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Der
Bajazzo (I Pagliacci) in italienischer Sprache mit
deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 3
Stunden
(eine Pause) Premiere in der Staatsoper Hannover am 12. Januar 2014
Seit scheinbar
ewigen Zeiten
führen Mascagnis Cavalleria rusticana
und Leoncavallos Der Bajazzo eine
glückliche Ehe auf den Opernbühnen dieser Welt. Zwar gibt es
immer wieder
einmal Versuche eines Partnerwechsels, aber dieses Fremdgehen war nie
wirklich
erfolgreich - hatte aber
glücklicherweise auch nicht die tödlichen Folgen, die der
Ehebruch ihrer
Protagonisten heraufbeschwört.
In Hannover hat
Regisseur Philipp
Himmelmann mit Bühnenbildner Johannes Leiacker diese Kurzopernehe
nicht nur
erneut gesegnet, sondern sie auch noch inniger miteinander verbunden,
zeigt
Parallelen auf und unterstreicht diese auch musikalisch, indem er
Vorspiel und
Prolog des Bajazzo gleich zu Beginn
vor der Cavalleria rusticana spielen
lässt. Das ist nicht neu, aber effektiv. Vor allem, wenn es so
herrlich
dargeboten wird: Ein Ansager, Talk- oder Showmaster tritt mit
Textkarten und
Lesebrille vor den Vorhang, möchte eigentlich nur die
berühmten einleitenden
Worte verkünden, gerät dabei immer stärker unter die
Erinnerungslast eigener
Erlebnisse, betrachtet und betritt das Schlussbild der Cavalleria
rusticana, das zum Beginn des anschließenden
Cavalleria rusticana-Vorspiels gezeigt
wird, um dann als Alfio, und später als Tonio im Bajazzo
beide Geschichten selbst zu erleben. Der Rest des Vorspiels und des
Eingangschores wird von einem Musterbeispiel lästiger und
höchst unnötiger, ja
ärgerlicher Projektionswut optisch verkleistert, der verschiedene
Menschen,
einzeln oder gruppiert in Großaufnahmen zeigt. Doch damit ist das
Thema
Projektionen für diesen Abend glücklicherweise auch erledigt.
Lola (Hanna Larissa Naujoks,
liegend), Alfio (Stefan Adam), Santuzza (Khatuna Mikaberidze)
Eine
schneeweiße Bogenwand vor
einem schwarzen Hintergrund, rechts ein ähnliches
schwarzes Element, dessen Bogen den Eingang
zum Wirtshaus bildet, reichen als Szenenbild völlig aus. Vor der
Kneipe stehen
schwarze Stühle und Tische. Auch die individuellen Kostüme
(Gesine Völlm) sind
in düsterem Schwarz oder Grau, gelegentlich mal in mattem
Graubraun gehalten.
Farbtupfer bilden lediglich Lolas rote Schuhe und der ausgeschenkte
Rotwein.
Turiddu ist ein schmieriger Widerling, der in höchster Not ein
wenig lächerlich
nach seiner „Mamma“ schreit. (Eine Parallele zu Siegfried, die auch
dort im
Publikum regelmäßig nur dezent unterdrücktes Lachen
hören lässt). Alfio ist ein
zunächst fröhlich-unbeschwerter, dann stolzer und
wütender anständiger Mann mit
Grandezza, der sein liebevolles Mitleid mit Santuzza entdeckt, die
Sache
schlussendlich aber als Frage der Ehre sieht, seinen Widersacher im
Zweikampf
tötet und Lola ganz sachlich die Kehle durchschneidet. Das Messer
zu beiden
Taten reicht ihm Santuzza, die zwischen Liebe, Existenznot, Rachedurst
und
Verzweiflung hin und her gerissen ist, auf Lolas Leiche wütend
einstechen will,
dies jedoch nicht übers Herz bringt. In einem nur leicht
abstrahierten,
realistischen Bühnenbild ohne Unnötiges, aber mit allem
Nötigen
(Marienprozession, Messern, Wein und dem archaischen Biss ins Ohr als
Forderung
zum Duell), unter den besten Voraussetzungen also, spielen sich die
Protagonisten die Seele aus dem Leib. Aber
dennoch hat mich
das Ganze irgendwie kalt gelassen.
