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Musiktheater
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Don Quichotte

Heroische Komödie in fünf Akten
Dichtung von Henri Cain nach dem Schauspiel Le Chevalier de la longue figure von Jacques Le Lourrain
nach Miguel de Cervantes Saavedra
Musik von Jules Massenet

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier am 7. Dezember 2013

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Musiktheater im Revier
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Ritter von der traurigen Gestalt im modernen Apartment

Von Thomas Molke / Fotos von Karl Forster


Jules Massenets "Alterswerk" Don Quichotte, mit dem er ähnlich wie Verdi in seinem Falstaff eine Art persönliches Lebensfazit zieht, erlebt derweil auf den Opernbühnen in NRW eine Art Hochkonjunktur. Nachdem die Wuppertaler Bühnen bereits in der letzten Spielzeit im Rahmen ihres "Spanien" - Schwerpunktes diese selten gespielte Oper auf den Spielplan gestellt haben, widmen sich in dieser Saison mit dem Musiktheater im Revier und dem Stadttheater Hagen gleich zwei weitere Bühnen Massenets Vertonung über den "Chevalier de la longue figure". Eine ähnliche Dopplung gab es bereits in der letzten Spielzeit, als sowohl in Hagen als auch in Gelsenkirchen Verdis Don Carlo inszeniert wurde. Nun könnte man natürlich einerseits monieren, dass die Bühnen ihr Programm besser aufeinander abstimmen sollten. Andererseits bieten die beiden Inszenierungen allerdings auch die Möglichkeit, ein selten gespieltes Werk aus unterschiedlichen Perspektiven zu durchleuchten. In Gelsenkirchen hat man für die Regie erneut Elisabeth Stöppler verpflichtet, die für ihren viel beachteten Britten-Zyklus "Trilogie der Außenseiter" mit Peter Grimes, Gloriana und War Requiem mit dem Gelsenkirchener Theaterpreis ausgezeichnet wurde und mit ihrer radikalen Deutung von Dvoráks Rusalka vor zwei Spielzeiten das Publikum spaltete.

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Dulcinée (Almuth Herbst, Mitte) wird von allen verehrt (im Hintergrund: Anke Sieloff, Dorin Rahardja, Michael Dahmen und William Saetre mit dem Opern- und Extrachor).

Die Handlung orientiert sich in Massenets Vertonung weniger an Cervantes' zweibändigem Ritterroman als vielmehr an dem Theaterstück Le Chevalier de la longue figure von Jacques Le Lorrain, das am 3. April 1904 uraufgeführt wurde und den Schwerpunkt auf das melancholische Lebensende Don Quichottes setzt. Der wesentliche Unterschied besteht in der Figur der Dulcinea, die bei Cervantes eine fette Wirtsmagd namens Aldonza ist, die von Don Quixote zu einer Edeldame idealisiert wird und somit eigentlich nur seiner Fantasie entspringt. Bei Lorrain und Massenet wird diese Figur als wunderschöne Dulcinée nun Wirklichkeit. Allerdings ist sie als Kurtisane, die mit den Männern spielt, für Don Quichotte genauso unerreichbar wie das Traumbild Dulcinea bei Cervantes. Obwohl Don Quichotte bei Massenet Dulcinées Wunsch nachkommt, als Liebesbeweis ihr von Räubern gestohlenes Collier zurückzubringen, indem er auf wundersame Weise die Räuber bekehrt und zur Herausgabe ihrer Beute bringt, weist Dulcinée den Ritter spöttisch zurück. An gebrochenem Herzen stirbt Don Quichotte, wobei sein Diener Sancho Pansa zunehmend die Würde begreift, die das Leben des scheinbar so weltfremden Mannes auszeichnet. Im Tod erscheint dem Ritter noch einmal Dulcinée als Stern am Firmament.

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Don Quichotte (Krzysztof Borysiewicz, vorne rechts) plant mit seinem Diener Sancho Pansa (Joachim Gabriel Maaß, hinten) neue Abenteuer (unten: Opern- und Extrachor).

