauernmädchen. Johan Reuter gibt dem Gilles de Rais mit klar fokussiertem Bariton großes Format, ohne die Brüche, die sich durch diese Figur hindurchziehen, wirklich aufzeigen zu können. Auch Gegenspieler Trémouille ist eine Baritonpartie, Ruben Dole singt mit zupackender Schärfe und großer Stimme, die in der Höhe leider an Umfang verliert. Tenor Bryan Hymel gibt einen kraftvoll höhensicheren, dabei sehr irdischen St. Michael (den man sich doch entrückter vorstellen mag). Auch die beiden anderen Heiligen singen akzeptabel, aber nicht unbedingt himmlisch: Siobhan Stagg (Katharina) und Sofiya Almazova (Margarete). Pavol Breslik ist mit ziemlich engem und kleinem, aber durchsetzungsfähigem Tenor als König Karl vor allem da glaubhaft, wenn er die Verunsicherung des an sich selbst zweifelnden und zögernden Monarchen zeigt. Michael Laurenz ist mit hellem Tenor als Bischof Cauchon ein schneidend scharfer Ankläger, Norbert Ernst ein Schäfer und Beschützer Johannas mit komödiantischen Spieltenor-Zügen, Tobias Kehrer ein donnernder Vater. Ausgezeichnet sind Martin Ganter als Ritter Baudricourt und Wiebke Lehmkuhl als dessen Frau, bei denen Johanna sich nach ihren ersten Visionen eine Zeit lang aufhält.

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Manfred Honeck (Dirigent), Johan Reuter (Gilles de Rais)

Im ersten Teil („Die Berufung“) klingt das ORF-Symphonieorchester unter der Leitung Manfred Honecks merkwürdig verhalten, spielt sehr sachlich, lässt viele Details aber unterbelichtet. Es wäre interessant, im Vergleich dazu einen Klangzauberer wie Christian Thielemann (oder Zubin Mehta wie im Falstaff) am Pult eines Schönklang-Orchesters wie den Wiener Philharmonikern mit diesem Stück zu erleben – dann ließe sich besser entscheiden, ob die hier gezeigte Zurückhaltung die Komposition davor schützt, als Aneinanderreihung eklektischer Effekte entlarvt zu werden, oder ob sich Braunfels' Klangsprache dann besser entfalten könnte. Manche Streicherkantilene bleibt nebensächlich, vertrackte Bläserpassagen werden kaum hervorgehoben. Vielleicht wollte Honeck aber auch die Wirkung des effektvollen zweiten Teils („Der Triumph“) nicht vorwegnehmen, die Klangeffekte für den dritten („Das Leiden“) nicht zu früh ausspielen. Jedenfalls klang nach der Pause vieles plastischer, bewusster. Ohne Fehl und Tadel präsentierten sich die Chöre (Salzburger Bachchor, Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor), von Wolfgang Götz hervorragend einstudiert, die ohne das Vibrato „normaler“ Opernchöre eine faszinierende Klangreinheit aufweisen und sehr intonationssicher zum Erfolg des Abends beitragen.


FAZIT

Ein (sowohl im Hinblick auf das Werk wie auf die musikalische Umsetzung) interessanter und hörenswerter, keine überwältigender Abend.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Manfred Honeck

Chor
Alois Glaßner

Einstudierung Kinderchor
Wolfgang Götz


Salzburger Bachchor

Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Johanna
Juliane Banse

Hl. Michael
Bryan Hymel

Karl von Valois
Pavol Breslik

Erzbischof von Reims / Florent d'Illiers
Thomas E. Bauer

Cauchon / Bertrand de Poulengy
Michael Laurenz

Colin, ein Schäfer
Norbert Ernst

Jacobus von Arc
Tobias Kehrer

Gilles de Rais
Johan Reuter

Herzog von La Trémouille
Ruben Drole

Ritter Baudricourt
Martin Gantner

Lison, seine Frau
Wiebke Lehmkuhl

Hl. Katharina
Siobhan Stagg

Hl. Margarete
Sofiya Almazova

Herzog von Alençon
Johannes Dunz

Vicar-Inquisitor
Johannes Stermann

Englischer Hauptmann
Domen Križaj


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