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Written on Skin

Oper in drei Akten
Libretto von Martin Crimp
Musik von George Benjamin


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 29. September 2013
(rezensierte Aufführung: 4.Oktober 2013)


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Theater Bonn
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Literarische Selbsterkenntnis mit Todesfolge

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Wenn ein neuer Intendant eine zeitgenössische Oper an den Beginn seiner Amtszeit setzt, dann darf man das wohl programmatisch verstehen. Bernhard Helmich setzt somit gleich ein Zeichen, und das mit Bedacht – gehörten doch die Spielpläne seines Vorgängers Klaus Weise durch manche Entdeckungen aus dem frühen 20. Jahrhundert (u.a. Hindemith, Schreker, Szymanowski) zu den spannendsten nicht nur der Region, sparten aber gleichzeitig die musikalische Gegenwart weitestgehend aus. In dieser Leerstelle positioniert sich Helmich - zunächst mit reduziertem Risiko: George Benjamins Written on Skin, von gleich fünf koproduzierenden Theatern in Auftrag gegeben und 2012 in Aix-en-Proence uraufgeführt (unsere Rezension), ist nicht nur ein sehr neues, sondern auch ein durchaus publikumserprobtes und -wirksames Werk mit Repertoirequalitäten. (Und falls es wider Erwarten gar nicht „funktionieren“ sollte: Mit Andrew Lloyd Webbers Jesus Christ Superstar kommt ja nur zwei Wochen später ein Publikumsrenner zur Premiere.)

Szenenfoto

Die Frau (Miriam Clark) reagiert ablehnend auf die Idee ihres Gatten (Evez Abdulla), den Jungen (Terry Wey) mit einer Art Heldenbiographie der Familie zu beauftragen

George Benjamin und sein Librettist Martin Crimp greifen auf eine Geschichte aus dem 13. Jahrhundert zurück (die man variiert auch in Boccaccios Decamerone findet): Ein Gutsherr, der „Protector“, beauftragt einen jungen Buchmaler und Schreiber (genannt „der Junge“), ein Buch über sein Leben und seine Heldentaten zu verfassen. Agnès, die Frau des Protektors, versucht zunächst (vergeblich), das Projekt zu verhindern, beschwört dann aber den Jungen, sie selbst nicht idealisiert, sondern realistisch als sexuell begehrende Frau darzustellen – woraus sich eine Liebesbeziehung zwischen den beiden entwickelt. Der Protektor tötet den Jungen und setzt dessen Herz seiner Frau als Mahlzeit vor, worauf diese sich vom Balkon stürzt. Eingebettet ist die mittelalterliche Handlung in die Gesänge dreier Engel (der eine davon nimmt die Figur des Jungen an), die apokalyptische Visionen unserer Gegenwart beschwören. Eine zusätzliche Distanz schafft das Libretto, indem es die Figuren in den Dialogen und Monologen immer wieder scheinbar aus der Rolle heraustreten lässt, sich scheinbar von außen betrachten und die direkte Rede wie in einer Erzählung formulieren (Die Frau: „Nein! Sagt die Frau“).

Szenenfoto

Ménage-à-trois vor ziemlich vielen Primzahlen

Die maßvoll moderne Musik George Benjamins ist über weite Strecken gesanglich-lyrisch angelegt, beinahe rezitativisch (und darin Debussys Pelleas et Melisande gar nicht unähnlich), hat wohldosierte expressive Ausbrüche und ist unter wirkungsvoller Ausnutzung der extremen Lagen raffiniert instrumentiert. Unter der dissonanten Oberfläche schimmert immer wieder die Musik früherer Jahrhunderte durch. Das (und darin besteht Benjamins Kunst) klingt keineswegs anbiedernd, sondern entwickelt eine große Sogkraft und Faszination, die das mit 90 (ohne Pausen gespielte) und damit überschaubare Werk trägt. In Bonn wird zudem auf exzellentem Niveau gespielt und gesungen. Unter der Leitung von Hendrik Vestmann spielt das Beethoven Orchester Bonn, das sonst auch schon 'mal zu Kraftmeierei neigt, ungemein delikat, sehr transparent und klangschön und mit kammermusikalischer Genauigkeit. Miriam Clark gibt der Agnès nicht nur berückend schöne lyrische Töne, sondern auch die dramatische Attacke in den vokalen Ausbrüchen, und in ihrem Liebesbegehren geht sie bin an den Rand des (immer kontrolliert) Vulgären. Diese Ausdruckspalette besitzt Evez Abdullah als Protektor zwar nicht, verfügt mit noblem Bariton aber ebenfalls über beeindruckende vokale Mittel. Großartig ist Terry Wey mit sehr geradem, vibratoarmem, trotzdem aufregend schönem Countertenor als androgyner „Junge“. Susanne Blattert und Tamás Tarjányi runden als Engel ein ausgezeichnetes Ensemble ab, das dem neuen Intendanten einen musikalischen Traumstart sichert.