Stöppler inszeniert die Geschichte als Retrospektive eines sterbenden alten Mannes, der kurz vor seinem Tod sein Leben Revue passieren lässt, wobei sich seine Erinnerungen mit Illusionen einer Fantasiewelt vermengen. So hört man vor der Ouvertüre bereits das Cello-Solo, welches als Zwischenspiel zwischen dem vierten und fünften Akt Don Quichottes Lebensende einleitet. Don Quichotte sitzt dabei mit dem Cello in einer prall gefüllten Bibliothek im Obergeschoss eines mehrstöckigen modern eingerichteten Apartments, während die Haushälterin im Erdgeschoss die Wohnung aufräumt. Piero Vinciguerra hat mit dieser Wohnung über mehrere Etagen ein imposantes Bühnenbild errichtet, das durch Präzision bis ins kleinste Detail besticht. Durch den Einsatz der Drehbühne werden schnelle Szenenwechsel und ein flexibler Blick in die unterschiedlichen Räume des Apartments ermöglicht. Während diese Wohnung bis zur Pause noch mit zahlreichen Requisiten ausgestattet ist, steht nach der Pause nur noch das Gerüst mit wenigen Stühlen und dem Bett. Im letzten Akt verschwindet dann auch noch das Gerüst, und nur das Bett bleibt zurück, in dem Don Quichotte stirbt.

Da sich Massenets Oper im Wesentlichen auf die Dreierkonstellation Don Quichotte, Sancho Pansa und Dulcinée konzentriert, lässt Stöppler in ihrer Inszenierung auch nur diese drei Figuren als reale Personen auftreten. Der Chor und die anderen Nebenfiguren existieren nur in Don Quichottes Traumwelt, was sich vor allem in den ständig wechselnden Kostümen (Frank Lichtenberg) ausdrückt. Wenn Don Quichotte nach der Pause Dulcinée das geraubte Collier übergibt, lässt Lichtenberg den Chor als bunte Mischung aus Showgrößen und historischen Persönlichkeiten auftreten. Hier treffen dann beispielsweise Marilyn Monroe, Charlie Chaplin und Hildegard Knef auf Che Guevara, Evita und die Queen. Don Quichotte scheint folglich aller Welt seine Heldentaten beweisen zu wollen. Umso tiefer ist dann sein Fall, wenn er vor dieser ganzen illustren Gesellschaft von Dulcinée spöttisch zurückgewiesen wird. Nun verschwindet der Chor und der letzte Akt wird zum intimen Kammerspiel zwischen Don Quichotte und Sancho Pansa, der mit der Haushälterin, die jetzt als Krankenschwester fungiert, am Bett seines Herrn Wache hält.

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Dulcinée (Almuth Herbst) weist Don Quichotte (Krzysztof Borysiewicz) mit seinem Antrag barsch zurück.

Stöpplers Ansatz, die Haushälterin zum Traumbild Dulcinée zu machen, ist durchaus nachvollziehbar. Das feuerrote Kleid, welches sie als wahre Edeldame auszeichnet, wird farblich und im Schnitt in das Oberteil übernommen, das die Haushälterin zu ihrer Bluejeans trägt. Dulcinées vier Verehrer allerdings als Geschwister des alten Mannes darzustellen und deren Entwicklung von Kindern zu Erwachsenen mit unterschiedlichen Lebensschicksalen der Handlung der Oper überzustülpen, geht zumindest in der Windmühlenszene und bei den Räubern gründlich daneben. Völlig unklar bleibt auch, welche Rolle die Eltern in dieser Deutung übernehmen sollen. Dass die Mutter für den Gaul Rosinante und der Vater für Sancho Pansas Esel stehe, kann keine wirklich ernst zu nehmende Mutmaßung sein, da sie auch in der Umsetzung im Stück jeglicher Logik entbehrt. Das Auftauchen der Windmühlen, die Don Quichotte für Riesen hält, wird mit dem Tod des Vaters gleichgesetzt, der den Ritter psychisch aus dem Gleichgewicht bringt. Dass aber dieser tote Vater nun in weißer Unterwäsche als eine Art Geist über die Bühne laufen muss und die Räuber, wer auch immer diese Räuber sein mögen, derart bewegt, dass sie von Don Quichotte ablassen und ihm sogar Dulcinées Collier zurückgeben, welches merkwürdigerweise die Mutter, die ebenfalls wie ein Schatten ihrer selbst nach dem Tod ihres Mannes über die Bühne wandelt, in einem Kästchen in den Händen hält, geht in der Psychologisierung der Vorlage vielleicht doch ein bisschen zu weit.