Ganz anders
dagegen Der Bajazzo: Das Bühnenbild hat die
gleiche Grundstruktur, ist aber ganz realistisch gehalten. Die
Bogenwand
erscheint in romantisch-schmutzigem Lehmbraun mit Verkabelungen, die
sie als
Rückseite der weißen Wand vermuten lassen. Das Wirtshaus hat
die gleiche Farbe,
aber braune statt schwarzer Möbel. Mamma Lucia erscheint auch hier
als Frau Wirtin und erinnert
spätestens jetzt mit
ihrer Frisur an Lia Wöhr in gleicher Funktion einst im Blauen
Bock. Santuzza sitzt von allem unberührt vor sich hin
starrend an einem der Tische, in dem, wie schon zuvor in der Cavalleria rusticana, das Messer steckt.
Leider passiert nichts weiter mit ihr, sie nimmt nicht am Geschehen
teil, nimmt
es noch nicht einmal wahr, ob sie hier nun sitzt oder nicht… Das Ganze
ist in
warmes, südländisches Licht getaucht, das fast unmerklich in
Dämmerung und
Nacht übergeht. Der Hintergrundprospekt zeigt eine bergige
mediterrane Gegend mit
Dorf oder Stadt, zunächst von der Sonne, dann von den Lichtern aus
den Häusern
erhellt. Bunte Kostüme und ebenso buntes Treiben der Gauklertruppe
(mit echten
Artisten) zeigen quicklebendig und ganz realistisch, dass Oper auch
heutzutage
in solchen Bildern nicht nur Spaß macht, sondern ebenso
anrührt und bewegt.
Tonio erscheint
als sozial
benachteiligter Tölpel, dessen schüchterne
Annäherungsversuche in heiße Wut und
Rache umschlagen (nicht umsonst ist diese Parallele zu Alfio durch die
Besetzung mit demselben Sänger verdeutlicht). Auch Canio erscheint
eher
unattraktiv und fände sicher so leicht keine Frau, wenn er Nedda
nicht als
Bedürftige von der Straße aufgelesen und sich ihrer
angenommen hätte. Sie
wiederum kann mit ihrer Dankbarkeit dafür ihre Sehnsucht nach
echter Liebe
nicht zum Schweigen bringen. Der Hintergrundprospekt der
Gauklerbühne vereint,
ein bisschen gewollt wirkend, die beiden Seiten der Bogenwand – die
weiße und
die graubraune, von der aus ein menschlicher Schatten auf die
Straße dazwischen fällt.
Nachdem Canio als Bajazzo Nedda als Columbine erdrosselt hat,
fällt die Bühne
ins Probenlicht und der Abenddienst habende Dramaturg, der das
hannoversche
Opernpublikum vor Beginn der Aufführung so freundlich um das
Ausschalten der
Handys gebeten hatte, stürzt auf die Bühne und verkündet
dann vor dem schnell
geschlossenen Vorhang „La commedia è finita!“. Dieser Schluss
ist mehr als ein
Gag. Er holt das Geschehen ganz eindrucksvoll auf eine andere Ebene, in
die
Gegenwart, und lässt den Eindruck entstehen, dass nicht nur die
Zuschauer der
Gauklerbühne, sondern auch die der Opernaufführung in
Hannover eine
dramatisch-emotionale Wendung ins Reale erlebt haben. So wird im
Nachhinein die
Ansage zum Prolog vor dem Prolog und der Mord zum Übergriff eines
Sängers, der
als Darsteller des Bajazzos auf der Opernbühne in Hannover einen
Eifersuchtsmord an einer Kollegin begeht, weil er in der Komödie,
die als Teil
der Handlung dieser Oper gespielt
wird,
Spiel und Realität nicht mehr auseinander halten kann.
