Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Erschreckend
lebendig
Von
Bernd
Stopka /
Fotos von N. Klinger
Mit Giacomo
Puccinis Tosca in der
Inszenierung von Adriana
Altaras hat das Staatstheater Kassel fulminant seine Opernsaison
eröffnet.
Dabei hat es nicht auf Schock- oder Knalleffekte gesetzt, sondern mit
einer
Produktion überzeugt, die die Oper gleichermaßen musikalisch
wie szenisch zu realistisch-lebendigem
Musiktheater im allerbesten Sinne werden lässt.
Prozession zum
Te Deum
Etienne Pluss hat höchst eindrucksvolle
Bühnenbilder
geschaffen, die sich mit wenigen Veränderungen aus einem
Grundmodell zu den drei
Schauplätzen umwandeln lassen. Die unteren Enden mächtiger
Pfeiler schaffen
die Illusion eines riesigen Kirchenbaus. Durch das Einfügen
historischer
Fenster in die Zwischenräume entsteht das Bild eines Palastes.
Ohne die oberen
Abdeckungen wirken die Enden der Pfeiler wie auf dem Plateau eines
hohen
Gebäudes, zu dessen Brüstung eine fast bühnenbreite
Treppe führt. Jedes Bild für
sich wirkt gigantisch, aber nicht erschlagend oder überladen, denn
die weitere
Ausstattung ist eher sparsam: Das erste Bild dominiert das Gemälde
der
Magdalena, das reich in südländisch grellen
Farben geschmückt ist. In Scarpias
Palast steht lediglich ein goldener, barocker Tisch mit entsprechenden
Stühlen.
Das ist nicht neu, aber höchst eindrucksvoll und bildet zusammen
mit den Kostümen
unserer Zeit von Yashi Tabassomi (grandios opulent: Die Ausstattung der
Prozession zum Te Deum) den realistisch-ästhetischen Rahmen
für eine
Inszenierung, die mit geradezu genialer Personenregie den inneren und
zwischenmenschlichen Dramen erschreckend realistisches Leben einhaucht.
Epen Fegran (Scarpia), Mirjam Tola (Tosca)
Regisseurin Adriana Altaras erzählt die
Handlung hochmusikalisch,
mit wenigen eigenen Beigaben, librettogenau mit allen Requisiten und
Details.
Zuweilen weicht sie ein wenig ab, jedoch nie nur, um etwas anders zu
machen, sondern
um einen tieferen Eindruck zu erzeugen. Während Scarpia den
Passierschein
schreibt, sieht Tosca nicht einfach ein Messer auf dem Tisch liegen,
sondern
sie nimmt sich wie nebenbei eine Orange aus dem Obstkorb und will
gerade
beginnen, sie mit einem Messer zu schälen, als ihr auffällt,
was sie da gerade
in der Hand hält. In einer Sekunde entwindet sie sich der
Opferrolle und macht,
was sie am besten kann: Sie spielt Theater, öffnet ihr Haar, zieht
die Schuhe
aus und zeigt Bein. Scarpia stirbt dann auch erst, nachdem Tosca ein
zweites Mal
zugestochen hat, angewidert drückt sie ihm in einer raschen Geste
die Augen zu
und schlägt dann doch noch das Kreuz über seiner Stirn.
Scarpia ist hier kein intriganter Despot mit Noblesse,
sondern ein eher schmieriger Emporkömmling, der versucht, Stil zu
imitieren.
Widerlich, wie er Tosca manipuliert, die sich ihm in der Kirche wie
einem
Retter an den Hals wirft – sehr zum Entsetzen der eintretenden Nonnen
–, noch
widerlicher, wie er sich wollüstig mit dem Weihwasser benetzt, in
das Tosca
zuvor ihre Hand getaucht hat, grotesk, wenn er wie ein trotziges Kind
vor einem
Stuhl kniend bejammert, dass er Tosca haben will „Mia!“, „Mia!“. Ihn in
seinem
Palast von drei Gespielinnen umgeben zu zeigen verdeutlich, dass er
Tosca aus einem
Jagdtrieb heraus besitzen will.
Johannes An (Caravadossi), Mirjam Tola
(Tosca)
Höchst
eindrucksvoll wird die Wandlung Toscas von der
egozentrischen Primadonna zur vom Schicksal getroffenen Frau
gezeichnet.
