Ein Märchen – oder mehr?

Mit einer Oper von Richard Strauss hat Kirill Petrenko seinen Einstand als Generalmusikdirektor der Staatsoper München gegeben. «Die Frau ohne Schatten» geriet zu einem grossen Ereignis.

Peter Hagmann
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Die Böse mit dem Täschchen (Deborah Polaski als Amme) regelt das Geschehen. (Bild: Wilfried Hösl)

Die Böse mit dem Täschchen (Deborah Polaski als Amme) regelt das Geschehen. (Bild: Wilfried Hösl)

Ein Bahnhof sondergleichen, frenetischer Beifall schon nach den Pausen, am Schluss war er ganz klar der Superstar: Kirill Petrenko, der neue Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, hat die Herzen des Münchner Opernpublikums im Sturm erobert. Das Bayerische Staatsorchester, ja das Haus scheint wie verwandelt – vielleicht war der wunderbare, aber stets etwas distanziert wirkende Kent Nagano, der die letzten Jahre musikalisch das Sagen hatte und jetzt nach Hamburg weiterwandert, doch nicht der Richtige für das barock ausladende München. Dabei hat der Abend mit der «Frau ohne Schatten» von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal doch deutlich hören lassen, dass der Unterschied zwischen den beiden Dirigenten weniger künstlerischer als vielmehr atmosphärischer Art ist.

Aufgeraut und behaglich

In herbem Ton hebt das Stück, mit dem vor genau fünfzig Jahren, am 21. November 1963, das wiederhergestellte Münchner Nationaltheater eröffnet worden ist, bei Kirill Petrenko an. Trocken klingt das Orchester, mit wenig Pedal; scharf sind die Farben voneinander getrennt, jede Linie ist zu hören: Ganz anders als Christian Thielemann, der das Stück 2011 bei den Salzburger Festspielen dirigiert hat, weist Petrenko auch auf die modernen Züge der mitten im Ersten Weltkrieg entstandenen Partitur, auf die Restspuren des Expressionistischen. Und auch dort, wo das Schwelgerische Raum greift und wo das fabelhaft aufspielende Orchester und sein Dirigent alle Register der instrumentalen Verführungskunst ziehen, auch dort schimmert das Geflecht der Stimmen und kommt die musikalische Faktur zur Geltung. Grundlage dafür bildet ein reich abschattiertes Piano, das den Sängern ihre Präsenz lässt, ohne dass es an Körper oder Innenspannung verlöre. Und welche Farbenkunst herrscht in dieser Interpretation – selten ist derart mit Händen zu greifen, wie viel Strauss bei Debussy gelernt hat und wie nahe er damit seinem Konkurrenten Franz Schreker stand. Zugleich ist Petrenko alles andere als ein Kostverächter: ob sich die Musik zu süssen Kantilenen aufschwingt, ob sie sich in behaglichem Wohlklang auf der Tonika niederlässt oder sich in bäurischem Fortissimo aufplustert – das Orchester bleibt den Reizen nichts schuldig.

Indes, bei der «Frau ohne Schatten» handelt es sich nicht um ein Konzert, sondern um eine Oper, und da beginnen die Schwierigkeiten. Seid Menschen und vermehret euch – die visionäre Botschaft Hofmannsthals war nach dem mörderischen Krieg, bei der Wiener Uraufführung des Werks im Herbst 1919, allerdings am Platz. Heute freilich mag man mit der zutiefst bourgeoisen Auffassung von der Rolle der Frau und dem erfüllten Dasein des Mannes seine liebe Mühe haben. Christof Loy hat sich im Salzburger Sommer 2011 in die Wiener Sophiensäle gerettet, wo er eine in den frühen sechziger Jahren verortete Schallplatten-Aufnahme der «Frau ohne Schatten» nachstellen konnte.

Anders der polnische Regiestar Krzysztof Warlikowski. Er siedelt das Stück in seiner Entstehungszeit an, in einem Kurhaus, in dem der Geist von Sigmund Freud ebenso webt wie jener von Thomas Mann, in dem sich sterbender Adel und aufstrebende Bürgerlichkeit die Hand reichen. Blendend ist das ausgeführt in der Ausstattung von Malgorzata Szczesniak, in der Lichtführung von Felice Ross und in den Videoanimationen von Denis Guéguin und Kamil Polak. Wenn am Ende des zweiten Aufzugs die Mauern bersten und der hereinbrechende Fluss die Bühne flutet, bleibt einem kurz der Mund offen. Sitzt man da wie eines jener vielen Kinder, die in dieser ebenso schauerlichen wie berührenden Oper übers Kinderkriegen die Bühne in der allerliebsten Weise bevölkern: als Falken mit zuckenden Köpfen, als verkleinerte Tippmamsellen oder einfach als Kinder.

Scharf geschnitten

Manches überschneidet sich da, und vieles überlagert sich – konsequent ist vor allem die Mannigfaltigkeit der miteinander verzahnten Erzählebenen. Warlikowski hat da einen Zug Hofmannsthals übernommen und weiterentwickelt: ebenso gescheit wie anregend und wie sinnlich. Die Amme, die die Fäden zieht, ist die böse Hexe, und so wird sie am Ende der verdienten Strafe in Form einer sedierenden Spritze und einer eleganten Zwangsjacke zugeführt – grossartig, wie Deborah Polaski mit ihren inzwischen merklich geschmälerten stimmlichen Möglichkeiten das herausmodelliert. Kaiser und Kaiserin sind vielleicht nicht das Traumpaar, das man in ihnen sehen kann. Johan Botha singt zwar herrlich entspannt, ist aber selbst im elegant geschnittenen Massanzug das reine Gegenteil des verführerischen Jünglings mit seiner koketten Affenpfote im Slip. Auch Adrianne Pieczonka, welche die pathetischen Züge ihrer Partie blendend meistert, wirkt eher musikalisch; in der Körpersprache bleibt sie eigenartig gehemmt.

Hinreissend dagegen das niedere Paar; mit seinem unglaublich sonoren Bariton bildet Wolfgang Koch den Inbegriff des ganz und gar in sich ruhenden, vollkommen unaggressiven Gutmütigen, während die junge Russin Elena Pankratova das Aufbegehren der körperlich frustrierten Frau, die am Ende die wahren Werte ihres Gatten erkennt und damit auf den rechten Weg zurückfindet, mit Haut, Haar und wandlungsfähiger Stimme verkörpert. Scharf geschnitten sind diese Figuren. Am Finale jedoch, wo Partystimmung aufkommt, die Kinderchen ihre Geschenke bekommen und sich als Schatten auf der Bühnenrückwand abbilden dürfen, ist der Regisseur gescheitert. Macht nichts. Mit der «Frau ohne Schatten» kommt man nicht klar.