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Jesus Christ Superstar 2013Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu
Jesus (Mark Seibert) wird von seinen Anhängern gefeiert.
Der Jesus-Darsteller liegt schon auf dem der eigentlichen Bühne vorgelagerten Kreuz, das bis in die ersten Parkettreihen der Oper Bonn reicht, er schläft, wird von einem Alptraum gequält - Regisseur Gil Mehmert nimmt die Geißelung des Endes hier vorweg und verweigert dem Zuschauer damit ein ruhiges Sichhineinfinden in eine Handlung, die an Aktualität (Beatrice von Bombards Kostüme unterstreichen dies) kein bisschen verloren hat und nach wie vor unter die Haut geht, wenn sie so stimmig, prägnant und mit vielen eigenen Akzenten erzählt wird. So finden sich unter Jesu Anhängerschaft durchaus auch junge Menschen, die anderen Religionen zuzuordnen sind, nicht nur verkleidete Musicaldarsteller mit gestählten Körpern, Außenseiter unserer Gesellschaft (und auch ein Fan eines Dortmunder Fußballclubs, dies vielleicht eine übertriebene Verbeugung vor dem zweiten Aufführungsort dieser Produktion), auch die Vertreter des religiösen Establishment erinnern in ihren Kutten eher an katholische Priester als an diejenigen des Judentums der Zeit Jesu, die Besatzer an Polizisten. Und doch sind diese Aktualisierungen nicht vordergründig oder platt, sondern bleiben meistens angedeutet oder künstlerisch verfremdet. Die Reinigung des Tempels wird so zu der Auflösung einer Fashion Show eines schrill-tuntigen Designers, der aber eben nicht genauso aussieht wie Harald Glöckler, sondern blonde hochgestellte Haare trägt. Dass Jesus im Slip ins Bett steigt und Maria Magdalena ihm nach dem berühmten Song in BH und Höschen dorthin folgt, dass beim letzten Abendmahl Shisha geraucht wird, dass jemand eine Coladose auskippt, wenn Jesus vom Kreuz herunter seinen Durst bekundet, all das regt 2013 niemanden mehr wirklich auf (ich erinnere mich noch gut an wilde Flugblattaktionen von Fundamentalisten vor Theatern, die die Rockoper aufführten). Dass Mehmert auch theologisch auf der Höhe ist, wurde etwa an dem Einfall deutlich, dass er am Ende von "Gethsemane" Bilder von sterbenden Menschen in verschiedenen Zeiten und an diversen Orten dieser Welt zeigt - Jesu Tod steht stellvertretend für das Sterben so vieler Unschuldiger. Ebenso eindringlich ist es, wenn das aufgeheizte Volk die Peitschenhiebe des Pilatus pantomimisch mitmacht. Dass am Ende Grablichter, Blumen und selbst geschriebene Zettel am Fuße des Kreuzes abgelegt respektive angeheftet werden, mag mancher kitischig finden, aber so sehen Trauerrituale heute aus, das hat der Regisseur richtig beobachtet. Jesus (Mark Seibert) kann sich der Hilfesuchenden kaum noch erwehren.
Nikolaj Alexander Brucker hatte die undankbare Aufgabe, den in der Musicalszene durchaus prominenten Mark Seibert in einigen Vorstellungen als Jesus zu ersetzen (der Kollege spielt in Wien immer noch den Tod in Elisabeth), ohne dessen vokale Qualitäten zu besitzen, da wurde manche Phrase abgekürzt, mancher hohe Ton klang schwach und unfreiwillig gequält. Immerhin, der junge Künstler ist ein intensiver Darsteller, gerade in seiner Zerbrechlichkeit und eher zarten Physis, es war beklemmend, ihm in den Minuten vor der eigentlichen Kreuzigung an einem Mikrofonständer hängend aus zwei Metern Entferung zuzuschauen, Schweiß und möglicherweise auch Tränen laufen zu sehen. David Jakobs hatte mit seiner durchdringenden, in allen Lagen kraftvoll auftrumpfenden Stimme aber als Judas in jedem Fall die Nase vorn, allerdings habe ich diese Rolle schon intensiver und mit mehr Schattierungen gespielt erlebt. Herodes (Dirk Weiler) verspottet Jesus (Mark Seibert).