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Don Quichotte (Krzysztof Borysiewicz, links) stirbt an gebrochenem Herzen (rechts: Sancho Pansa (Joachim Gabriel Maaß)).

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Allen voran sind hier der von Christian Jeub einstudierte Opern- und Extrachor zu nennen. Stimmgewaltig und mit großer Spielfreude lassen sich die Chormitglieder auf Stöpplers Konzept ein und sind fester Bestandteil einer ausgefeilten Personenregie, sei es nun als Horde von Kindern, die direkt zu Beginn das Haus des alten Mannes stürmen, als Trauergesellschaft auf der Beerdigung oder als illustre Prominenten-Schar aus Show, Politik und Geschichte. Dorin Rahardja, Anke Sieloff, Michael Dahmen und William Saetre machen als Geschwister Don Quichottes - laut Libretto eigentlich Dulcinées Verehrer Pedro, Garcias, Rodriguez und Juan - eine glaubhafte Entwicklung von Kindern zu Erwachsenen durch, wobei vor allem Dahmens Lebensgeschichte vom kreuzbraven Jungen zu einem heruntergekommenen Alkoholiker bewegt. Stimmlich füllen sie ihre Partien ohne Abstriche aus. Almuth Herbst gibt mit sattem Mezzo eine verführerische Dulcinée, die blitzschnell von der Lebedame zur Haushälterin mutieren kann. Joachim Gabriel Maaß zeichnet Sancho Pansa als einen treuen Begleiter, der stimmlich und darstellerisch vor allem mit seiner Schimpftirade auf die Frauen im zweiten Akt begeistert. Krzysztof Borysiewicz legt die Titelfigur als gebrochenen alten Mann an, was auch in seinem weichen Bass zum Ausdruck kommt. Besonders bewegend gelingt seine Interpretation zu Beginn des vierten Aktes, wenn seine Hoffnung auf eine Hochzeit mit Dulcinée seine Lebensgeister neu weckt und er im weißen Anzug über die Bühne stolziert. Umso tiefer folgt dann sein Fall, wenn Dulcinée ihn zurückweist. Hier gelingt Borysiewicz auch stimmlich eine anrührende Innigkeit. So gibt es am Ende großen Beifall für die musikalische Gestaltung des Abends. In die Ovationen für das Regie-Team mischen sich auch Unmutsbekundungen, da scheinbar nicht alle bereit waren, Stöpplers Konzept zu folgen.

FAZIT

Es ist lobenswert, dass Massenets Alterswerk derzeit auf den Bühnen in NRW größere Aufmerksamkeit geschenkt wird, als es jahrelang der Fall war. Musikalisch hat das Stück nämlich einiges zu bieten. Ob man Elisabeth Stöpplers Ansatz in jedem Punkt folgen kann oder möchte, ist Geschmacksache.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valtteri Rauhalammi

Regie
Elisabeth Stöppler

Bühne
Piero Vinciguerra

Kostüme
Frank Lichtenberg

Licht
Patrick Fuchs

Chor
Christian Jeub

Dramaturgie
Anna Melcher
 

Opernchor und Extrachor des Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie Westfalen

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Don Quichotte
Krzysztof Borysiewicz

Sancho Pansa
*Joachim Gabriel Maaß /
Dong-Won Seo

Dulcinée
Almuth Herbst

Pedro
Dorin Rahardja

Garcias
Anke Sieloff

Rodriguez
Michael Dahmen

Juan
William Saetre

Mutter
Monika Hüttche

Vater
Jürgen Zach


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