Erscheint sie zunächst im an Maria Callas erinnernden Kostüm
ganz als Diva, die
in der Liebe ebenso wie in der Eifersucht alle Aufmerksamkeit für
sich
beansprucht, wird sie zur verzweifelten Rachefurie (aus ihrer Sicht
passt ja
alles eindeutig zusammen) und findet sich in einer Situation wieder,
die sie
bisher nur von der Bühne kannte und die sie mit
Bühnenerfahrung bei Scarpia
erfolgreich meistert. Nach sie elementar erschütternder
Täuschung geht
schließlich in mehrfacher Hinsicht theatralisch von der
Bühne des Lebens
ab.
Ebenso gerät der Maler
Cavaradossi von den Künsten in die
harte Welt der Politik. Er hält der Situation jedoch mit
Rückgrat, Überlegung und unverbrüchlicher
Treue stand. Treue zur Kunst, wenn er der Darstellung der Magdalena die
schönsten
Züge zuteil werden lässt und nicht nur die seiner Geliebten,
zu Tosca als der
einzigen Frau, die er liebt, zu Angelotti, den er auch nicht
verrät, als ihm
unter der Folter die rechte Hand zerstört wird, die ihm als Maler
die ideelle
wie die wirtschaftliche Existenz bedeutet. Dies ist auch ein Beispiel
für eine
verstärkende Idee der Regisseurin: Es ist nicht allein ein
Stachelring um den
Kopf, der Cavaradossi unsägliche Schmerzen zufügt, sondern
eine Folter, die
noch weitaus schrecklichere Dimensionen für ihn hat.
Hee Saup Yoon (Angelotti), Johannes An (Cavaradossi)
Doch nicht alle Beigaben der
Regisseurin überzeugen gleichermaßen.
Weder der Hirte, der schon in den ersten beiden Akten immer wieder als
ein Knabe mit schwarzen Flügeln wie ein Todesbote über die
Bühne schleicht,
noch die Szene vor dem dritten Akt, in der Spoletta vor dem eisernen
Vorhang
süffisant lächelnd und irgendwie widerlich aus einer
Tüte Bonbons ans Publikum
verteilt. Das mag ein Hinweis auf die Anfälligkeit für
Verführbarkeit und Opportunismus
sein, wirkt hier aber überflüssig und gewollt. Der Einsatz
des eisernen
Vorhangs anstelle eines herkömmlichen Stoffvorhangs hingegen
erzeugt ein
beklemmendes Gefühl, das die szenischen Eindrücke
verstärkt. Auf die
partiturfremden Sirenen könnte man jedoch gern verzichten. Dass beim Verhör und bei der Folterung
Cavaradossis ein Richter auf der Bühne anwesend ist, spielt auf
die Rolle und
die Schuld der Judikative in einem Gewalt- und Unrechtsregime an. (Dass
dieser
Richter aussieht wie Martin Held im Film „Rosen für den
Staatsanwalt“ gibt
diesem Gedanken assoziativ eine noch tiefere Dimension).
Bezwingend und unangenehm
überzeugend erscheint dagegen die
Szene, die im Publikum am kontroversesten diskutiert wurde: In einer
bombastischen Prozession, mit kreuztragendem Christus, mit Maria und
Magdalena,
Monstranz und Schweißtuch usw. zieht ein gebrechlicher, seniler
Papst in vollem
Ornat und roten Schuhen zum Te Deum in die Kirche. Aus eigener Kraft
kann er
nicht einmal mehr das Kreuz schlagen, dazu wird ihm der Arm von einem
ihn
stützenden Begleiter geführt. Und dieser Papst küsst
Scarpia die Hand. Eine
Ungeheuerlichkeit, die mit größtem Unbehagen klar werden
lässt, dass das
Unrechtsregime die Kirche kontrolliert. Immerhin wird das Te Deum
gesungen,
weil dessen Truppen gesiegt haben.
Johannes
An (Caravadossi), Michal Kuzma (Schließer)
Es würde den Rahmen sprengen, jedes
Detail, jede
überzeugende Idee aufzulisten, zumal jede auch noch so kleine
Nebenrolle als
bis ins Feinste ausgearbeitete Charakterstudie erscheint. Als Beispiel
sei aber
noch der Schließer im dritten Akt genannt, der kühl und
gelassen wirken will,
aber hinter seiner Uniform einen sensiblen und ehrlichen Kern erkennen
lässt.