Patricia Meeden ist nicht nur eine der schönsten Frauen, die ich je auf einer Bühne gesehen habe (es ging ein Raunen durchs Parkett, als sie ihren ersten Auftritt hatte), sondern auch eine ausdrucksstarke Sängerin, die vor allem aus "I Don't Know How To Love Him" mit sehr individuellen, betörenden Töne eine Menge machte. Mark Weigel war ein überaus engagierter, präsenter Pontius Pilatus (den der Regisseur in einer Szene beim Spritzen von Medikamenten oder Drogen zeigt, ein Mächtiger, der an seinem Amt zerbricht, das ist kein schlechter Einfall), der bei den Auspeitschungsszenen auch körperlich alles gab und trotzdem Zwischentöne fand, überraschenderweise aber als Hannas an den hohen Tönen scheiterte und mehrfach peinlich kiekste. Schwächer war da nur noch Alexey Smirnov als völlig textunverständlich singener Kaiaphas mit kaum erreichten tiefen und brüchigen sonstigen Tönen - solche Leistungen dürfte man Opernsängern eigentlich nicht durchgehen lassen. Viel Stimme und Ausstrahlung besaßen dagegen Tim Ludwig als Petrus und Marc Lamberty als Simon Zelotes, und Dirk Weiler nutzte alle Möglichkeiten (auch seine bemerkenswerten Kenntnisse im Steptanz), um aus Herod's Song einen Showstopper zu machen, wobei in dieser Produktion kurz vor Ende der Nummer das ruhige "Could We Start Again?" von Maria Magdalena und Petrus eingeschoben wird, während Herodes und seine Entourage sehr wirkungsvoll ihre Verhöhnung Jesu im Zeitlupentempo fortsetzen - einer von vielen gelungenen Einzeleinfällen eines Regisseurs, der viel von Timing versteht und der sich von den beschriebenen Ausnahmen abgesehen auf ein hervorragendes Ensemble verlassen konnte. Ich empfand es auch als Pluspunkt der Aufführung, dass hier endlich einmal wieder die Bühne voll war bei den großen Szenen, wurde doch der Chor geschickt in das Bühnengeschehen einbezogen, ohne sich mit doch meistens lächerlich wirkenden Choreografieeinfällen abmühen zu müssen. Solche hätte Kati Farkas (selber eine gute Musicaldarstellerin übrigens, ich sah sie vor einigen Jahren in Düsseldorf in Chicago und habe eine sehr gute Jazz-CD von ihr im Regal) vermutlich ohnehin vermieden, der großartige Tanzszenen eingefallen sind. Patricia Martin war diesmal die musikalische Leiterin, die zusammen mit ihren hinten oben ins vorwiegend in schwarz gehaltene, beeindruckende, mit seinen Rängen an Amphitheater erinnernde Bühnenbild integrierten Musikern für einen professionellen, mitreißenden Sound sorgte. Einziger wirklicher Wermutstropfen der besuchten Vorstellung war der wiederholte Ausfall der Mikrofontechnik, solche Probleme sollten sich doch nach einigen Abenden eingespielt haben. Maria Magdalena (Patricia Meeden) gelingt es, Judas (David Jakobs) und Jesus (Mark Seibert) für einen Moment Ruhe zu verschaffen.
Wow, diese hochkarätig besetzte, bewegende Neuproduktion von Jesus Christ Superstar hat es wirklich in sich, hebt sie sich doch von vielen anderen wenig originellen Reprisen und allzu braven Stadttheateraufführungen des bekannten Werks erfreulich ab. Anschauen, bitte! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreografie
Bühnen- und Kostümbild
Lichtdesign
Choreinstudierung
Einstudierung Jugendchor
Solisten
Jesus Christus
Judas
Maria Magdalena
Pontius Pilatus/Hannas
Kaiaphas
Petrus
Simon Zelotes
Herodes
Erster Priester
Zweiter Priester/
Dritter Priester
Mädchen am Feuer
Soldat
Soul Girls
Judas
Soul Girls
Jünger
Frauen bei Jesus
Models
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