Im Mekka der alten Musik

Ein vielfältiges Programm bieten die Festwochen der Alten Musik in Innsbruck. Neben zahlreichen Konzerten gibt es drei Operninszenierungen. Unter ihnen fand sich «La clemenza di Tito», die späte Opera seria von Mozart.

Peter Hagmann
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Auch wer auf Güte setzt, blickt manchmal in Abgründe – wie Kaiser Titus auf dem schon etwas ramponierten, gigantischen Stuhl. (Bild: Rupert Lari / Innsbrucker Festwochen)

Auch wer auf Güte setzt, blickt manchmal in Abgründe – wie Kaiser Titus auf dem schon etwas ramponierten, gigantischen Stuhl. (Bild: Rupert Lari / Innsbrucker Festwochen)

Der Markt der klassischen Musik ist klar dreigeteilt in die Bereiche der alten, der klassisch-romantischen und der neuen Musik, und jedes der drei Segmente geht seine eigenen, lebensvollen Wege, wovon nicht zuletzt eine Vielzahl spezialisierter Festivals zeugt. Das geht besonders leicht vergessen in einer Jahreszeit, da Salzburg mit seinen Festspielen als Nabel der musikalischen Welt erscheint. Zwei Stunden Bahnfahrt von Salzburg entfernt liegt Innsbruck, und dort ereignen sich derzeit (und noch bis zum 25. August) die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik – wobei das grosse A darauf hindeutet, dass hier durchaus mit Emphase gearbeitet wird. Wer Rang und Namen hat in der alten Musik, findet sich in der Tiroler Landeshauptstadt ein: zu den Opernaufführungen im Landestheater und den Konzerten in den prachtvollen Kirchen und Schlössern, an denen in Innsbruck und Umgebung kein Mangel herrscht.

Geschichte der Geschichte

Lange Zeit von René Jacobs geleitet, stehen die Innsbrucker Festwochen für Alte Musik heute unter der künstlerischen Federführung von Alessandro De Marchi. Und dieses Jahr hat der aus Rom stammende Cembalist und Dirigent eine Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts später Opera seria «La clemenza di Tito» betreut, die zwei Besonderheiten aufwies. Gespielt wurde das Stück nicht in der Fassung der Prager Uraufführung von 1791, sondern in einer Version, die1804 im Wiener Hoftheater am Kärntnertor gegeben worden ist. Sie enthält fünf zusätzliche Arien von fremder Hand: zwei, vielleicht sogar vier von Joseph Weigl und eine von Johann Simon Mayr. Solche Ergänzungen waren nichts Aussergewöhnliches in jener Zeit; Mozart selbst hat die Komposition der Rezitative einem von ihm überwachten Schüler anvertraut. Ob die Praxis von damals die Wiederbelebung verdient hat, darf allerdings dahingestellt bleiben; der Qualitätsunterschied zwischen den originalen und den hinzugefügten Teilen war nämlich auf Anhieb hörbar, und in dramaturgischer Hinsicht boten die Ergänzungen keinen Gewinn.

Aufsehenerregender und folgenschwerer die zweite Besonderheit. Bei den Rezitativen wurde der Generalbass nicht, wie es üblich ist, von einem Violoncello für die Basslinie und einem Hammerklavier oder einem Cembalo für die harmonische Konkretisierung ausgeführt, sondern von einem Kontrabass und einem Violoncello, das die Basslinie mit gebrochenen Akkorden versah. Es handelt sich hier um eine Praxis, auf die der Musikwissenschafter Claudio Bacciagaluppi aufmerksam gemacht hat. Sie ist für die Barockzeit belegt, vor allem aber für das frühere 19. Jahrhundert, in dem die notwendigen Tasteninstrumente aus den Orchestern verschwanden. Dieser eigenartigen Praxis einmal zu begegnen, war von Interesse – doch wurde deutlich, dass es sich dabei nur um eine Notlösung gehandelt haben kann. Die Begleitung der Rezitative war von bescheidenem Reiz; auf einem Tasteninstrument lässt sich die harmonische Auszierung in erheblich grösserem Reichtum verwirklichen. Auf dieser Ebene erinnerte die Innsbrucker Produktion an Aufführungen von Barockmusik aus dem frühen 20. Jahrhundert; konsequent weitergedacht, liesse sich auch eine Aufführung von Bachs Matthäuspassion mit den Mitteln und nach der Art von Willem Mengelberg vorstellen. – Vor allem aber öffnete sich in Innsbruck eine tiefe Kluft. Auf der einen Seite wurde die historisch informierte Aufführungspraxis auf eine Spitze getrieben, während auf der anderen das sprechende Musizieren, ein Herzstück der historischen Praxis, so gut wie abwesend war. Das Orchester der Academia Montis Regalis, zu dem auch ein Chor gehört, artikulierte zwar ausgeprägt, und zudem liess sich sein Klarinettist in den Arien mit obligaten Partien für sein Instrument von der besten Seite hören. Doch insgesamt fehlte es dem Orchester an Profil in den Mittelstimmen wie an Biss. Die Sänger wiederum überboten sich gegenseitig in der Pflege des Dauervibratos, blieben auf den Schlusssilben sitzen, als gäbe es keine Prosodie, und zeigten zum Teil erhebliche Mühe mit den Koloraturen. So war es bei Carlo Allemano (Tito) wie bei Kate Aldrich (Sesto), während Nina Bernsteiner (Vitellia) und Ann-Beth Solvang (Annio) zu einseitig auf das Aufgeregte setzten. Überzeugend eigentlich nur die agile Sopranistin Dana Marbach in der kleinen Rolle der Servilia und Marcell Bakonyi mit seinem klangvollen Bariton als Publio.

Diktatur der Güte

Etwas hausbacken auch die Inszenierung, die Christoph von Bernuth in der Ausstattung von Oliver Helf entworfen hat. Der übergrosse Stuhl mit dem verkleinerten Kaiser darauf – die szenische Metapher scheint Konjunktur zu haben. Und dass Tito dem jungen Sesto in pädophiler Neigung zugetan ist, muss auch nicht unbedingt sein. Der Kaiser übt seine Milde ja zum Zweck der Erhaltung seiner absoluten Macht aus, und zwar nach allen Seiten – das war ja das Anstössige an dem Stück von Metastasio und Mozart, das von sehr hoher Stelle als «porcheria tedesca» bezeichnet worden sein soll. Die Diktatur der Güte, das immerhin hat die Inszenierung deutlich herausgearbeitet.