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Werther

Lyrisches Drama in vier Akten
Dichtung von Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann nach Johann Wolfgang von Goethe
Musik von Jules Massenet

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 30. November 2013


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Groß leuchtet der Mond hinterm Puppenhaus

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

So richtig viel hineininterpretieren lässt sich in Massenets Werther ja nicht. Schwärmerischer junger Mann verliebt sich in Frau in festen Verhältnissen, und das gegenüber Goethes Romanvorlage noch einmal kräftig romantisch aufgeheizt – das braucht keine Erklärungshilfe durch den Regisseur und inszeniert sich ja beinahe von selbst. Insofern mag der Regieansatz von Carlos Wagner, den man mit „die Naturgewalt der Liebe bricht in die bürgerliche Ordnung ein“ ziemlich vollständig zusammenfassen kann, von edler Schlichtheit sein, aber er ist sicher nicht falsch. Man müsste ihn nur nicht so holzschnittartig umsetzen wie in dieser Essener Neuinszenierung.

Vergrößerung in neuem Fenster Fröhliche Kinderschar im Hause des Amtmanns

Wagner hat in den vergangenen Jahren an der benachbarten Rheinoper in Düsseldorf und Duisburg für Carmen und Luisa Miller reichlich plakative Lösungen gefunden. Für sein Debut am Aalto-Theater hat Ausstatter Frank Philipp Schlößmann ein puppenstubenartiges Haus gebaut, in dem es putzig naturalistisch zugeht – Wagner zeigt da eine Liebe zum anekdotischen Detail, die aber oft mehr ablenkt vom eigentlichen Geschehen als die Situation Sinn stiftend umreißt (etwa wenn Charlottes von Christina Clark sehr kindlich dargestellte Schwester Sophie sich an der väterlichen Schnapsflasche versucht und den Fusel prustend ausspuckt). Anderes bleibt offen – vergewaltigt der Amtmann etwa seine Töchter? Das mag arg weit hergeholt sein, könnte aber, konsequent fortgeführt, ja erklären, warum Charlotte nicht zuletzt der jüngeren Geschwister wegen die Ehe mit dem wenig geliebten Albert eingeht, wird aber nur in einer kurzen Szene angedeutet und verliert sich dann wieder. (Überhaupt sitzt diese Charlotte lieber verträumt auf dem Dachboden, anstatt wie vorgesehen zur Ersatzmutter zu werden.)

Vergrößerung in neuem Fenster

Spaziergang bei Vollmond: Werther und Charlotte

Werthers Auftritte, und da zeigt sich dann auch schnell wieder Wagners Hang zum Plakativen, stehen im scharfen Kontrast zu dieser Puppenstubenwelt, da muss dann schon mal die Rückwand des Hauses, bei Bedarf auch das ganze Haus, zur Seite fahren. Wenn er das Fenster öffnet, dann bricht ein Sturm von Blütenblättern (im ersten Akt) oder Herbstlaub (im zweiten Akt) oder Schnee (im dritten Akt) herein, regelmäßig zu viel des Guten und deshalb hart an der Grenze zur unfreiwilligen Parodie (oder auch schon jenseits davon). Wenn Werther vom Mondschein singt, dann wird das Licht heruntergedimmt und Charlotte steht im Lichtkegel aus angeblichem Mondschein, der in schöner Logik durch die Dachluke fällt (weniger logisch ist freilich, dass er dann eigentlich den Speicher, nicht aber den darunter liegenden Salon ausleuchten sollte). Überzeugender ist da schon der überdimensionale Vollmond beim ersten gemeinsamen Spaziergang, der leider nicht wieder aufgegriffen wird. Auf dem Papier liest sich das Konzept sicher schön schlüssig, in der Umsetzung ist das alles zu viel, zu plump, zu banal. Etwa das Duett im dritten Akt mit dem ersten Kuss, hier als gerade eben noch verhinderter Quickie auf dem Speicher inszeniert. Ein bisschen edler und an dieser Stelle auch pathetischer dürften die Gefühle schon sein.

Vergrößerung in neuem Fenster Jung verheiratet: Charlotte und Albert

Überhaupt fehlt eine schlüssige Personenregie. Oft steht Werther mit weit ausgestreckten Armen da, und irgendwann fragt man sich: Soll das eine überstrapazierte Christuspose sein, hat ihn die Regie vergessen, oder trifft das böse Klischee vom schauspielerisch völlig untalentierten Tenor zu? Man möchte das nach dieser Premiere nicht beantworten, und auch nicht, warum Werther im Finale (offenes, schneebedecktes Feld mit liegendem Weihnachtsbaum) minutenlang mit erhobenem Zeigefinger dasteht. Will er vielleicht – die Plakate für die Produktion zeigen diese Geste – mit dem Finger den aufgesetzten Revolver andeuten (den es als reales Requisit nicht gibt), hat aber schlichtweg die eigene Schläfe nicht gefunden? Von solcherlei Unbeholfenheiten strotzt die Szene, die ansonsten nicht weh tut und in den Hauptpartien mit minimalem Aufwand umbesetzt werden kann, wenn die Produktion erst einmal im Repertoirebetrieb gelandet ist.

