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Musiktheater
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Tosca

Musikdrama in drei Akten
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama La Tosca (1887) von Victorien Sardou
Musik von Giacomo Puccini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 35' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Kassel am 21. September 2013



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Erschreckend lebendig

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

Mit Giacomo Puccinis Tosca in der Inszenierung von Adriana Altaras hat das Staatstheater Kassel fulminant seine Opernsaison eröffnet. Dabei hat es nicht auf Schock- oder Knalleffekte gesetzt, sondern mit einer Produktion überzeugt, die die Oper gleichermaßen musikalisch wie szenisch zu realistisch-lebendigem Musiktheater im allerbesten Sinne werden lässt.

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Prozession zum Te Deum

Etienne Pluss hat höchst eindrucksvolle Bühnenbilder geschaffen, die sich mit wenigen Veränderungen aus einem Grundmodell zu den drei Schauplätzen umwandeln lassen. Die unteren Enden mächtiger Pfeiler schaffen die Illusion eines riesigen Kirchenbaus. Durch das Einfügen historischer Fenster in die Zwischenräume entsteht das Bild eines Palastes. Ohne die oberen Abdeckungen wirken die Enden der Pfeiler wie auf dem Plateau eines hohen Gebäudes, zu dessen Brüstung eine fast bühnenbreite Treppe führt. Jedes Bild für sich wirkt gigantisch, aber nicht erschlagend oder überladen, denn die weitere Ausstattung ist eher sparsam: Das erste Bild dominiert das Gemälde der Magdalena, das reich in südländisch  grellen Farben geschmückt ist. In Scarpias Palast steht lediglich ein goldener, barocker Tisch mit entsprechenden Stühlen. Das ist nicht neu, aber höchst eindrucksvoll und bildet zusammen mit den Kostümen unserer Zeit von Yashi Tabassomi (grandios opulent: Die Ausstattung der Prozession zum Te Deum) den realistisch-ästhetischen Rahmen für eine Inszenierung, die mit geradezu genialer Personenregie den inneren und zwischenmenschlichen Dramen erschreckend realistisches Leben einhaucht.

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Epen Fegran (Scarpia), Mirjam Tola (Tosca)

Regisseurin Adriana Altaras erzählt die Handlung hochmusikalisch, mit wenigen eigenen Beigaben, librettogenau mit allen Requisiten und Details. Zuweilen weicht sie ein wenig ab, jedoch nie nur, um etwas anders zu machen, sondern um einen tieferen Eindruck zu erzeugen. Während Scarpia den Passierschein schreibt, sieht Tosca nicht einfach ein Messer auf dem Tisch liegen, sondern sie nimmt sich wie nebenbei eine Orange aus dem Obstkorb und will gerade beginnen, sie mit einem Messer zu schälen, als ihr auffällt, was sie da gerade in der Hand hält. In einer Sekunde entwindet sie sich der Opferrolle und macht, was sie am besten kann: Sie spielt Theater, öffnet ihr Haar, zieht die Schuhe aus und zeigt Bein. Scarpia stirbt dann auch erst, nachdem Tosca ein zweites Mal zugestochen hat, angewidert drückt sie ihm in einer raschen Geste die Augen zu und schlägt dann doch noch das Kreuz über seiner Stirn. Scarpia ist hier kein intriganter Despot mit Noblesse, sondern ein eher schmieriger Emporkömmling, der versucht, Stil zu imitieren. Widerlich, wie er Tosca manipuliert, die sich ihm in der Kirche wie einem Retter an den Hals wirft – sehr zum Entsetzen der eintretenden Nonnen –, noch widerlicher, wie er sich wollüstig mit dem Weihwasser benetzt, in das Tosca zuvor ihre Hand getaucht hat, grotesk, wenn er wie ein trotziges Kind vor einem Stuhl kniend bejammert, dass er Tosca haben will „Mia!“, „Mia!“. Ihn in seinem Palast von drei Gespielinnen umgeben zu zeigen verdeutlich, dass er Tosca aus einem Jagdtrieb heraus besitzen will.

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Johannes An (Caravadossi), Mirjam Tola (Tosca)

Höchst eindrucksvoll wird die Wandlung Toscas von der egozentrischen Primadonna zur vom Schicksal getroffenen Frau gezeichnet. Erscheint sie zunächst im an Maria Callas erinnernden Kostüm ganz als Diva, die in der Liebe ebenso wie in der Eifersucht alle Aufmerksamkeit für sich beansprucht, wird sie zur verzweifelten Rachefurie (aus ihrer Sicht passt ja alles eindeutig zusammen) und findet sich in einer Situation wieder, die sie bisher nur von der Bühne kannte und die sie mit Bühnenerfahrung bei Scarpia erfolgreich meistert. Nach sie elementar erschütternder Täuschung geht schließlich in mehrfacher Hinsicht theatralisch von der Bühne des Lebens ab.

