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Tannhäuser als Erlöser Von Thomas Molke / Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Pictures)
Bei Richard Wagners Opern scheint es im Moment im Trend zu liegen, die Werke nicht von Opernregisseuren inszenieren zu lassen, sondern sie Vertretern der Schauspielsparte anzuvertrauen, sei es nun der diesjährige Ring in Bayreuth, mit dem Frank Castorf das Publikum polarisierte (siehe auch unsere Rezension), oder der gerade begonnene Ring-Zyklus am Staatstheater Nürnberg mit der Handschrift von Georg Schmiedleitner (Rezension folgt). Auch in Dortmund verfolgt man diese Linie und hat die Produktion gleichzeitig auch noch zur Chefsache erklärt. Dabei greift Schauspieldirektor Kay Voges allerdings nicht direkt zum Ring, sondern widmet sich in seiner ersten Opernregie Wagners Tannhäuser. Ob er damit überzeugen kann, dürfte wohl kontrovers diskutiert werden. Eines kann man der Inszenierung jedenfalls nicht vorwerfen. Sie lässt niemanden kalt. So stehen am Ende der Aufführung lautstarke Missfallensbekundungen jubelnden Ovationen gegenüber. Spießbürger-Idylle im Venusberg: Venus (Hermine May) und Tannhäuser (Daniel Brenna) Auch wenn Voges im Programmheft in seinen Erläuterungen zur Inszenierung beteuert, dass Tannhäuser nicht Jesus sei, kommt man bei der Betrachtung nicht umhin, die beiden nicht nur als "Spiegelbilder voneinander" zu sehen. Bereits während der Ouvertüre erscheint Tannhäuser nämlich in Christus-Pose am Kreuz mit Dornenkrone auf dem Kopf und durchlöcherten Händen und Füßen. Auf der einen Seite stehen Wolfram und Elisabeth, wobei Elisabeth mit ihrem goldenen Strahlenkranz nicht nur an die Jungfrau Maria erinnert, sondern auch am Fuße des Kreuzes die trauernde Haltung einnimmt, die man von der Gottesmutter auf zahlreichen Christus-Bildern kennt. Auf der anderen Seite steht Venus in einem weiten Petticoat. Auch hierfür liefert das Programmheft die Erklärung. Voges denkt hier an Die letzte Versuchung, einen Roman von Nikos Kazantzakis, in dem Jesus noch am Kreuz der Versuchung des Teufels nachgibt, ihm die Schmerzen zu nehmen und ihn ein bürgerliches Leben im Zeichen der Familie führen zu lassen. So verkörpert der Venusberg diese Kleinbürgeridylle mit Küchenmöbeln im Stil der 50er Jahre. Natürlich kommt hierbei auch die körperliche Liebe nicht zu kurz. In Videoprojektionen sieht man Tannhäuser und Venus in leidenschaftlichen Umarmungen, wobei die Konsequenzen ebenfalls nicht ausbleiben. Venus wird schwanger und gebiert ein Kind. Lang ersehntes Wiedersehen zwischen Elisabeth (Christiane Kohl) und Tannhäuser (Daniel Brenna) Doch während es in Bayreuth Venus' Schwangerschaft ist, die Tannhäuser aus dem Venusberg hinaustreibt und das geborene Kind am Ende den neu erblühenden Stab des Papstes symbolisiert, wählt Voges eine ganz andere Sichtweise. Vielleicht hätte das Baby Tannhäuser in den Fängen der bürgerlichen Welt gehalten. Doch das Baby stirbt und führt so zur Entfremdung zwischen Tannhäuser und Venus. Während er mit Dosenbier vor dem Fernseher Ablenkung sucht, versucht sie als Sauberfrau den Verlust wegzuwischen. So verwundert es nicht, dass Tannhäuser schlussendlich dieser biederen Enge entflieht. Dass er dabei im Tal nahe der Wartburg auf einen jungen Hirten in Gestalt eines Faun trifft, passt eigentlich ebenso wenig wie die Kostümierung der Sänger. Michael Sieberock-Serafimowitsch