Vergrößerung in neuem Fenster

Ziemlich viel Post von Werther: Charlotte auf dem Dachboden. Das bürgerliche Heim zeigt unübersehbare Risse.

Dabei macht Abdellah Lasri, leider nicht gerade mit vorteilhaften Kostümen verwöhnt, in der Titelpartie an und für sich keine schlechte Figur, schon gar nicht stimmlich. Mit strahlendem, für das französische Fach etwas zu metallischem, aber nicht zu schwerem, beweglichem und konditionsstarkem Tenor meistert er die Partie bravourös und setzt nicht nur auf die sicheren lauten Töne, sondern gestaltet die Rolle sehr nuanciert. Was ihm fehlt, ist ein substanzvolles Piano und Pianissimo, das er in der hohen Lage meist mit flacher Kopfstimme singt, und bei hellen Vokalen verliert die Stimme auch schon mal an Farbe. Aber in der Summe ist das schon imponierend, zumal gerade das französische Tenorfach nicht gerade üppig besetzt ist. Michaela Selinger als Charlotte muss sich gerade um das Piano keine Sorgen machen, das gelingt ihr (wie auch der gesamte Bereich der mittleren Lautstärken) hinreißend schön, mit einer jugendlichen, aber nicht zu leichten Stimme, mit ganz feinen dunklen Beimischungen im Timbre, die der zerissenen jungen Frau gut anstehen. Woran es ihr (noch) fehlt, ist die dramatische Durchschlagskraft – im Forte klingt die Stimme mitunter doch recht angestrengt (wobei sie es eigentlich gar nicht darauf ankommen lassen müsste, sie könnte die Partie auch eine Spur lyrischer anlegen). Und weil sie eine schöne Frau im hübschen Kostüm ist, darf sie ruhig leidend herumstehen und hat trotzdem Wirkung.

Vergrößerung in neuem Fenster Tod vor dem Weihnachtsbaum: Werther stirbt in Charlottes Armen.

Heiko Trinsinger singt einen sehr bodenständigen Albert ohne Fehl und Tadel, Tijl Faveyts einen etwas dröhnenden Amtmann und Vater, Christina Clark eine selbst für ein vorgeblich sehr zartes Alter unterdimensionierte Sophie. Die weiteren Partien sind mehr als ordentlich besetzt, die sechs Kinder (Mitglieder des Kinderchores) eingeschlossen. Am Pult der gewohnt guten Essener Philharmoniker steht der junge französische Dirigent Sébastien Rouland, der die Partitur mit viel Liebe zum sorgsam gestalteten Detail dirigiert, sich dabei allerdings gerne in allzu großer Kleinteiligkeit verliert. Er nimmt das Orchester sehr sängerfreundlich zurück, dreht dann aber auch gerne auf, mitunter auch ziemlich unvermittelt und knallig, was dem effektvollen Moment, weniger aber dem großen Spannungsbogen entgegen kommt. In den Streichern könnte mancher Einsatz mehr Kontur haben, die Bläser – vor allem das Holz und die Hörner – lässt Rouland wunderbar aufblühen.


FAZIT

Musikalisch bewegt sich der Abend auf sehr hohem Niveau, szenisch mag vieles in der recht konventionellen Inszenierung hübsch erdacht sein, ist aber handwerklich schlecht umgesetzt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sébastien Rouland

Inszenierung
Carlos Wagner

Bühnenbild und Kostüme
Frank Philipp Schlößmann

Kinderchor
Patrick Jaskolka

Dramaturgie
Dr. Alexander Meier-Dörzenbach



Chor des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Werther
Abdellah Lasri

Albert
Heiko Trinsinger

Le Bailli, der Amtmann
Tijl Faveyts

Johann, ein Freund des Amtmanns
Martijn Cornet

Schmidt, ein Freund des Amtmanns
Rainer Maria Röhr

Brühlmann, ein junger Mann
Eduard Unruh

Charlotte, Tochter des Amtmanns
Michaela Selinger

Sophie, ihre Schwester
Christina Clark

Kätchen, junges Mädchen
Julia Wietler



Kinderchor:

Fritz
Linda Gilles

Max
Josephine van Treek

Hans
Torben Freudenberg

Karl
Diego Holtmeier

Gretel
Annika Koczka

Clara
Liza Schonlau






Weitere Informationen
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(Homepage)




Da capo al Fine

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