Szenenfoto

Verbotene Liebe

Der Inszenierung hätte man dagegen mehr Zurückhaltung gewünscht. Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, gemeinsam für Regie und Ausstattung verantwortlich, haben eine allzu symbolüberfrachtete Rauminstallation geschaffen, die über weite Strecken eine Verdopplung des Librettos durch die „richtigen“ realistischen Bilder verweigert. Das ist an sich nicht falsch, spricht der Text doch oft die Handlungsabläufe explizit aus. In der Fülle der Andeutungen wirkt aber vieles beliebig, manches banal. Eine Leiter führt gleich der Jakobsleiter zum Himmel, verdreht sich im oberen Teil spiralförmig wie ein DNS-Molekül. Wenn der Text auf Adam und Eva anspielt, sieht man ein Paar im Sandkasten. Vor einer Bruchsteinmauer mit Tunneldurchbruch hängt eine Art Zimmer, im unteren Teil mit (teilweise abgekratztem) Blattgold bedeckt. Ein Stapel Fernseher, Nam June Paik lässt grüßen, zeigt (ganz kurz) Bilder von Flammen. Ein angedeuteter Duschraum an der Seite, in dem sich der „Bewegungschor“ entkleidet und tot zu Boden sinkt, spielt auf die Gaskammern von Auschwitz an; später wird hier, ein ziemlich geschmackloser Einfall, eine Sado-Maso-Orgie mit viel Leder angedeutet. Ein Lamm (das Agnus Dei) steht in einem Aquarium, manchmal steigen Luftbläschen auf. Kreuzigungsposen gibt's mehrfach. Ein Förderband befördert erst Koffer, später Einkaufstaschen, noch später gerade entbundene Babys in einen Abgrund.

Szenenfoto

Das tödliche Ende

Zum Verständnis der Oper trägt das nicht unbedingt bei, ist mal mehr, mal weniger wirkungsvoll und in der Summe zu viel. Immerhin ist die Personenregie so suggestiv, dass man über manche Regiezutat locker hinwegsehen kann. „Written on skin“, also „auf die Haut geschrieben“, bezieht sich vordergründig auf Pergament als Material für frühe Buchkunst, übertragen auf den in letzter Konsequenz tödlichen Selbsterkenntnisprozess, den die Frau und der Protektor durchleben – etwas freier übersetzt geht das geheimnisvolle Buch „unter die Haut“. Das tut auch die Oper, wenn auch mehr durch die Musik als durch die Bilderfluten.


FAZIT

Written on Skin erweist sich als ganz starkes Stück, das auch die überfrachtete Regie aushält. Nicht zuletzt durch die ausgezeichnete musikalische Umsetzung ein viel versprechender Beginn der Intendanz von Bernhard Helmich.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hendrik Vestmann

Inszenierung und Ausstattung
Alexandra Szemerédy
Magdolna Parditka

Licht
Thomas Roscher


Ein Bewegungschor

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Der Protector
Evez Abdulla

Agnès, seine Frau
Miriam Clark

Erster Engel / Der Junge
Terry Wey

Zweiter Engel / Marie
Susanne Blattert

Dritter Engel / John
Tamás Tarjányi



Weitere
Informationen

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Theater Bonn
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Da capo al Fine

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