Emotionale und politische Kämpfe: Cecilia Bartoli als Norma, John Osborn als Pollione.

Foto: Hans Jörg Michel

Salzburg - Das Beste vom Besten - das war seit jeher die Devise der Salzburger Festspiele. Seit Alexander Pereira, der langjährige Chef der Zürcher Oper, die Führung des luxuriösen Kulturfestivals innehat, kommt viel Exzellentes aus der Schweizer Bankenmetropole an die Salzach: dort erprobte junge Regiekräfte (Damiano Michieletto), dort mehr oder weniger gefeierte Besetzungen und Ensembles - wie etwa das Orchestra La Scintilla, welches 1996 aus dem Zürcher Opernorchester hervorging. Und nicht zu vergessen Cecilia Bartoli, das Goldkehlchen, das am Zürichsee besonders oft und gerne zwitscherte.

Seit letztem Jahr übt die quirlige, geschäftstüchtige Italienerin neben ihrem Hauptjob als Klassik-Weltstar auch noch den der Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele aus. Bellinis Norma war im Mai dort zu hören, in einer quellenkritischen Neuedition (Biondi/Minasi) mit zwei neuen Strophen für Adalgisa und reichlich differenzierten Allegro-Bezeichnungen. Und mit einem Mezzosopran (genau, die Bartoli) in der etwas höher gelegenen Partie der Norma (ja, das hohe C hat sie problemlos drauf) und einer Sopranistin als Adalgisa. Warum? Unter anderem, weil es bei der Uraufführung auch so war.

Heroine, Schwärmerin, Dämonin: Das alles war Norma in der Deutung ihrer Interpretinnen schon. Zu Pfingsten 2012 hat das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier in Salzburg mit einer quietschbunten Sicht von Händels Giulio Cesare noch zu Krokodilstränen gerührt, heuer machen die beiden die Druidin zur Dorflehrerin. Sie ficht ihre emotionalen und politischen Kämpfe gegen Wehrmachts-nahe Besatzer aus, auf einem unbehandelten Riemenboden des Neorealismus - Anna Magnani war Bartoli eine Inspiration für die optische Gestaltung der Figur. Darstellerisch rückt sie die Norma - mit weit aufgerissenen Augen und großen Gesten - leider oft etwas nah an Groteske und Slapstick, die beiden klamaukhaften Kinder von Intensität und Überzeichnung.

Höchste Textdeutlichkeit

Ein Wahnsinn ist es natürlich nach wie vor, was die Bartoli auf vokalem Gebiet so treibt: hyperintensive Rezitative mit höchster Textdeutlichkeit wechseln mit quecksilbrig schimmerndem, quasi flüssigem Koloraturwerk. Das Sängerfest wird fortgesetzt von John Osborn als Pollione, der Kraft und Eleganz so flexibel wie betörend zu mischen versteht. Lieb, süß, mädchenhaft Rebeca Olivera als Adalgisa, mächtig Michele Pertusi als Oroveso.

Die Sänger sind eine Offenbarung, und der Chor ist es auch: Der Coro della Radiotelevisione Svizzera aus Lugano (Einstudierung: Diego Fasolis und Gianluca Capucano) singt unerhört vielfältig, pendelt mit jugendlicher Elastizität zwischen Dezenz und Wucht. Die Präzision und die Bandbreite des Chors scheinen nicht mehr zu übertreffen, werden es aber doch. Und zwar von dem, was Giovanni Antonini und das Orchestra La Scintilla da im Orchestergraben des Hauses für Mozart aufführen.

Straff, hart, schmissig: Oft nah dran an der Militärkapelle, wechseln die Zürcher binnen Augenblicken zu sanftesten Tönen, tänzeln, schwingen, schweben, weiten die oft als eindimensional gescholtene Welt der Bellini'schen Orchesterstimmen zu einem unendlich reichen, vielgestaltigen Chor, einem Kosmos der Emotionen. Das gefällt den Entscheidungsträgern der deutschen Großindustrie genauso wie dem gemeinen Festspielgast: Das Beste, es tut gut. Begeisterter Applaus. (Stefan Ender, DER STANDARD, 19.8.2013)