Erst wehrt er sich dagegen, Cavaradossis Ring im Tausch gegen Stift und
Papier
anzunehmen, nimmt ihn dann aber doch, und wenn der Maler, der seine
rechte Hand
durch die Folter nicht mehr benutzen kann, verzweifelt aber
aussichtslos
versucht, mit links seinen Abschiedsbrief an Tosca zu schreiben (eine
tief
anrührende Szene), übernimmt er den Stift und schreibt, was
Cavaradossi ihm
diktiert. Eigentlich gehört auch er zum
Erschießungskommando, bleibt aber von
sich aus als Wache am Eingang zurück, wird dann von Spoletta
dazugerufen – und
dann doch wieder weggeschickt, weil der selbst schießen will. Die
Erleichterung
steht ihm ins Gesicht geschrieben. Nachdem sich Tosca die Brüstung
hinabgestürzt hat, schauen die Schergen
neugierig
hinterher und sich dann ratlos an. Der Schließer blickt
nachdenklich ins
Publikum. Hat er verstanden, hat er durchschaut? Wird er, der kleine
Schließer,
im Großen etwas verändern, etwas bewirken können, was
er im Kleinen heute getan
hat? Durch seinen Blick endet die Oper mit einem Hoffnungsschimmer.
Bassem Alkhouri (Spoletta), Dieter Hönig (Mesner),
Abraham Singer (Sciarrone)
Für ihre
intensive Personenregie stehen der Regisseurin in
Kassel begabte, leidenschaftliche und spielfreudige
Sängerdarsteller zur
Verfügung. Mirjam Tola ist eine wundervolle Tosca mit großer
Bühnenpräsenz und
ausgesprochen großem darstellerischen Talent. Ihren hellen, sehr
angenehm
timbrierten Sopran führt sie sicher zu warm glänzenden
Spitzentönen, singt die
Partie hochkultiviert und doch voller Leidenschaft. Lediglich in der
Tiefe
wünscht man der Stimme etwas mehr Volumen. Mit
strahlkräftigem Tenor singt Johannes
An den Cavaradossi. Sein helles Timbre verleiht der Partie
Jugendlichkeit und
Charme jenseits eines italienischen Schmelzes, was der Partie
außerordentlich
gut bekommt. Gewisse Rauhigkeiten in der Höhe sind sicher nur
anfängliche
Begleiterscheinungen bei der Eroberung dieses Tenorfaches.
Espen Fegran gelingt es ganz großartig, der
szenischen Interpretation als Möchtegern-Edlen gerecht zu werden
und dabei
immer wieder die Galanterie und Noblesse stimmlich hören zu
lassen, die die
Partie des Scarpia so reizvoll und vielschichtig erscheinen lassen. Ein
freudiges Wiedersehen und –hören gibt es mit Dieter Hönig,
einem herrlichen
Urgestein des Hauses, der sich als – stimmlich eindrucksvoll
prägnanter –
geschwätziger Mesner naiv von Scarpia und seinen Schergen
aushorchen lässt. Hee
Saup Joon kann in seinem kurzen Auftritt als Angelotti mit noblem Bass
beeindrucken, Michal Kuzma mit der oben beschriebenen
schauspielerischen
Leistung und rundem Bass als Schließer. Dominik Hemming singt mit
hellem, klarem
Knabensopran einen anrührenden Hirten. Spoletta und Sciarrone sind
mit Bassem
Alkhouri und Abraham Singer bestens besetzt.
Auch die
Eröffnungspremiere seiner zweiten Spielzeit als
Erster Kapellmeister liegt in den Händen von Yoel Gamzou, der mit
aller
Leidenschaft eine großartige Premiere dirigiert. Er ist nicht nur der musikalische Motor im
Orchestergraben, sondern geradezu ein Vulkan, aus dem Spannung,
Farbenreichtum,
große Bögen und spannende Details hervorbrechen - ohne störende Eigenwilligkeiten. Das Orchester
lässt sich von seinem Enthusiasmus beflügeln und zeigt sich
bestens disponiert.
Ebenso Chor und Kinderchor, die von Marco
Zeiser Celesti und Maria Radzikhovskiy ausgezeichnet einstudiert wurden. Ein großartiger Abend allerbesten Musiktheaters Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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