"Don Carlos": Schöne Stimmen, filmreifes Theaterspiel

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Carlos(c) APA/NEUMAYR/PROBST (NEUMAYR/PROBST)
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Peter Steins Inszenierung mit Jonas Kaufmann in der Titelpartie geriet zu einer würdigen Festspiel-Premiere. Die direkten Konfrontationen zweier Figuren spitzen sich stets filmreif zu.

Das war nun, nach der musikalisch so bitteren Enttäuschung der Wagner-Hommage mit den gar nicht meisterlichen „Meistersingern“, zumindest für Verdi ein Triumph: „Don Carlos“, inszeniert von Peter Stein, dirigiert von Antonio Pappano geriet mit Jonas Kaufmann in der Titelpartie zu einer würdigen Festspiel-Premiere.

Im Fernsehen wird das am Freitag (ab 20.15 Uhr in ORF II) vermutlich wunderbar wirken. Steins Regiearbeit entfaltet sich vor allem in jenen Momenten vorbildlich, wo Verdi der Dialog-Struktur von Schillers Drama nahekommt. Ob zärtliche Begegnung oder brisanter politischer Disput, die direkten Konfrontationen zweier Figuren spitzen sich stets filmreif zu.

Da die Massenszenen in dieser für Paris komponierten Grand Opéra – der Tradition dieses Genres zum Trotz – für die Handlung nur eine Nebenrolle spielen, fällt es nicht weiter ins Gewicht, dass Peter Stein, der Schauspielkönner, mit Chor-Bewegung nicht viel anfangen kann. Er steht dazu. Und lässt stehen. Das hektische Gerenne zu Beginn des Autodafé-Bilds stellt er bereits kurz vor Einsatz der Singstimmen ein, um die Sänger akustisch günstig wie bei einem Oratorium zu postieren: Der Staatsopernchor hat die Chance, der Ketzerverbrennung eine imposante Klangkulisse zu formen – und macht weidlich Gebrauch davon.

Karge Mittel, minimaler Raum

Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer schafft mit kargen Mitteln das rechte Ambiente für die dramatischen Vorgänge –und pfercht etwa die Szene im Königsgemach, in der es auch für die Seelen eng wird, auf minimalen Raum an den rechten Rand der Riesenbühne zusammen. Das sichert der großen Arie des Königs Philipp die rechte beklemmende Kulisse. Dass Matti Salminen über das Alter hinaus ist, in dem er mit seinem mächtigen Bass auch noch eine Belcantonummer schmiegsam absolvieren könnte, verwundert nicht weiter: Wie er die Geschichte des einsamen Mannes auf dem Königsthron erzählt, mit welch deklamatorischer und gestischer Kunst er ein Porträt des mächtigen Herrschers zeichnet, der zwischen der Macht der Kirche – in Gestalt des ehrfurchtgebietenden Großinquisitors von Eric Halfvarson – und seiner Sehnsucht nach menschlichen Kontakten zerrieben wird, verdeutlicht am eindrucksvollsten die Auseinandersetzung mit dem Marquis Posa im zweiten Akt.

Thomas Hampson, der einen Abend lang gegen alle Anfechtungen glaubhaft und mit den herrlichsten Belcantophrasen für Recht und Humanität wirbt, steht ratlos den geradezu hilflosen Annäherungsversuchen des sonst Gott und der Welt gegenüber abweisend ehernen Machtmenschen gegenüber.

Das sind große Momente, die Stein zur unausweichlichen Tragödie zu verknüpfen versteht: Über allem schwebt die Spukgestalt Karls V. (Robert Lloyd), der seinem Sohn eine unlösbare Aufgabe vererbt hat, und der zuletzt den Enkel als steinerner Gast wie der Tod den Jedermann aus dem Spiel nimmt – ihn seinen Feinden entzieht, ohne dass deshalb auch nur ein Lichtstrahl am Ende des Tunnels aus Bitternis und Auswegloser Verstrickung ins Ränkespiel der Historie erschiene.

Bedrückende Seelenqual

Die Seelenqualen des Liebespaares, das keines sein darf, entschlüsseln sich in dieser Aufführung nicht minder bedrückend: Drei Duette singen Carlos und Elisabeth in der italienischsprachigen fünfaktigen Version, die man für die Salzburger Neueinstudierung gewählt hat. Geradezu kindlich-verspielt begegnen die einander versprochenen Königskinder im Park von Fontainebleau, verzweifelt ringend, von verzehrender, aber unerfüllbarer Sehnsucht getrieben im Garten vor dem Kloster St. Yuste, entsagend zuletzt vor dem Standbild des alles beherrschenden Kaisers: Jonas Kaufmann, der zwischendrin in seinem Aufbegehren für die flandrische Sache imposante, strahlende Heldentöne findet, nimmt seinen Tenor hier ins äußerste, ungemein kultiviert modellierte Pianissimo zurück. Anja Harteros hält mit: Der Sopran der jungen deutschen Primadonna ist zu bewegenden Färbungen und expressiver Nuancierung fähig. Sie singt ebenmäßig schön, deklamiert aber gleichzeitig ausdrucksstark. So kann der fünfte Akt, der mit ihrer großen Entsagungs-Szene anhebt und mit besagtem Duett endet, zum anrührenden emotionellen Höhepunkt der Aufführung wird.

Deren Zusammenhalt und Qualität sichern die Wiener Philharmoniker, die sich von Antonio Pappano zu einer beredten, beweglichen, subtil an den Phrasierungskünsten der Sänger orientierten, gleichzeitig aber nervös und punktgenau die Handlung kommentierenden Leistung animieren lassen. Womit sie die Scharte der verunglückten, unidiomatischen „Meistersinger“-Premiere wieder auswetzen. Da spielt ja doch das beste Opernorchester der Welt, das hie und da selbst überrascht vom Fortgang der Handlung zu sein scheint: Wie spontan, „gefühlsecht“ reagieren die Musiker auf das Intrigenspiel und dessen innere wie äußere Auswirkungen.

Jubel gibt es auch für die furiose, doch auch in den heikelsten Passagen von Schleierlied und „Don fatale“ vokal bewundernswert kontrollierte Eboli der Ekaterina Sementschuk. Gut besetzt sind Page Tebaldo (mit der ebenso quirligen wie silberstimmigen Maria Celleng) und die kleineren Partien. Auch nach mehr als fünf Stunden einer solch großen Opernproduktion schien das Publikum nicht müde, nur sichtlich bewegt.

ORF II, Freitag, 16. August, 20.15 (auch in Arte). Wiederholung: 25. August in ORF III.

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