lässt sie wie Rockstars in Glitzerklamotten mit Goldkettchen auftreten. Somit wirken sie wesentlich unangepasster als Tannhäuser in seinem weißen Büßerhemd. Auch ihre Bewegungen beim Sängerstreit deuten nicht darauf hin, dass sie Liebe nur in ihrer reinsten Form besingen und ihnen körperliche Genüsse wie der Venusberg fremd sind. Der Faun hingegen würde zwar zu einem klassisch-heidnischen Venusberg passen, den Daniel Roskamp allerdings zumindest nicht im Bühnenbild des ersten Aktes entwirft. Die Sänger (von links: Biterolf (Morgan Moody), Heinrich der Schreiber (Fritz Steinbacher), Landgraf Hermann (Christian Sist), Walther von der Vogelweide (John Zuckerman) und Reinmar von Zweter (Martin Js. Ohu)) verbannen Tannhäuser (Daniel Brenna) aus ihrem Kreis. Roskamps Bühnenbilder für den zweiten und dritten Akt gelingen hingegen durchaus stimmiger. Auf der Drehbühne sind um das Kreuz, das permanent als Zeichen auf der Bühne sichtbar bleibt, fünf kreisrunde Säulen und ein schräg nach oben führendes Holzgerüst aufgebaut, die die "teure Halle" für den Sängerwettstreit tragen. Das Holzgerüst wird in der Decke der Halle fortgesetzt und steht, wie man im dritten Akt erkennt, für den Venusberg. Hier wird nämlich die Decke komplett von derartigen Holzgerüsten getragen, die beim erneuten Auftritt der Venus im roten Licht erstrahlen. Dass im zweiten Akt bereits ein Holzgerüst als Stütze aufgebaut ist, deutet an, dass Tannhäuser mit der Kenntnis des Venusbergs auf die Wartburg zurückgekehrt ist und im Gegensatz zu seinen Mitstreitern auch die Freuden der körperlichen Liebe preisen wird. Beeindruckend setzt Daniel Hengst in seinen Videoprojektionen auch den Einzug der Gäste in die Wartburg um. Natürlich dürfen bei einem solchen Ereignis die Größen aus der Politik nicht fehlen. So erscheinen Angela Merkel und Wladimir Putin. Im Anschluss sieht man das Bayreuther Festspielhaus, auf dem - sehr zur Belustigung der Zuschauer - das Dortmunder U prangt. Auch wenn diese Videoeinspielungen stellenweise die Inszenierung überfrachten, ist der zur Schau gestellte Wohlstand in dieser Szene mehr als gerechtfertigt. Unklar bleibt hingegen die Kostümierung der vier Edelknaben. Was macht der personifizierte Tod in dieser Szene? Erlösung am Kreuz: Tannhäuser (Daniel Brenna) mit dem Opern- und Extrachor Die bewegendsten Bilder gelingen im letzten Akt. In einer bewegenden Projektion sieht man Elisabeth betend in einem einsamen Hain, während Wolfram sie sehnsüchtig vom Holzgerüst aus beobachtet. Als Tannhäuser nicht mit den Pilgern aus Rom zurückkehrt, verlässt sie die Bühne und wird von der Kamera begleitet, wie sie sich in ihre Garderobe zurückzieht und ihr Kostüm ablegt. Vor dieser großen Projektion singt Wolfram sein Lied an den Abendstern. Elisabeth zieht sich währenddessen in einen dunklen Raum voller Kerzen zurück, in dessen Mitte eine weiße Wanne steht. Dort taucht sie unter, bis das klare Wasser sich allmählich blutrot färbt und Elisabeth verschwinden lässt. Erst jetzt tritt der geschundene Tannhäuser aus dem Zuschauersaal wieder auf und präsentiert vor einer riesigen Projektion seines blutüberströmten Gesichtes seine Rom-Erzählung, bevor er sich erneut in den Venusberg zurücksehnt. Die Erlösung für Tannhäuser kommt, wenn er am Ende wie Jesus im Roman Die letzte Versuchung, nachdem dieser den kompletten Entwurf seines Lebens in einem Traum durchlebt hat, erneut