Hannovers GMD
Karen Kamensek
dirigiert keine veristischen Schmachtfetzer, sondern
gestaltet subtiler, verliert dabei in der Cavalleria
rusticana aber gelegentlich
den Großen Bogen und die Spannung. Dabei verzichtet sie nicht auf
gewaltige Ausbrüche und das musikalische
Auftrumpfen, mit dem sie zuweilen die Sänger überdeckt. Der Bajazzo gelingt dagegen ganz und gar
überzeugend, klingt wie
aus einem Guss, reißt mit und bewegt. Khatuna Mikaberidze singt
die
Santuzza, mit vielen schönen Tönen, großen Phrasen und brillanten Spitzentönen. Gelegentlich
klingt
die Stimme unausgewogen, was aber der intensiven und
überzeugenden Gestaltung geschuldet sein
mag. Diane Pilcher gibt auch sängerisch eine in Würde
gealterte Mamma Lucia.
Hanna Larissa Naujoks verleiht der Lola die nötige Erotik und
Verführungskunst. Ricardo Tamura hat strahlende Spitzentöne,
andererseits
klingt seine Stimme auch immer mal wieder angestrengt und gepresst. So
ganz
scheint ihm die Partie des Turiddu nicht zu liegen. Sara Eterno ist
eine wundervolle
Nedda mit warmem, substanzreichem, leidenschaftlich blühendem
Sopran, der vielfarbig
aufblüht und sinnlich betört – eine sängerische und
darstellerische
Offenbarung! Robert Künzli steht ihr mit kraftvoll strahlendem,
herrlich
klangvollem Tenor als Canio nicht nach. Ein kongeniales
Bühnenpaar! Francis
Bouyer ist Neddas attraktiver Liebhaber. Er singt den Silvio
stimmschön, könnte
aber etwas mehr Durchschlagskraft vertragen. Edward Mout ist auch
stimmlich ein
angemessen lebendig quirliger Harlekin. Nachhaltig beeindruckt Stefan
Adam, der
als quasi darstellerisches Leitmotiv den Abend beherrscht. Als
Ansager/Tonio,
als Alfio und als Tonio/Taddeo verkörpert und gestaltet er
schauspielerisch wie stimmlich die oben bereits beschriebenen
Leidenschaften und Entwicklungen
dieser Figuren höchst eindrucksvoll und überzeugend. Ein
ebenso homogen wie
prachtvoll klingender Chor und das bestens disponierte, seiner
Dirigentin gern
folgende Orchester runden die musikalische Seite des Abends
würdevoll ab.
Während Cavalleria Rusticana trotz guter szenischer
Voraussetzungen etwas
blass bleibt, zeigt die Produktion des Bajazzo
echte Oper nach allerbester Manier. In wunderschönen realistischen
Bildern und
Kostümen, unterhaltsam, berührend und bewegend und doch nicht
platt, nicht
oberflächlich. Dabei gibt sie der Musik und den Sängern den
gebührenden Raum
und lässt Oper eben auch Oper sein. Allein das Gelingen dieser
Kombination ist
außergewöhnlich, bemerkenswert und unbedingt sehenswert. Musikalische
Leitung
Inszenierung
Bühne Kostüme Licht Video Einstudierung
Artistik Chor Dramaturgie
Niedersächsisches Chor und Extrachor der Statisterie der
Solisten Cavalleria rusticana Santuzza Turiddu Mamma Lucia Alfio Lola Der Bajazzo (I Pagliacci) Nedda / Colombine Canio / Bajazzo Tonio / Taddeo Beppo / Harlekin Silvio 1. Contadino 2. Contadino Weitere
Informationen
Cavalleria
rusticana
Melodramma in einem Akt
Libretto von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci
Musik von Pietro Mascagni
Dramma in zwei Akten (1892)
Musik und Libretto von Ruggero Leoncavallo
Staatsoper Hannover
(Homepage)
Ein Spiel im
Spiel des Spiels
Von Bernd
Stopka / Fotos von Jörg Landsberg
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