Ebenso gerät der Maler Cavaradossi von den Künsten in die harte Welt der Politik. Er hält der Situation jedoch mit Rückgrat, Überlegung und unverbrüchlicher Treue stand. Treue zur Kunst, wenn er der Darstellung der Magdalena die schönsten Züge zuteil werden lässt und nicht nur die seiner Geliebten, zu Tosca als der einzigen Frau, die er liebt, zu Angelotti, den er auch nicht verrät, als ihm unter der Folter die rechte Hand zerstört wird, die ihm als Maler die ideelle wie die wirtschaftliche Existenz bedeutet. Dies ist auch ein Beispiel für eine verstärkende Idee der Regisseurin: Es ist nicht allein ein Stachelring um den Kopf, der Cavaradossi unsägliche Schmerzen zufügt, sondern eine Folter, die noch weitaus schrecklichere Dimensionen für ihn hat.

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Hee Saup Yoon (Angelotti), Johannes An (Cavaradossi)

Doch nicht alle Beigaben der Regisseurin überzeugen gleichermaßen. Weder der Hirte, der schon in den ersten beiden Akten immer wieder als ein Knabe mit schwarzen Flügeln wie ein Todesbote über die Bühne schleicht, noch die Szene vor dem dritten Akt, in der Spoletta vor dem eisernen Vorhang süffisant lächelnd und irgendwie widerlich aus einer Tüte Bonbons ans Publikum verteilt. Das mag ein Hinweis auf die Anfälligkeit für Verführbarkeit und Opportunismus sein, wirkt hier aber überflüssig und gewollt. Der Einsatz des eisernen Vorhangs anstelle eines herkömmlichen Stoffvorhangs hingegen erzeugt ein beklemmendes Gefühl, das die szenischen Eindrücke verstärkt. Auf die partiturfremden Sirenen könnte man jedoch gern verzichten.  Dass beim Verhör und bei der Folterung Cavaradossis ein Richter auf der Bühne anwesend ist, spielt auf die Rolle und die Schuld der Judikative in einem Gewalt- und Unrechtsregime an. (Dass dieser Richter aussieht wie Martin Held im Film „Rosen für den Staatsanwalt“ gibt diesem Gedanken assoziativ eine noch tiefere Dimension).

Bezwingend und unangenehm überzeugend erscheint dagegen die Szene, die im Publikum am kontroversesten diskutiert wurde: In einer bombastischen Prozession, mit kreuztragendem Christus, mit Maria und Magdalena, Monstranz und Schweißtuch usw. zieht ein gebrechlicher, seniler Papst in vollem Ornat und roten Schuhen zum Te Deum in die Kirche. Aus eigener Kraft kann er nicht einmal mehr das Kreuz schlagen, dazu wird ihm der Arm von einem ihn stützenden Begleiter geführt. Und dieser Papst küsst Scarpia die Hand. Eine Ungeheuerlichkeit, die mit größtem Unbehagen klar werden lässt, dass das Unrechtsregime die Kirche kontrolliert. Immerhin wird das Te Deum gesungen, weil dessen Truppen gesiegt haben.

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Johannes An (Caravadossi), Michal Kuzma (Schließer)

Es würde den Rahmen sprengen, jedes Detail, jede überzeugende Idee aufzulisten, zumal jede auch noch so kleine Nebenrolle als bis ins Feinste ausgearbeitete Charakterstudie erscheint. Als Beispiel sei aber noch der Schließer im dritten Akt genannt, der kühl und gelassen wirken will, aber hinter seiner Uniform einen sensiblen und ehrlichen Kern erkennen lässt. Erst wehrt er sich dagegen, Cavaradossis Ring im Tausch gegen Stift und Papier anzunehmen, nimmt ihn dann aber doch, und wenn der Maler, der seine rechte Hand durch die Folter nicht mehr benutzen kann, verzweifelt aber aussichtslos versucht, mit links seinen Abschiedsbrief an Tosca zu schreiben (eine tief anrührende Szene), übernimmt er den Stift und schreibt, was Cavaradossi ihm diktiert. Eigentlich gehört auch er zum Erschießungskommando, bleibt aber von sich aus als Wache am Eingang zurück, wird dann von Spoletta dazugerufen – und dann doch wieder weggeschickt, weil der selbst schießen will. Die Erleichterung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Nachdem sich Tosca die Brüstung hinabgestürzt hat, schauen die  Schergen neugierig hinterher und sich dann ratlos an. Der Schließer blickt nachdenklich ins Publikum. Hat er verstanden, hat er durchschaut? Wird er, der kleine Schließer, im Großen etwas verändern, etwas bewirken können, was er im Kleinen heute getan hat? Durch seinen Blick endet die Oper mit einem Hoffnungsschimmer.