ans Kreuz zurückkehrt. Nun ergrünt der Stab des Papstes aufs Neue, und Tannhäuser ist erlöst. Sind es die anderen mit ihm? Während in der Inszenierung einiges diskutabel bleibt, genießen die sängerischen Leistungen große Zustimmungen. Besonders hervorzuheben ist der von Granville Walker hervorragend einstudierte Chor, der sowohl als Pilger als auch als Festgäste auf der Wartburg mit homogenem und gewaltigem Klang überzeugt. Von den Sängern der Wartburg lassen vor allem Morgan Moody als Biterolf mit markantem Bass-Bariton und Christian Sist als Landgraf Hermann mit fundierten Tiefen aufhorchen. John Zuckerman verfügt als Walther von der Vogelweide über einen weichen Tenor. Gerardo Garciacano stattet den Wolfram mit warmem Bariton aus, der der Sanftmut der Partie in jeder Weise gerecht wird. Sein Lied an den Abendstern erfüllt damit die Erwartungen an diesen Ohrwurm in jeder Hinsicht. Nur die wallende Lockenmähne passt nicht ganz zum sonstigen Charakter dieser Figur. Anke Briegel gefällt als junger Hirt mit leichtem Sopran und bewegendem Spiel. Hermine May verfügt als Venus über enormes stimmliches Volumen, lässt dabei allerdings jegliche Textverständlichkeit vermissen, so dass man ohne Übertitel bei ihr völlig verloren wäre. Wenn die Personenführung es erlaubt, beweist sie auch darstellerisch enorme Verführungskunst. Für die Titelpartie hat man den amerikanischen Tenor Daniel Brenna nach Dortmund geholt. Im ersten Akt hat man den Eindruck, dass Brenna nicht ganz fit ist, da ihm an einigen Stellen im Venusberg die Stimme wegzubrechen droht. Vielleicht sind diese Unsicherheiten im ersten Akt allerdings auch einer gewissen Premieren-Nervosität geschuldet. Im zweiten Akt präsentiert er sich nämlich stimmlich sicherer und läuft in der Rom-Erzählung im dritten Akt regelrecht zur Höchstform auf. Darstellerisch lässt er sich glaubhaft auf Voges' Konzept ein und überzeugt durch eine enorme Beweglichkeit, mit der er beim Auftritt in der Wartburg gleich zwei Räder schlägt und im dritten Akt absolut höhensicher und schwindelfrei auf dem Holzgerüst herumklettert. Star des Abends ist zweifelsohne Ensemble-Mitglied Christiane Kohl, die mit Elisabeth nach ihrer grandiosen Senta bereits zum zweiten Mal als Wagner-Heroine in Dortmund glänzt. Bestechend sind ihre Textverständlichkeit und ihr klarer Sopran, der an keiner Stelle forciert und die Höhen sauber aussingt. Hinzu kommt ihr eindringliches Spiel, mit dem sie den Zuschauer in Elisabeths Gefühlswelt eintauchen und ihn mitleiden lässt. Die Dortmunder Philharmoniker präsentieren unter der Leitung von Gabriel Feltz eine solide Leistung, die allerdings bei den Tempi der Streicher in der Ouvertüre, wenn sich das Thema des Pilgerchors mit dem Sirren des Venusbergs überlappt, noch ausbaufähig ist. FAZIT Kay Voges hat in seine erste Operninszenierung viel hineininterpretiert. Ob man seinen Ansätzen folgen kann oder will, ist Geschmacksache. Musikalisch kommt man bei dieser Produktion auf seine Kosten.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Regie
Bühne Kostüme Video Choreinstudierung Licht Dramaturgie
Opern- und Extrachor des Statisterie des Dortmunder Philharmoniker
Solisten *Premierenbesetzung
Hermann, Landgraf von Thüringen
Tannhäuser
Wolfram von Eschinbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben / Der Tod Ein Engel Im Film
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