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Bassem Alkhouri (Spoletta), Dieter Hönig (Mesner), Abraham Singer (Sciarrone)

Für ihre intensive Personenregie stehen der Regisseurin in Kassel begabte, leidenschaftliche und spielfreudige Sängerdarsteller zur Verfügung. Mirjam Tola ist eine wundervolle Tosca mit großer Bühnenpräsenz und ausgesprochen großem darstellerischen Talent. Ihren hellen, sehr angenehm timbrierten Sopran führt sie sicher zu warm glänzenden Spitzentönen, singt die Partie hochkultiviert und doch voller Leidenschaft. Lediglich in der Tiefe wünscht man der Stimme etwas mehr Volumen. Mit strahlkräftigem Tenor singt Johannes An den Cavaradossi. Sein helles Timbre verleiht der Partie Jugendlichkeit und Charme jenseits eines italienischen Schmelzes, was der Partie außerordentlich gut bekommt. Gewisse Rauhigkeiten in der Höhe sind sicher nur anfängliche Begleiterscheinungen bei der Eroberung dieses Tenorfaches.  Espen Fegran gelingt es ganz großartig, der szenischen Interpretation als Möchtegern-Edlen gerecht zu werden und dabei immer wieder die Galanterie und Noblesse stimmlich hören zu lassen, die die Partie des Scarpia so reizvoll und vielschichtig erscheinen lassen. Ein freudiges Wiedersehen und –hören gibt es mit Dieter Hönig, einem herrlichen Urgestein des Hauses, der sich als – stimmlich eindrucksvoll prägnanter – geschwätziger Mesner naiv von Scarpia und seinen Schergen aushorchen lässt. Hee Saup Joon kann in seinem kurzen Auftritt als Angelotti mit noblem Bass beeindrucken, Michal Kuzma mit der oben beschriebenen schauspielerischen Leistung und rundem Bass als Schließer. Dominik Hemming singt mit hellem, klarem Knabensopran einen anrührenden Hirten. Spoletta und Sciarrone sind mit Bassem Alkhouri und Abraham Singer bestens besetzt.

Auch die Eröffnungspremiere seiner zweiten Spielzeit als Erster Kapellmeister liegt in den Händen von Yoel Gamzou, der mit aller Leidenschaft eine großartige Premiere dirigiert. Er ist  nicht nur der musikalische Motor im Orchestergraben, sondern geradezu ein Vulkan, aus dem Spannung, Farbenreichtum, große Bögen und spannende Details hervorbrechen - ohne  störende Eigenwilligkeiten. Das Orchester lässt sich von seinem Enthusiasmus beflügeln und zeigt sich bestens disponiert. Ebenso Chor und Kinderchor, die von  Marco Zeiser Celesti und Maria Radzikhovskiy ausgezeichnet einstudiert wurden.

FAZIT

Ein großartiger Abend allerbesten Musiktheaters


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Yoel Gamzou

Inszenierung
Adriana Altaras

Bühne
Etienne Pluss

Kostüme
Yashi Tabassomi

Licht
Brigitta Hüttmann

Chor
Marco Zeiser Celesti

Kinderchor CANTAMUS
Maria Radzikhovskiy

Dramaturgie
Ursula Benzing

 

 

Staatsorchester Kassel

Opernchor und
Kinderchor CANTAMUS
des Staatstheaters Kassel

Statisterie des
Staatstheaters Kassel



Solisten

Floria Tosca
Mirjam Tola

Mario Cavaradossi
Johannes An

Baron Scarpia
Espen Fegran

Cesare Angelotti
Hee Saup Yoon

Der Mesner
Dieter Hönig

Spoletta
Bassem Alkhouri

Sciarrone
Abraham Singer

Ein Schließer
Michal Kuzma

Ein Hirte
Dominik Hemming
(Solist des Kinderchores
CANTAMUS)




 


Weitere
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Staatstheater Kassel
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